Die monumentalen Skizzen des württembergischen Hofmalers Gegenbaur künden von Macht und Repräsentationsbedürfnis von König Wilhelm I. und seinen Ahnen.
Stuttgart - Ausgestellt waren die Entwurfskartons von Joseph Anton von Gegenbaur (1800– 1876) zu seinem Freskenzyklus im Neuen Schloss noch nie. Den Anlass zu dieser Premiere liefert jetzt das 50-Jahr-Jubiläum des Wiederaufbaus der vom Zweiten Weltkrieg hinterlassenen Schlossruine. Als sich der Landtag endlich zum Erhalt des Baudenkmals durchrang, tat er das allerdings erst nach jahrelangen leidenschaftlichen Debatten und mit nur einer einzigen Stimme Mehrheit. Es hätte an gleicher Stelle auch ein Hotel oder ein Warenhaus errichtet werden können. Tatsächlich ist das nun effektiv „Neue Schloss“ nach Maßgabe moderner Bautechnik wiedererstanden, weshalb es nicht unter Denkmalschutz steht, sondern als „Zeugnis des Wiederaufbaus“ gilt. So oder so erzählen aber nun beinahe am selben Ort, wo von Gegenbaurs Fresken sich ursprünglich befanden, vier seiner restaurierten Zeichnungen „württembergische Geschichte in Bildern“.
Die ungewöhnliche Schau verdankt sich den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg und nicht abgerufenen Staatlichen Toto-Lotto-Mitteln. Nicht zuletzt versteht sie sich als ein Schritt hin zum „Bürgerschloss“, das jedermann offen stehen soll.
Dass die stattlichen 3,5 Meter hohen und bis zu fünf Meter breiten Kartons jetzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, ist ein Glücksfall und hängt mit ihrer Größe zusammen, die exakt dem Umfang der zerstörten Fresken entspricht. Wegen ihrer außerordentlichen Qualität wurden sie im Museum der Bildenden Künste, der heutigen Staatsgalerie, aufbewahrt und nicht entsorgt, dort aber wegen ihres Formats nie ausgestellt, weshalb sie im Austausch mit Gemälden im Schloss Ludwigsburg unterkamen. Dort entgingen sie glücklicherweise der Zerstörung im Krieg. Jetzt wurden sie unter der Leitung des Restaurators der SSG, Felix Muhle, von einem Team externer Fachkräfte sorgfältig restauriert, gereinigt, retuschiert, ausgebessert und auf Leinwand als Trägermaterial geklebt. Neuland betrat man bei der Präsentation der empfindlichen, aber schweren Kartons, die nun von einer eigens entwickelten Gerüstkonstruktion gestützt werden, wie man sie sonst von Baustellen her kennt.
Den Auftrag zu dem umfangreichen, insgesamt sechzehn Bilder umfassenden Freskenzyklus erhielt Joseph Anton von Gegenbaur von König Wilhelm I. von Württemberg bald nach seiner Ernennung zum Hofmaler 1835. Mit dem Aufstieg Württembergs zum prosperierenden Königreich ging ein gesteigertes Bedürfnis nach Repräsentation einher, das in Wilhelms Sympathie für die bildenden Künste einen fruchtbaren Nährboden fand. Als Stipendiat des Königs hielt sich der aus Wangen im Allgäu stammende Maler zwischen 1823 und 1835 immer wieder in Rom auf und revanchierte sich bei seinem Gönner mit Gemälden. Schon 1826 führte er im Auftrag Wilhelms das Deckenfresko zum Thema „Psyche und Amor“ im Schloss Rosenstein aus. Nachdem Ludwig I. von Bayern in seiner Münchener Residenz Szenen aus dem Leben Karls des Großen, von Friedrich Barbarossa und Rudolf von Habsburg favorisiert hatte, sollten im Stuttgarter Schloss die ruhmreichen Taten der Ahnen Wilhelms zum Zug kommen.
Der Aufstieg des Landes zur Grafschaft und zum Herzogtum verdankt sich, so ist den vier gezeigten Beispielen zu entnehmen, siegreich bewältigten Schlachten. Prominente Protagonisten dieser Auseinandersetzungen sind Graf Eberhard I. (1265–1325), Graf Eberhard II. (1315– 1392), Graf Eberhard V. im Barte (1445– 1496) und Graf Ulrich der Vielgeliebte (1413–1480). Die kunstreich inszenierten, raffiniert komponierten, detail- und figurenreichen Entwurfszeichnungen lassen verstehen, warum das 19. Jahrhundert das Historiengemälde an die Spitze in der Hierarchie der bildenden Künste setzte. Freilich wird einem angesichts etlicher dramatischer Gesten im Getümmel auch bewusst, dass sich die Faszination solch theatralischer Bilder mit dem Aufkommen des Films bzw. ungleich brutalerer Fotodokumente aus den Kriegen des 20. Jahrhunderts verloren hat.
Gleichwohl ist der künstlerische Rang der Arbeiten nicht zu leugnen. Wie der Künstler mit dem Helldunkel fein abgestufter Grauwerte Raum und Tiefe schafft und bei der „Belagerung Stuttgarts durch Kaiser Rudolf von Habsburg 1286“ im Gegenlicht eine Schlüsselszene des Geschehens zelebriert, ist zu bewundern. Vor der Kulisse der Stadt und der fernen Stiftskirche stürmt Eberhard I. mit gezogenem Schwert von rechts heran, während die Soldaten des Kaisers schon fliehend aus dem Bild drängen, der Kaiser hoch zu Ross zögert und Albrecht von Hohenberg, dem kaiserlichen Landvogt von Niederschwaben, das Schwert aus der Hand fällt. Strittig gewesen waren territoriale Erweiterungen Graf Eberhards, die der Kaiser nicht akzeptieren wollte.
Auch „Die Gefangennahme der Schlegler und die Zerstörung Bernecks 1395“ festigte die Macht der Grafschaft Württemberg. Der Schleglerbund einte niedere Adelsgeschlechter, die sich der mächtigeren Nachbarn Baden, Württemberg und Kurpfalz erwehren wollten.
Mit der vor der brennenden Burg geschilderten Gefangennahme nahte die Auflösung dieses Bundes. Im dritten Bild weisen zwei junge Frauen dem heranreitenden Graf Eberhard V. im Barte den Weg nach Jerusalem. Zuvor war er nach dem Besuch am Grab des heiligen Georg in Jaffa (heute: Tel Aviv) zum Ritter geschlagen worden. Und so, wie ein Reiterdenkmal im Profil und von einem Bogen überwölbt, feiert ihn auch der monumentale Entwurf von Gegenbaurs.
Am heftigsten tobt „Die Schlacht bei Esslingen 1449“, die im Streit um erhöhte Wegzölle der Freien Reichsstadt entbrannte. Hier verdichten sich die energisch waltenden Kräfte in einem Dickicht dynamischer Schrägen, die sich nahe der Bildmitte kreuzen. Graf Ulrich V. hält das erbeutete Banner der Stadt, während dessen Träger von seinem Pferd gestoßen wird. Auch Hauptmann Hieronymus Bopfinger von Nördlingen, der das Pferd Ulrichs aufzuhalten sucht, gerät unter der Wucht von Ross und Reiter ins Wanken. Und auch hier sucht, wer zu verlieren droht, ob Mann, ob Pferd, sein Heil in der Flucht, fast außerhalb des Bilds am unteren Rand.
Die Ausstellung im Stuttgarter Neuen Schloss ist bis zum 13. September täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt: 5 Euro (ermäßigt: 2,50 Euro). Informationen: 07 11 / 66 73 43 31