Moderne Technik stellt uns Wunschmusik überall zur Verfügung. Viele Nutzer fragen sich, ob das auch mit journalistischen Angeboten klappen könnte. Foto: Mauritius

Was für Popmusik funktioniert, ist im Journalismus nur ein Nischenprodukt. Zum Glück, zumindest aus Sicht von Redaktionen und Verlagen. Dass das Modell nicht genug Geld abwirft, ist nur eines von mehreren Problemen.

Stuttgart - Journalistische Inhalte sind ähnlich wie Musikaufnahmen. Sie können beliebig oft vervielfältigt werden und müssen auf möglichst unkompliziertem Wege zum Leser gelangen – aber dennoch so, dass der dafür zahlt. Weil man im Internet beliebig viele Inhalte beliebig bündeln kann, ist es nur noch ein kleiner Gedankenschritt bis zu dem Vorschlag, den Michael Krause für die Nachrichtenbranche hat: eine einzige, zentrale Plattform, auf der man zum Festpreis alle Beiträge aller deutschen Zeitungen und Zeitschriften lesen kann. Krause trommelt seit einigen Monaten für diese Idee – obwohl er, wie er sagt, in das Geschäft nicht einsteigen will. Er wolle nur die Erkenntnisse teilen, die er in den vergangenen zwanzig Jahren im Musikgeschäft gesammelt hat.

Das Geschäftsmodell der Musikbranche wurde in diesem Zeitraum auf den Kopf gestellt. Das fing mit einbrechenden CD-Verkaufszahlen und illegalen Downloadplattformen wie Napster an und führte über legale Musikdownloads zum aktuell erfolgreichen Streaming-Modell: also via Internet permanent zugänglichen, Millionen Titel umfassenden Online-Musikbibliotheken. Spotify ist der größte und bekannteste Anbieter, auf dem Markt tummeln sich außerdem Dienste von Apple, Google, Amazon oder Deezer; bei Letzterem ist Krause fürs internationale Geschäft zuständig.

Selbe Inhalte, neue Darreichungsform

Der 38-Jährige sieht im Journalismus jetzt, mit einigen Jahren Verspätung, ähnliche Mechanismen am Werk wie einst im Musikgeschäft. „Die Nachrichtenbranche ist heute da, wo die Musikwelt etwa 2004 stand: ein kleiner Knacks im Vertrieb, skeptische Anzeigenkunden, man spürt den Einfluss der Digitalisierung.“ Wie im Musikgeschäft sei ein neues Vertriebsmodell die Lösung: „Eine Flatrate für alle Zeitungsinhalte wäre für die Kunden das beste. So könnte man auch Gelegenheitsleser anfixen“, sagt Krause. Ein solcher Dienst könne wie Spotify und Co. einen Abopreis für die Nachrichten-Flatrate erheben (Musikstreamingdienste nehmen standardmäßig zehn Euro im Monat), diese Einnahmen würden dann auf die Hersteller der Nachrichten, also meistens Verlage, aufgeteilt. Das wäre laut Krause jedenfalls besser als dass wie bisher jeder Verlag seine Inhalte selbst vertreibt – also Abonnements, Online-Tageszugänge oder die Zeitung am Kiosk verkauft.

Die gute Nachricht für alle, denen genau das bisher gefehlt hat: Solche Angebote gibt es bereits. Sie heißen Blendle, iKiosk oder Readly und umfassen mehrere Dutzend bis mehrere Hundert deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften im Volltext. Nutzer können einzelne Artikel, ganze Ausgaben und sogar Abonnements erwerben. Einzelne Texte gibt es für wenige Cent, eine Ausgabe der Stuttgarter Zeitung kostet bei dem Springer-Dienst iKiosk (wie auch über die entsprechenden StZ-Kanäle) 1,99 Euro, ein E-Paper-Monatsabo 23,99 Euro. Bei dem schwedischen Anbieter Readly ist sogar das vom Musikstreaming bekannte Flatrate-Modell etabliert: Für zehn Euro im Monat kann man dort mehr als 2000 Zeitschriften lesen, 500 davon deutschsprachig – von „Auto, Motor und Sport“ über „Kicker“ bis zum „Playboy“.

Ist die Zukunft also längst Realität? Das lässt sich schwerlich abschätzen, denn die genannten Dienste veröffentlichen keine Nutzerzahlen. Von Readly lässt sich nur erfahren, dass im ersten Quartal im deutschsprachigen Raum 3,3 Millionen Magazinausgaben abgerufen wurden. Eine Springer-Sprecherin sagt lediglich, dass iKiosk wachse. Blendle meldet, dass die Anzahl der Nutzer im zweistelligen Prozentbereich zunehme – und dass jüngst die japanische Mediengruppe Nikkei sowie ein Investmentfonds eingestiegen sind. Springer ist ebenfalls an dem Dienst beteiligt.

Das Problem: die Erlöse

Immer wieder heißt es in Branchenkreisen, dass man den Nutzen und Komfort der Angebote zwar erkenne – sie aber kaum relevante Erlöse abwürfen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die genannten Anbieter etwa in Flugzeugen oder auf Kreuzfahrten neue potenzielle Lesergruppen ansprechen.

Doch die Probleme müssen nicht zwingend an den Nutzerzahlen liegen – zumindest aus Sicht der Verlage ist das Geschäftsmodell von zweifelhaftem Wert. Vom Preis, den der Endkunde zahlt, behalten die Plattformen um die zehn Prozent als Vermittlungsprovision; liest der Kunde den Text auf seinem Mobilgerät, wird obendrauf ein Anteil für Apple oder Google fällig. Die Verlage erstellen die Inhalte also weiterhin selbst und tragen den Großteil der Kosten – erhalten aber nur etwas mehr als die Hälfte dessen, was sie über die eigene Website oder Aboabteilung erlösen können.

Wenn sich daran nichts ändert, haben langfristig auch die Leser nichts von den digitalen Kiosken oder Flatrates. Redaktionen kosten schließlich auch im digitalen Zeitalter Geld, und journalistische Inhalte werden in der gewohnten Qualität nur erstellt, wenn sie Erlöse abwerfen. Einem Dienst wie Blendle, der konsequent auf Bezahlinhalte setzt, hilft es allerdings auch nicht, dass es die dort nur gegen Bezahlung verfügbaren Inhalte oftmals auf Zeitungs- oder Magazinwebseiten gratis zu lesen gibt – in deren Hoffnung auf digitale Reichweite und Werbeerlöse.

Was wird gelesen?

Letztlich geht es auch darum, was die Nutzer wollen – und wie die Dienste in die Art und Weise eingreifen, mit der journalistische Inhalte konsumiert werden. Der Springer-Dienst iKiosk macht laut einer Sprecherin den größten Teil des Umsatzes mit Einzelausgaben. Bei Blendle hingegen sind die meistgelesenen Texte meist diejenigen, die den Kunden im täglichen Newsletter empfohlen werden. Außerdem experimentiert der Dienst in seiner niederländischen Heimat mit einem Abomodell, das Kunden für zehn Euro monatlich eine personalisierte Auswahl von Artikeln zugänglich macht.

Damit ist man nicht mehr weit von den auf Musikstreamingdiensten einflussreichen Playlists entfernt, die teils von menschlichen Kuratoren, teils von Algorithmen zusammengestellt werden. Songs, die es auf solche Playlists schaffen, werden meist millionenfach abgerufen und werfen entsprechend Erlöse ab, die meisten anderen dagegen kaum. So richtig profitabel ist das vor allem für große Plattenfirmen, die auf die Kuratoren Einfluss nehmen können und besonders beliebte Künstler im Programm haben. Auf den Journalismus übertragen heißt das: Ein solches Modell lohnt sich, wenn überhaupt, für Großverlage – und jene, die Art und Aufmachung der Inhalte darauf ausrichten, dass Multiplikatoren oder ein Algorithmus sie den Lesern empfehlen. Die von Blendle selbst veröffentlichten „Charts“ zeigen, dass vor allem Beiträge mit knackigen Thesen oder Nutzwert sowie spektakuläre Reportagen im Einzelverkauf gut laufen.

„Es ist unglaublich schwierig, ‚entdeckt‘ zu werden und die Leser dazu zu bringen, zu zahlen“, schreibt der dänische Medienanalyst Thomas Baekdal. Wenn überhaupt, dann würden nur thematisch spezialisierte Plattformen funktionieren, etwa für Computer, Fotografie oder Reportagen. „Ein großes, beliebiges ‚Spotify für Nachrichten‘ ist aber der falsche Weg“, schreibt Baekdal – eben weil dort ein gewaltiges Geschrei um die knappe Aufmerksamkeit und damit auch das Geld der Nutzer zu erwarten ist.

Noch etwas lehrt der Aufstieg der Musikstreamingdienste: dass das klassische, in hübscher Verpackung mehrere Songs zusammenfassende Popalbum nicht mehr die einzige Art ist, Musik zu hören. Und auf die Nachrichtenbranche übertragen heißt das: Es gibt Alternativen zur Tageszeitung – aber eben keine Alternative zu gutem Journalismus.