Bundespräsident Steinmeier bei der Diskussion über „Fake News“ in Schloss Bellevue Foto: dpa

Was muss Journalismus im Zeitalter von Donald Trumps Twitter-Orgien, Falschnachrichten und Verschwörungstheorien leisten? Bundespräsident Steinmeier hat bei einer Diskussion mit Journalisten gemahnt – und ein düsteres Bild des Internetzeitalters gezeichnet.

Berlin - Dass die Grenze zwischen „Fakt oder Fake“, Tatsachen oder Fälschung, im Zeitalter der modernen Internetmedien zunehmend verwischt, sieht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als wachsende Gefahr für die Demokratie. „Wir dürfen nie den Anspruch aufgeben, zwischen Tatsachen und Bewertungen zu unterscheiden“, mahnte Steinmeier am Mittwoch in Berlin. „Von der Möglichkeit, diese Unterscheidung zu treffen, hängt nicht weniger als die Zukunft unserer Demokratie ab.“ In Zeiten, in denen das Streuen gezielter Falschinformationen, der Glaube an Verschwörungstheorien und die Zersplitterung der Öffentlichkeit in einzelne Filterblasen, die nur noch mit sich selbst kommunizieren, und sinkende Auflagen von Tageszeitungen zum Alltag gehören, ist Steinmeiers Appell für Bürger, Medien und Politiker eine Herausforderung. „Der Kampf gegen die Desinformation ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit“, betonte Steinmeier.

Die Epidemien des Informationszeitalters

Deshalb hat er das dritte „Forum Bellevue“, der Frage „Fakt oder Fake? Über einen bedeutenden Unterschied für die Demokratie“, gewidmet. In den Augen des Bundespräsidenten besteht die Demokratie aus mündigen Bürgern, die in der Lage sein wollen, sich in einer komplexen Welt ihr eigenes Urteil zu bilden. Wo „die epidemische Verbreitung von Desinformation im Internet, die gewaltige Kraft der digitalen Medien, aber auch die Vielfalt der Angriffe auf den öffentlichen Vernunftgebrauch“ die gesellschaftliche Realität mitbestimmen, wird das immer schwerer.

Zwar legte Steinmeier Wert darauf, sich ausdrücklich von Kulturpessimismus und Alarmismus abzugrenzen, aber seine Sicht ist düster. So zitierte er die Aussage eines Medienwissenschaftlers, wonach „Desinformation die Pest der digitalisierten Gesellschaft“ ist; der Schwarze Tod hat im Mittelalter ein Drittel der Bevölkerung Europas ausgemerzt.

„Unsere Aufgabe ist es, unsere Aufgabe zu machen“

Der problematischen Medienwirklichkeit zum Trotz, die in der Diskussion niemand bestritt, teilten Steinmeiers Gäste seinen Pessimismus nicht. „Die liberalen Demokratien sind sehr stabil“, sagte „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt. Immerhin ermöglichten Twitter, Facebook und andere Internetkanäle Journalisten heutzutage, mehr Leser für ihre Texte zu finden als jemals zuvor. Dass klassische Medien auch in Deutschland und Europa als „Lügenpresse“ oder „Systemmedien“ diffamiert würden, will er als Herausforderung nehmen. Gerade jetzt komme es vor allem darauf an, Fehler in der Berichterstattung zu vermeiden, betonte die NDR-Journalistin und Vorsitzende des journalistischen „Netzwerk Recherche“, Julia Klein. Wo sie dennoch passierten, müssten die Redaktionen eine offene Fehlerkultur praktizieren und stärker die „Geschichten der Bürger erzählen“.

Jeff Mason, der als Korrespondent für die Nachrichtenagentur Reuters im Weißen Haus an der Frontlinie der Auseinandersetzung mit dem Alternativfakten-Twitterer Donald Trump steht, setzt auf nichts anderes als Journalismus. „Unsere Aufgabe ist es, unsere Aufgabe zu machen“, betonte er. Der Tübinger Amerikanistik-Professor Michael Butter, der sich in seiner Forschung viel mit dem Thema befasst hat, wies darauf hin, dass es Verschwörungstheorien schon immer gegeben hat. Durch das Internet seien sie heute aber sichtbarer und könnten sich besser verbreiten. „Sie sind attraktiv, weil sie Chaos ausschließen und der Welt einen Sinn geben“, sagte Butter.