Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, freut sich über den großen Zuspruch zu den Jüdischen Kulturwochen – auch beim Abschlussabend im Hospitalhof mit dem Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“ als Gast.
Es war die 40. und letzte Veranstaltung der diesjährigen Jüdischen Kulturwochen in Stuttgart. Auf dem Podium im Hospitalhof: Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“, der seine Stelle in Berlin kurz vor dem Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 angetreten hat und sich und seine Redaktion unvermittelt in einem „Ausnahmezustand“ wiederfand, „der bis heute anhält“ – auch angesichts der stark steigenden Zahlen von antisemitischer Straftaten in Deutschland. Antijüdische Ausschreitungen wie jüngst in Amsterdam sieht der 41-Jährige inzwischen als „das neue Normal“, wie er am Mittwochabend im Gespräch mit der SWR-Journalistin Susanne Babila vor rund 150 Zuhörern erläuterte.
Warnung vor Antisemitismus von links und von muslimischer Seite
Nüchtern ist sein Blick, ernüchternd klingt der Befund, den der 2023 als „Chefredakteur des Jahres“ ausgezeichnete Peyman Engel auch in seinem Buch „Deutsche Lebenslügen“ verbreitet: dass nämlich der Antisemitismus heute so offen zu Tage trete, als sei er nie weg gewesen. Nicht nur von rechts, sondern auch von links und von muslimischer Seite. „Wir sind in Deutschland stark darin zu sagen, wir sind gegen Rechtsextreme. Es gibt hier aber auch Probleme in anderen Milieus“, warnt er. Man dürfe den Antisemitismus, der von dort ausgehe, nicht tabuisieren. Die AfD sei „ist nur so stark, weil die demokratischen Parteien die Probleme nicht ansprechen und nicht demokratische Lösungen dafür finden“. Baden-Württemberg nimmt Peyman Engel von dieser Kritik aus. In Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht er jemanden, „der die Probleme nicht unter den Teppich kehrt“.
Was der Sohn einer aus dem Iran geflohenen Jüdin und eines nichtjüdischen Deutschen seit dem 7. Oktober erlebt, deckt sich mit den Schilderungen von Barbara Traub, der Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg: Viel Solidarität, aber auch „schmerzhaftes Schweigen“, selbst von ehemals Nahestehenden. Und vor allem: „Entfesselter Judenhass“. Peyman Engel erlebt dies in Berlin nach eigenem Bekunden hautnah. Es sei heute riskant, äußerlich als Jude erkennbar auf die Straße zu gehen, sagt er: „Das ist keine Paranoia, sondern einen Schutzmaßnahme“. Und obwohl er nicht bereit ist, „sich von Drohungen unterkriegen zu lassen“, hat er an den „Tagen des Zorns“, zu denen die Hamas ihre Anhänger weltweit aufgerufen hatte, seine drei Kinder aus Sicherheitsgründen nicht in den jüdischen Kindergarten gebracht. „Da habe auch ich kapituliert“, sagt er leise.
„Wenn es uns schlecht geht, geht es auch der Demokratie schlecht“
Als inzwischen prominenter Vertreter der jüngeren jüdischen Generation bezieht Engel Position in der Hoffnung, damit auch Debatten anzustoßen: „Der Profifußball in Deutschland hat nach dem 7. Oktober mehr Rückhalt gezeigt als der gesamte Kulturbetrieb“, stellt er fest. Von Politik und Gesellschaft fordert er „Stoppschilder“, damit Grenzen nicht weiter verschoben würden. Bitter klingt sein Satz: „Die Juden sind die Kanarienvögel der Gesellschaft“ – eine Anspielung darauf, dass im Bergbau einst Kanarienvögel als Vorwarnsystem dienten. Wenn sie verstummten, war Gefahr in Verzug. Bezogen auf die Juden heißt das für Engel: „Wenn es uns schlecht geht, geht es auch der Demokratie schlecht.“
Die BIlder aus Gaza erschüttern auch Peyman Engel
Beim Thema Nahostkonflikt ringt auch er um Antworten. Die Bilder aus Gaza erschüttern ihn. Er sei „kein Fan“ von Premier Benjamin Netanjahu, steht in klarer Opposition zu den beiden rechtsextremen Ministerin in dessen Regierung, lehnt die Siedlungspolitik ab und befürwortet grundsätzlich eine Zwei-Staaten-Lösung. Er wundert sich aber auch, wie wenig das „sicherheitspolitische Dilemma“ Israels gesehen werde, das sich in einem Sieben-Fronten-Kriege befinde, und gleichzeitig die Legalität des jüdischen Staates immer wieder in Zweifel gezogen werde. Peyman Engel beharrt auf dem Recht auf Selbstverteidigung und setzt zugleich auf Dialog – gerade auch in Deutschland: „Wir müssen der Begegnung Räume geben.“
Begegnung schaffen – das war auch eines der Anliegen der Jüdischen Kulturwochen unter dem Motto „Jüdisch sein jetzt“. Barbara Traub zieht eine positive Bilanz: „Der Zuspruch war vielleicht sogar noch größer als im vergangenen Jahr“ – damals unter dem unmittelbaren Eindruck des 7. Oktober. Abgesehen von Kreideschmiererein vor dem Hospitalhof sei nichts Negatives vorgefallen.