Die Heilandskirche mit ihrem Kirchturm im neo-romanischen Stil wurde am 2. Dezember 1913 eingeweiht. Foto: Archiv Heilandskirche

Die Heilandskirche wird 100. Dazu hat es einen Vortrag über ihre Stifterin Vera gegeben. Etwa 60 Interessierte hatten sich im Gemeindesaal versammelt, um mehr über das Leben von Wera von Württemberg zu erfahren.

S-Ost - Genau am 50. Jahrestag ihrer Ankunft in Stuttgart sollte die Kirche eingeweiht werden. Wera von Württemberg, Stifterin der Heilandskirche im Osten Stuttgarts, erlebte diesen Tag leider nicht mehr. Am 2. Dezember feiert die Kirche nun ihr 100-jähriges Bestehen. Sabine Thomsen, Leiterin von Kultur- und Studienreisen, deren Fachgebiet Frauen aus dem Hause Württemberg sind, hat dort am Mittwoch einen Vortrag über das Leben der eigensinnigen Herzogin gehalten.

Adoption statt Anstalt

Der Gemeindesaal der Heilandskirche füllt sich. Albrecht Hoch, Pfarrer der Gemeinde, begrüßt die Gäste. Viele kennen sich, es wird geplaudert. Etwa 60 Besucher sind es, die mehr über Wera von Württemberg erfahren möchten. Die Quellenlage sei sehr gut, sagt Simone Thomsen, denn das sei noch nicht lange her. Bis vor Kurzem habe es sogar noch Zeitzeugen gegeben - Menschen, die Wera persönlich gesehen hatten.

Geboren wurde Wera Konstantinowna Romanowa am 16. Februar 1854 in Sankt Petersburg als Tochter von Großfürst Konstantin Nikolajewitsch Romanow und seiner Frau Großfürstin Alexandra. Wera galt als schwer erziehbar, sie trat und streckte die Zunge heraus. Thomsen erklärt, dass so etwas in Adelskreisen als ungehörig galt. Die Familie attestierte ihr sogar eine psychische Störung und überlegte, Wera in eine Anstalt zu geben. Dann fand sich aber doch eine bessere Lösung: Weras Tante, Kronprinzessin Olga von Württemberg, war selbst kinderlos und erklärte sich bereit, das Kind aufzunehmen.

Somit kam Wera im Alter von neun Jahren nach Stuttgart. Dort strapazierte sie zu Beginn die Nerven der neuen Pflegeeltern. Nach und nach verbesserte sich die Situation und im jugendlichen Alter hatte sich ihr Benehmen normalisiert.„Und aus dem Wildfang wurde eine gesittete, junge Frau“, beschreibt Thomsen den Wandel. Schließlich wurde Wera mit 17 Jahren von König Karl I. von Württemberg und Königin Olga von Württemberg adoptiert.

Tod des Ehemanns durch ein Duell

„Einen Ehemann für Wera zu finden war nicht einfach“, sagt Thomsen. Sie sei zwar sehr romantisch gewesen, aber auch sehr freiheitsliebend – und ausgesehen habe sie wohl eher wie ein Mann. Schließlich fand sich doch noch jemand und so heiratete Wera im Jahr 1874 in Stuttgart mit großem Prunk und einer Mitgift von einer Million Rubel Herzog Wilhelm Eugen von Württemberg. Die ersten Ehejahre verliefen, laut Thomsen, glücklich. Wera bekam drei Kinder: Ein Junge starb noch im Säuglingsalter. Danach bekam sie Zwillinge – die Mädchen Elsa und Olga. Diese waren für die kinderlosen Adoptiveltern Weras eine große Freude, wie Thomsen erläutert.

Drei Jahre nach der Hochzeit ließ Eugen sich nach Düsseldorf versetzen. Dort starb er kurz nach seiner Ankunft, worunter Wera sehr gelitten haben soll. Es gab viele Geschichten über seinen Tod. Manche erzählten, er sei an einer Rippenfellentzündung gestorben, andere, dass er vom Pferd gefallen sei. In Wahrheit hatte sich Eugen jedoch duelliert. „Das ging gar nicht“, sagt Thomsen, denn Duelle seien damals strafrechtlich verfolgt worden. Ein Herzog der durch ein Duell ums Leben gekommen sei, wäre ein Skandal gewesen.

Wera war jung, unabhängig und reich. „Und was machen Frauen dann? Genau, sie gehen auf Reisen“, behauptet Thomsen. Wera reiste viel, sie war oft in Sankt Moritz und auch in ihrer Heimat in Russland. Kulturell war sie sehr interessiert, sie verehrte Wagner und war eine große Kunstmäzenin. Selbst lebte sie einen gutbürgerlichen Lebensstil, ihre große finanzielle Unterstützung galt sozialen Einrichtungen. Als sie hörte, dass im Stuttgarter Hauptbahnhof ein unverheiratetes Dienstmädchen sein neugeborenes Kind umgebracht hatte, gründete sie das erste Frauenhaus Stuttgarts, das Wera-Heim. Sie schrieb damals das Haus sei „zur Rettung für Seele und Leib“.

Neuaufbau der Kirche um die Überrest herum

1909 konvertierte Wera zur Überraschung vieler zum evangelischen Glauben. Sie begründete diesen Schritt damit, dass sie zu einer Württembergerin geworden war, und ihr daher dieser Glaube näher stehen würde. Trotzdem hat sie auch weiterhin den orthodoxen Gottesdienst besucht. Johannes Kaßberger, Priester der Heiligen-Alexander-Nevskij-Gemeinde in Stuttgart, sagt dazu: „Wir sollten uns Wera zum Vorbild nehmen, die Kirchen sollten sich gegenseitig bestärken.“ Kurz vor ihrem Tod am 11. April 1912, stiftete sie dann die Heilandskirche. Leider konnte sie die Grundsteinlegung nicht mehr miterleben.

Auch die Heilandskirche hat eine Geschichte hinter sich: Sie sei zuerst im romanischen Stil erbaut worden, beschreibt Pfarrer Hoch die Entwicklung. Im zweiten Weltkrieg seien nur der Turm und die Vorhalle erhalten geblieben. Der Rest wurde zerstört. Vor 50 Jahren wäre die Kirche dann um diese Überreste herum wieder neu errichtet worden.

Am 1. Dezember wird anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Einweihung den ganzen Tag in der Heilandskirche gefeiert. Um 10.30 Uhr beginnt der Tag mit einem Festgottesdienst mit Dekan Søren Schwesig und dem Chor Gospel im Osten. Danach folgt ein Empfang im Gemeindesaal der Kirche und außerdem die Kirchenwahl. Zum Abschluss gibt es um 19 Uhr noch einen Abendgospel, um die Feierlichkeiten ausklingen zu lassen.