Marco Goecke mit Schülern der John Cranko Schule Foto: Stuttgarter Ballett

Mit dem neuen Stück „A Spell on You“ des Stuttgarter Hauschoreografen Marco Goecke definieren die Tänzer der John Cranko Schule individuelle Körperlichkeit neu.

Stuttgart - Die John Cranko Schule ist für das Stuttgarter Ballett zum wichtigsten Quell für den Nachwuchs geworden. Sieben Absolventen der diesjährigen Akademie-Abschlussklasse holt Ballettintendant Reid Anderson in die Kompanie. Nicht allein ihr breites Repertoire erzwingt, dass Schuldirektor Tadeusz Matacz für die Auftritte seiner Zöglinge im Opernhaus außer Klassisches auch Modernes im Programm hat.

Diese Mischung wäre der John Cranko Schule am Pfingstwochenende wohl auch ohne eine Uraufführung von Marco Goecke gelungen. Schließlich war die zeitgenössische Spielart des Bühnentanzes gut vertreten: durch den akzentgenauen Pas de deux „Touch me“ zu Maschinengeräuschen, das in Deutscher Erstaufführung von Yume Okano als fließende Kalligrafie dargebotene Prix-de-Lausanne-Solo „Bow“ von Goyo Montero, die zu afrikanischen Rhythmen raumgreifend zirkulierenden Gesten von Alice Pernão in „Miriade“ und durch „Moon Marchin’“ für fünf gut aufgelegte Jungs der Klasse 3. Als Highlight dürfen Uwe Scholz’ „Notations I – IV“ zur sicht- und hörbaren Partitur von Pierre Boulez gelten, die der ehemalige Stipendiat der John Cranko Schule Adhonay Soares da Silva – mittlerweile im Corps de Ballet – ausdrucksstark in schönster Perfektion verkörperte.

Bei Goecke werden die Tänzer-Persönlichkeiten unverwechselbar

Was für ein Glücksfall aber, dass der international gefragte Stuttgarter Hauschoreograf Goecke mit „A Spell on You“ zu einem exotischen Klangteppich und Songs von Nina Simone den Eleven die Chance gab, seine ganz eigene Definition von Virtuosität mit jeder Muskelfaser ihrer jungen Körper zu erfassen. Ohne dass der Schrittmacher sein Vokabular vereinfacht hätte, gelang die Verwandlung ad hoc: Unter dem Zauberlicht von Udo Haberland verdichten sich die prismatisch zerlegten Elementarteilchen von Goeckes oberkörperbetonten Tanzsilben zu traumverlorenen Splittern und bringen im Blitzgewitter der Körperlinien die Unverwechselbarkeit jedes Protagonisten viel deutlicher zum Vorschein als die klassischen Darbietungen des Abends: „Klassische Symphonie“, „Italiana“ und „Ausschnitt aus Najade und der Fischer“. Diese stellen bei allem Liebreiz die tanztechnische Leistung in den Mittelpunkt, weniger den Tanz als künstlerische Reflexions- und Erzählform.

Kurzweiliger Reigen

Und so mag man sich am Ende auch gern an den kurzweiligen Reigen „Spirits of Nature“ erinnern, den die Klassen 1 bis 5 als raumfüllendes Ensemble zeigten. Doch ergriffen bleibt man von Marco Goeckes neuestem Coup (assistiert vom Corps-Mitglied Ludovico Page) und der reifen Leistung seiner jungen Interpreten. Nicht nur dank der langen Silberketten an den Hosen und den manuell ausgelösten Feuerzeug-Blitzen besticht „A Spell on You“ mit einem hochpoetischen Funkeln, das viel mehr mitteilt als Worte je könnten.

Am 26. Juni ist das Programm erneut um 11 Uhr im Opernhaus zu sehen.