Tradition und Moderne in direkter Nachbarschaft: das Alte Rathaus Waiblingen (Mitte) und das Marktdreieck im Hintergrund Foto: / Stoppel

Der Waiblinger Verein wirbt zu seinem 90. Geburtstag mit Vorträgen, Diskussionen und Lesungen zum umstrittenen Thema Heimat – und grenzt sich von rechtsextremen Gruppierungen ab.

Mit dem Begriff „Heimat“ hat so mancher seine Schwierigkeiten. Auch Susanne Jenisch und Karl Hussinger, die Vorsitzenden des Heimatvereins Waiblingen. Der hieß ursprünglich „Heimatverein Alt-Waiblingen“, feiert in diesem Jahr sein 90-jähriges Bestehen und wurde somit im Jahr 1934, im Jahr nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und der darauf folgenden Machtübernahme, gegründet.

Karl Hussinger spricht angesichts dieses Datums von einer „unrühmlichen Vergangenheit“. Schließlich entstand der neue Geschichtsverein in einer Phase, in der traditionsreiche Gesang- und Turnvereine von den Nationalsozialisten rigoros aufgelöst wurden. Ziel des Vereins, der bei einer Stadtbevölkerung von nur 9000 Menschen rund 500 Mitglieder hatte, war es vor allem, den Staufermythos der Stadt Waiblingen aufzubauen. Seine Mitglieder waren großteils nationalkonservative Bürgerliche, die in den Verein berufen wurden.

Kaum Mitglieder mit anderen Herkunftsländern

Heute hat der Heimatverein Waiblingen ungefähr 450 Mitglieder – bei einer Einwohnerschaft von mehr als 57 000 Menschen. Der Altersdurchschnitt liege bei 75 Jahren, sagt Susanne Jenisch, die stellvertretende Vorsitzende, und ergänzt: „Wir steuern wie viele andere Vereine auf ein Problem zu.“ Angesichts der Tatsache, dass nur zwei Prozent der Mitglieder unter 40 Jahre alt sind und dass kaum Menschen aus anderen Herkunftsländern in den Verein eintreten, selbst wenn sie in Waiblingen wohnen, müsse der Heimatverein Waiblingen „die ausgetretenen Pfade verlassen“.

Das Konzept, das Susanne Jenisch, die Empirische Kulturwissenschaften studiert hat, bereits im Jahr 2022 für das Jubiläumsjahr 2024 entworfen hat, zielt daher darauf ab, auch andere Zielgruppen anzusprechen. „Wir bilden die Bevölkerung Waiblingens ganz schlecht ab“, sagt die Waiblingerin. Deshalb wolle der Vereinsvorstand verstärkt mit anderen Vereinen und Organisationen in der Stadt kooperieren. Zum Beispiel mit dem Integrationsrat. Die Zusammenarbeit zeigt schon erste Auswirkungen, so kommen beispielsweise bei einer Podiumsdiskussion am 24. Oktober im Kulturhaus Schwanen auch Einwohnerinnen und Einwohner zu Wort, die ihre Wurzeln anderswo auf dem Globus haben. Dasselbe gilt für einige Protagonisten des vom Filmclub Waiblingen zum Jubiläum gedrehten Films von und mit Waiblingern.

E-Mail mit volksverhetzendem Inhalt

„Heimat kann nicht bedeuten, dass man hier geboren ist“, findet Susanne Jenisch. Dass das manche anders sehen, wurde ihr wieder einmal angesichts einer E-Mail bewusst, die im vergangenen Jahr im Vereinspostfach landete. Der Absender war eine rechtsextreme Gruppierung von Holocaustleugnern und Verschwörungstheoretikern, die angesichts des Begriffs Heimat im Vereinsnamen offenbar Gleichgesinnte vermutet hatten. Auch andere Heimatvereine hätten solche E-Mails erhalten, berichtet der Verein, der den Vorfall anzeigte. Laut Staatsanwaltschaft führte die Spur nach Pakistan, der Täter konnte nicht ermittelt werden.

Diese E-Mail löste im Verein nicht zum ersten Mal eine Debatte darüber aus, ob ein neuer Name angebracht wäre. „Die Umbenennung und die Frage, was Heimat bedeutet, ist nach 1945 immer wieder diskutiert worden“, sagt Susanne Jenisch. Die aktuelle Diskussion hat dazu geführt, dass sich der Verein zwar keinen neuen Namen, aber ein neues Logo zugelegt hat.

Neues Logo und neue Pfade

Neben den altvertrauten drei Hirschstangen, die dem Waiblinger Stadtwappen entliehen sind, prangt in Fettschrift die Bezeichnung „Gesellschaft für Stadt- und Kunstgeschichte“. Der offiziell eingetragene und auch eingeführte Vereinsname „Heimatverein Waiblingen e. V.“ folgt in Normalschrift und erst an zweiter Stelle. Den Begriff Heimat sieht man im Verein zwar kritisch, will ihn aber nicht einfach dem rechten Lager überlassen, sondern verteidigen. Der Waiblinger Oberbürgermeister Sebastian Wolf formulierte es in seinem Grußwort zum Vereinsjubiläums so: „Es braucht den Mut, Heimat nicht denen zu überlassen, die sie anderen absprechen wollen.“

Ein umfangreiches Programm beleuchtet den Begriff Heimat im Jubiläumsjahr aus verschiedenen Blickwinkeln. Es startet am 13. September mit einem Vortrag, in dem der Tübinger Professor Thomas Thiemeyer über den Wandel des Heimatbegriffs spricht und endet Ende November mit einem Besuch von Mathias Beer vom Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde. Er hält einen Vortrag über „Flüchtlinge und Vertriebene im deutschen Südwesten nach 1945“. In den Wochen zwischen diesen beiden Terminen gibt es weitere Vorträge zum Thema Heimat, aber auch einen Film- und einen Festabend, ein Konzert mit Derya Yildirim & Grup Simsek, die anatolischen Psychedelic Pop in den Schwanensaal bringen, oder einen Kunst-Workshop „Ladies Night“ mit einer Führung im Haus der Stadtgeschichte.

Die Ladies sind Susanne Jenisch ebenfalls ein wichtiges Anliegen: „Das Thema Frauen kommt bei uns im Verein noch kaum vor. Wir müssen uns öffnen und rausgehen.“

Mehr zum Verein unter: www.heimatverein-waiblingen.de

Veranstaltungen rund ums Jubiläum

Vorträge
Das Programm startet am 13. September mit einem Vortrag im Studio des Bürgerzentrums (Büze). Der Tübinger Uniprofessor Thomas Thiemeyer spricht dort ab 18 Uhr über den Wandel des Heimatbegriffs. Am 25. September geht Jürgen Hasse von 19 Uhr an bei einem Vortrag im Forum Mitte, Blumenstraße 11, der Frage „Heimat – in einem Drinnen oder Draußen?“ nach. Am 11. Oktober spricht Susanne Scharnowski im Büze von 19 Uhr an über „Meine Heimat, unserer Heimat“. Hubert Klausmann referiert am 8. November im Büze über „Wandel im Alltag und Dialekt im ländlichen Raum“. Am 29. November berichtet Mathias Beer im Büze über Flüchtlinge und Vertriebene im deutschen Südwesten nach 1945.

Verschiedenes
Ein Festabend zum 90-jährigen Bestehen mit Abendessen ist für 12. Oktober, 18 Uhr, im Welfensaal des Bürgerzentrums geplant, die Teilnahme kostet 20 Euro. Am 19. Oktober, 19 Uhr, wird im Schwanensaal ein Film von und mit Waiblingern gezeigt. Am 24. Oktober gibt es dort ein Podiumsgespräch zum Thema Heimat. Am 21. November, 19 Uhr, liest Johanna Kuppe Geschichten und Gedichte von Heimat und Fremde in der Stadtbücherei.