Judith Holofernes hat ein sehr ehrliches Buch über ihr Leben als Sängerin geschrieben. Foto: Kiepenheuer & Witsch/Christoph Voy

Judith Holofernes wurde als Sängerin von Wir sind Helden bekannt. Nicht nur ihre Stimme hat sehr gelitten. Ein Gespräch über Sexismus und Frauen in der Musikindustrie, Vereinbarkeit von Arbeit und Privatem und Krankheiten, die sie prägen.

Judith Holofernes, 45 Jahre alt, sitzt in ihrer Arbeitswohnung in Berlin-Kreuzberg. Auf dem Schoß ihre Hündin Lupita. Sie war mal die Sängerin von Wir sind Helden und versuchte sich an einer Solokarriere. Im Interview geht es um Frauen in der Musikindustrie, Vereinbarkeit, Sexismus und Krankheit. Wie ist das, wenn die Stimme versagt? Wie fühlt sich das an, wenn man die Träume anderer Menschen nicht mehr erfüllen möchte? Und wovon bezahlt man eigentlich sein Leben? Wie kommt man mit dem Körperkult klar?

 

Frau Holofernes, Sie können sprechen, aber im Moment nicht singen. Was ist los mit Ihrer Stimme?

Ich kann, ehrlich gesagt, auch nicht gut sprechen. Es klingt ab und an komisch und ist ein bisschen rätselhaft: Ich habe eine Stimmstörung, die unerklärt ist. Diese Stimmstörung ist leider nicht einfach magisch verschwunden, als ich meinen Rücktrittsbrief formuliert habe. Man malt sich das ja so aus, dass man eine große symbolische Handlung vollzieht und sich dann die Stimme entspannt. Das ist leider nicht passiert.

Dazu muss man erklären, dass Sie sich nicht nur als Frontfrau von Wir sind Helden verabschiedet haben, sondern Jahre später vom Popstar-Dasein ganz allgemein.

2019 war das, als ich einen öffentlichen Rücktrittsbrief geschrieben habe. Ich hatte gesagt, dass ich vom durchaus ehrenwerten Amt des Judith-Holofernes-Seins zurücktrete und dass ich damit den Karriereaspekt komplett loslassen möchte. Was aber nicht heißt, dass ich keine Kunst mehr machen wollte. Ich wollte mich nur nicht mehr dieser Stringenz verpflichten, noch ein Album zu machen, noch eine Tour zu spielen. Ich funktioniere so nicht.

Sie haben als Sängerin von Wir sind Helden etwas gelebt, das für viele einem Traum gleicht.

Auch für mich.

Und wie hat es sich angefühlt, als Sie mittendrin waren?

Zu ganz großen Teilen waren das märchenhafte, wunderschöne und sehr lustige Heldenjahre. Ich bin ja nicht an der Band oder an den Fans verzweifelt, sondern an dem Druck, der damit verbunden ist.

Eine Frage lautet sicherlich auch: Wie wird man als Frontfrau Mutter?

Genau. Das ist der Punkt, an dem man merkt, dass diese Maschine zu quietschen anfängt, wenn man nicht mehr reinpasst – also wenn man sich querstellt. Das war nicht nur wegen den Kindern so. Ich habe gemerkt, dass ich über die Jahre immer introvertierter werde. Dass ich eigentlich im Wald spazieren gehen, Bücher lesen und unbedingt einen Hund haben will. Das hatte nicht gepasst. Sobald man einen Vertrag unterschreibt, ist man sehr unfrei.

Ihr Model war: mit zwei kleinen Kindern und dem Vater – ebenfalls Mitglied der Band – mit Sack und Pack, mit Nannys und einem kindgerechten Nightliner-Bus herumzutouren. Das gleicht, von außen betrachtet, einem hippieesken Bullerbü.

Zum Teil war das so und ich habe mir das auch genauso gewünscht. Ich war die, die am längsten an dieser romantischen Vorstellung festgehalten hat. Das war zum großen Teil auch toll. Das Problem ist aber, dass man ja arbeiten muss. Ich finde es ein spitzenmäßiges Lebensmodell, wenn man mit seiner Familie im Bus durch die Gegend fährt und vielleicht ab und zu darüber bloggt. Aber wenn man am Tag acht Interviews gibt, abends auf der Bühne steht und schlecht schläft, weil man erstens stillt und zweites der Bus rappelt, dann wird das sehr anstrengend.

Fünf Jahre lang haben Sie es versucht, Kinder und Karriere zu vereinbaren. Wie viel Kraft hat es gekostet?

All meine Kraft – und ein bisschen mehr. Ich wollte das sehr lange nicht einsehen, hatte mir eingebildet, dass ich übermenschliche Kräfte hätte. Und das ist relativ weit hergeholt, wenn man sich meine Krankheitsgeschichten anschaut. Ich war ja schon als Kind ein Montagsmodell.

Offiziell gab es eine Pause der Band Wir sind Helden auf unbestimmte Zeit. Aber eigentlich haben Sie die Band aufgelöst. Wie war das Gefühl, dieses letzte Konzert zu spielen, ohne dass Fans das überhaupt wussten?

Das war ein komischer Halbzustand. Nur wir und die Crew wussten, dass wir ein letztes Mal gemeinsam auf der Bühne stehen. Ich hätte das anders wahrscheinlich besser verkraftet, wenn wir gesagt hätten, dass wir uns auflösen. Für mich wäre ein klarer Strich wichtig gewesen, um einen Neuanfang zu ermöglichen.

Am Ende geht es auch ums Geld, mit dem Wohnung und Essen bezahlt werden wollen… wie sagt man da alles ab?

Es ist natürlich schwierig, weil man in diesem Business sehr schnell sehr viel Geld verliert, wenn man Sachen absagt. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass Musikerinnen und Musiker hohe Risiken eingehen. Ich musste einmal wegen einer abgesagten Tour 15 000 Euro zu zahlen und finde es wichtig, dass Fans das wissen. Gerade jetzt in der Corona-Zeit ist das prekär. Es fallen nicht nur Einnahmen weg, das Geld kommt auch nicht wieder.

Wir sind Helden ging es aber doch sehr gut.

Wir haben auf alle Fälle viel mehr Geld verdient, als ich mir je hätte ausdenken können. Ich bin mit wenig Geld aufgewachsen und von einer Mutter erzogen worden, die mir vermittelt hat, dass es weniger aufs Geld ankommt, sondern dass man seine Tage so gestalten kann, wie man möchte. Das sitzt mir tief in den Knochen und hat mir die Freiheit gegeben, weil ich mich deshalb nicht so abhängig fühle. Doch zum Teil lebe ich heute noch von Urheberrechten von Wir sind Helden und meinen Soloplatten. Andererseits muss man sich klar machen, dass diese Einnahmen davon abhängen, wie sichtbar man ist. Diese Einnahmen sind abhängig von immer neuer Aktivität. Jetzt habe ich Patrons, die mich monatlich unterstützen. Das ist in Deutschland noch neu und etwas missionarisch.

Das System funktioniert wie Crowdfunding, Ihre Fans können Ihnen regelmäßig einen selbstbestimmten Geldbetrag zukommen lassen. Doch zurück zu Ihrer Mutter: Die war alleinerziehend und lesbisch und hat das kränkelnde 6-jährige Mädchen Judith nach Freiburg verpflanzt. Das war eigentlich gut gemeint…

… doch für meine Gesundheit war das wahrscheinlich nicht so gut. Freiburg hat ein albtraumhaftes Klima für Allergiker. Das wusste man damals aber natürlich nicht. Man hat das in den 1980er Jahren sowieso alles noch nicht verstanden, was ich alles habe. Das Tal-Klima hat alles noch viel schlimmer gemacht. Es war ein großer Kulturschock, vom Kreuzberger Kiez nach Freiburg zu ziehen. Als Teenagerin fand ich es aber toll, weil es dort genug von allem gibt.

Zu Beginn hatten Sie aber Verständigungsprobleme.

Ich kann mich erinnern, dass ich in der Bäckerei stand und die Verkäuferin wissen wollte, ob ich „Weckle“ wollte. Ich dachte, dass sie mich wegschickt.

Ihr Mutter hat schon sehr früh gemeint, dass Sie an Ihrer Konstitution arbeiten sollten, wenn Sie Sängerin werden möchten. Sie hatte, wie es Mütter immer haben, natürlich recht. Ihr Körper hat Ihnen immer wieder Grenzen gesetzt. Erst war da das Knie, dann eine Hirnhautentzündung, die unerkannt blieb. Selbst von der Notärztin…

… die wahrscheinlich betrunken war. Das hätte man mit einer Punktion gleich klären müssen. Doch das war dann eben schon drei Monate her.

Was bitte sind Vernichtungsschmerzen?

Schmerzen, die nichts neben sich dulden. Drei Wochen konnte ich den Kopf nicht heben. Ich musste wirklich flachliegen.

Wenn man als Frau in der Musikindustrie im Rampenlicht steht, in jenen Jahren, als noch niemand etwas von Body Positivity gehört hat: Haben Ihnen da Vorbilder gefehlt?

Ich habe mir welche gesucht. Es gab aber definitiv keines für „Kinder kriegen mit seinem Drummer und das weiterversuchen“. Und trotz der heutigen Body Positivity im Pop fehlt immer noch eine Toleranz für real existierende Frauen. Ich liebe Beth Dito und liebe Lizzo, doch ich habe das Gefühl, dass der Hype um das Gewicht dieser Frauen ein Ablenkungsmanöver ist. Das ist das dicke Feigenblatt einer anorektischen Kultur. Als ganz reale Frau, die etwas rund um die Schultern wird, fühlt man sich da immer noch völlig gedemütigt.

Sie schreiben, dass Abnehmen ein Impuls der Selbstliebe ist. Wie meinen Sie das?

Es ist der Impuls, um sich vor Demütigungen zu schützen. Aber dem entgegensteht, dass man sich einfach mal in Ruhe lassen möchte. In dieser Spannung laufen die meisten Frauen ständig vom Yoga zum Kühlschrank.

Wären Sie heute noch mal gerne 20 und Sängerin?

Diese Zwanziger haben schon viel Spaß gemacht: Das war mein Kindheits- und Jugendtraum. Ich würde keiner junger Künstlerin sagen, dass sie das lassen soll. Dieses Business aber könnte sich wirklich mal ändern.

Judith Holofernes

Zur Person
Judith Holofernes, 45 Jahre alt, ist Musikerin, Songschreiberin und Autorin. Als Sängerin von Wir sind Helden wurde sie zur „Stimme einer Generation“. Nach dem Ende der Band, das offiziell nur eine Pause auf unbestimmte Zeit war, verfolgte sie Soloprojekte, veröffentlichte einen Band mit Tiergedichten und war bei „Sing meinen Song“. Mit dem Helden-Schlagzeuger Pola Roy ist sie verheiratet und hat zwei Kinder im Teenageralter.

Das Buch
„Die Träume anderer Leute“ (Kiepenheuer & Witsch) ist ein ehrliches, schonungsloses Buch, das tief in die Backstageräume der Republik und in Judith Holofernes Gefühlswelt geht. Es erzählt vom Hadern und Verbrennen, vom Ausstieg aus dem Rad der Musikindustrie.