Jürgen Zieger setzt darauf, dass im Frühjahr endgültig die Standortentscheidung für die Stadtbücherei fällt. Foto: Ines Rudel

Traditionell zieht der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger zu Weihnachten Bilanz der Arbeit und schaut in die Zukunft. Was er zu erzählen hat, ist brisant.

Esslingen - Selten hat der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger am Jahresende derart positive Zahlen präsentieren können. Die hohen Steuereinnahmen wecken natürlich Begehrlichkeiten. Doch der Ratschef mahnt zur Zurückhaltung.

Herr Zieger, Crystal Rock – das in der Neuen Weststadt geplante Hochhaus – erregt die Gemüter. Braucht Esslingen eigentlich ein solches Hochhaus?
Ich habe bisher nur positive Reaktionen gehört. Es ist der Weg, der von vielen Städten beschritten wird. Ich halte ihn für tauglich zur Lösung einer solchen Aufgabe.
Was finden Sie an dem Entwurf des Architektenbüros MVRDV so reizvoll?
Zunächst einmal ist es spektakuläre Architektur! Und Crystal Rock ist eine sehr selbstbewusste Geste, die – wie ich meine – gut zur Stadt passt. Das Hochhaus wird das Spannungsfeld zwischen Tradition, also der geschichtsreichen Stadt, und der modernen Ingenieurstadt Esslingen aufzeigen. Das geschieht in einer Qualität, die beeindruckend ist.
Wäre es angesichts der topografischen Verhältnisse und der so begrenzten Flächen zur Erweiterung der Stadt nicht sinnvoll, häufiger in die Höhe zu bauen?
Wir entwickeln gerade Ideen zu diesem Thema, zum Beispiel an der S-Bahn-Station in Oberesslingen. Aber im sensiblen Neckartal muss man mit diesem Format doch vorsichtig sein.
Die Aufstellung des Flächennutzungsplans droht zur unendlichen Geschichte zu werden. Wie ist denn der Stand der Dinge?
Drei Jahre Diskussionen liegen hinter uns. Wir haben mehrere Hunderttausend Euro für eine breite öffentliche Diskussion in die Hand genommen – mit entsprechender Resonanz. Jetzt ist der Vorentwurf abgestimmt, er wird von allen Fraktionen des Gemeinderats getragen und im Frühjahr im Gremium eingebracht. Ich gehe davon aus, dass wir Ende 2018 einen beschlossenen Flächennutzungsplan für die Stadt Esslingen haben werden.
Trotz aller Beteiligungsversuche: Die Kritik an den Plänen ist kaum geringer geworden. Haben Sie Verständnis für die Einwände?
Die sehr persönliche Sicht einzelner Beteiligter kann ich nachvollziehen. Wir fühlen uns aber in unserem strategischen Vorgehen der Nachhaltigkeit verpflichtet. Diese, das ist mir wichtig, beinhaltet nicht nur ökologische, sondern umfasst auch ökonomische und soziale Aspekte.
Die Diskussion über den Neubau oder die Sanierung der Stadtbücherei hat 2017 die kommunalpolitische Diskussion maßgeblich geprägt. Wann wird denn nun gebaut?
Ich gehe davon aus, dass der Gemeinderat im ersten Quartal 2018 seine Grundsatzentscheidung trifft. Auch werden wir eine zweistellige Millionenrücklage dafür im Haushalt schaffen. Das ist glaubhafter Ausdruck des Willens, zeitnah zu entscheiden.
Was spricht aus Ihrer Sicht für den Neubau in der Küferstraße?
Dort sind optimierte Grundrisse und wahrscheinlich mehr Fläche in zeitgenössischer Architektur möglich. Zudem gäbe es die große Chance, die Küferstraße in ihrer Entwicklung zu stärken. Auch wäre keine Interimsbibliothek notwendig. In einem mittleren Zeitraum könnte dort ein Kulturkarree zwischen Musikschule, Bibliothek und dem Gemeindehaus Blarerplatz entstehen.
Und was spricht für den Verbleib im Bebenhäuser Pfleghof?
Dort haben wir die Chance, eine Bibliothek des 21. Jahrhunderts in mittelalterlichen Räumlichkeiten zu etablieren – mit einer ganz besonderen Atmosphäre. Bleiben wir dort, können wir auch auf die Nachnutzungsdiskussion und den dafür notwendigen finanziellen Aufwand verzichten.
Gibt es denn schon ein Ersatzquartier, wenn die Bücherei dicht gemacht werden muss?
Nein, diese Aufgabe ist nicht ganz einfach, weil wir über einen Zeitraum von drei Jahren reden. Wir haben noch keinen konkreten Vorschlag dazu.
Die Finanzierung der Bücherei dürfte kein Problem sein. Stimmen die Prognosen, dann schwimmt Esslingen in diesem Jahr doch im Geld?
Also, es geht auch eine Nummer kleiner. Nach harten Konsolidierungsentscheidungen haben wir in der Tat gute ausgeglichene Haushalte für beide Haushaltsjahre 2018 und 2019. Allerdings: Die konkrete Situation ist konjunkturbedingt. Die gute Stimmung hält jetzt schon sieben Jahre an. Ich gehe davon aus, dass es einen Abschwung in den nächsten Jahren geben wird. Die Rücklagen, die wir gebildet haben, sind notwendig, um Infrastruktur zu erneuern und auszubauen. Ich denke nicht nur an die Bibliothek, sondern auch an Straßen, Schulen oder Brücken. Da gibt es viele Themen.
Auch viele Sportstätten sind sanierungsbedürftig. Wann steht denn der Neubau der Schelztorhalle auf dem Plan?
Ende 2018 wird die Sporthalle in Weil fertiggestellt sein. Dann kann sie zunächst die Aufgabe als große zentrale Wettkampfstätte übernehmen. Es gibt zudem große Übereinstimmung im Gemeinderat, Anfang des Jahres über einen dringend notwendigen Neubau der Schelztorhalle zu entscheiden.
In welcher Dimension sollte die neue Innenstadtsporthalle gebaut werden?
Die neue Halle muss wettkampftauglich sein, dem Schulsport gerecht werden, und sie muss aus meiner Sicht zweigeschossig angelegt werden, um weitere Räumlichkeiten für Bewegungs-, Begegnungs-, Integrations- und Betreuungsangebote in der Innenstadt zu schaffen.
Keine große Rolle hat in diesem Jahr die Diskussion über die Bäderkonzeption gespielt. Geht es da 2018 weiter?
In der Tat relativ geräuschlos hat der Gemeinderat ein 20-Millionen-Euro-Paket zur Sanierung des Neckarfreibads, des Hallenfreibads Berkheim und auch des Merkel’schen Schwimmbads beschlossen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Die ersten Baumaßnahmen werden nach der Saison 2018 im Neckarfreibad beginnen. Es ist ein vierjähriges Programm. Ich werbe darum, dass wir auch die Idee einer Traglufthalle im Inselbad des SV Esslingen konstruktiv verfolgen und unterstützen. Alle Investitionen in den Sport sind Investitionen in Integration und in die Sozialisation junger Menschen.
Lange hat Esslingen auf eine Kulturkonzeption gewartet. Nun liegt sie vor. Aber was wird sich konkret im Kulturleben ändern?
Vielleicht ist das wichtigste Ergebnis dieser Konzeption die Selbstvergewisserung, welche Qualität und welche Bedeutung die Kultur in unserer Stadt hat. Natürlich entwickeln wir Facetten unserer Kultur weiter. Ich nenne dafür stellvertretend, dass die Galerie 13 neu bespielt wird. Ich nenne auch das Centraltheater, das nun wieder als Spiel- und kulturelle Heimatstätte zur Verfügung steht. Ich nenne drittens die Unterstützung und Entwicklung des Podium-Festivals in unserer Stadt.
Die Württembergische Landesbühne erlebt in der Intendanz von Friedrich Schirmer einen künstlerischen Höhenflug, den auch das Publikum honoriert: In der Spielzeit 2016/2017 hatte die WLB mehr Zuschauer als das Stuttgarter Staatsschauspiel. Haben Sie schon über eine Verlängerung des Vertrags mit Friedrich Schirmer nachgedacht?
Friedrich Schirmer ist für die WLB und für die Stadt ein Glücksgriff. Ich hoffe, dass er jetzt nicht übermütig wird, wenn er das liest. Die Qualität und die Resonanz sind ausgezeichnet. Wir sind in Gesprächen. Ich gehe von einer Vertragsverlängerung aus.
Die große Zukunftsaufgabe der Stadt liegt in der Erneuerung der Neckarbrücken. Da reichen selbst hervorragende Jahre nicht aus, um die notwendigen Neubauten zu bezahlen. Ist Hilfe vom Land oder vom Bund in Sicht?
Die notwendige Erneuerung der Neckarbrücken sind ein Kraftakt, verkehrlich, in der Abwicklung und natürlich auch in der Finanzierung. Wir reden über ein Paket in Höhe von mindestens 180 Millionen Euro. Wir sind in sehr konstruktiven Verhandlungen mit dem Land. Im gerade beschlossenen Doppelhaushalt des Landes sind Etatmittel zur Sanierung auch kommunaler Infrastruktur vorgesehen. Da haben wir in Esslingen mitgewirkt. Ich bin sehr dankbar, dass sich die regierungsvertretenden Esslinger Landtagsabgeordneten Andrea Lindlohr (Grüne) und Andreas Deuschle (CDU) sowie der Verkehrsminister Winfried Hermann dafür eingesetzt haben. Wir gehen heute davon aus, dass wir Landesunterstützung in Höhe von 50 Prozent der Baukosten bekommen werden. Das ist ein Wort. Dafür bin ich sehr dankbar.
Wie sieht denn der Zeitplan für die Brückenneubauten aktuell aus?
Unsere Planungen gehen davon aus, dass wir 2019/2020 für einen zweistelligen Betrag die Vogelsangbrücke ertüchtigen und 2021 sowie 2022 konkret die Schleyerbrücke mit einem Betrag von 15 Millionen Euro neu bauen.
Haben Sie schon ein Patentrezept dafür, wie sich die dann zu befürchtenden Staus minimieren lassen?
Patentrezepte gibt es nur im Märchen, an Stammtischen und auf Parteitagen. Der Neubau einer Neckarbrücke in Esslingen ist wie ein Herzinfarkt, nämlich der Ausfall einer lebenswichtigen Verkehrsader. Wenn wir das problemlos hinbekommen würden, wäre das der Beweis, dass wir die Brücke nicht brauchen. Deshalb sollten wir keine falschen Versprechungen machen. Wir tun aber alles, um die verkehrlichen Probleme, die wir unausweichlich haben werden, zu minimieren. Daran arbeiten wird.
Überhaupt, werden im kommenden Jahr denn noch alle Autos durch Esslingen fahren können, oder wird es für Dieselfahrzeuge ein Fahrverbot geben?
Für Fahrverbote sind das Regierungspräsidium und das Land zuständig. Da müssen Sie bei den zuständigen Behörden nachfragen. Ich halte von Fahrverboten aber gar nichts, weil sie in Esslingen kein Problem lösen, sondern uns nur Probleme schaffen.
Und welche sportlichen Ambitionen hat der ehemalige Marathon-Mann Jürgen Zieger für das kommende Jahr?
Als Angehöriger der Generation 60 plus habe ich auf Halbmarathon umgeschaltet. Ich denke, das ist immer noch ausreichend. Regelmäßig Sport zu treiben ist für mich aber nach wie vor nicht Pflicht, sondern ein Bedürfnis.