Sascha Vorontsov ist der Entdecker von Jogi Bitter und hat seine Karriere wie kein anderer geprägt. Der gebürtige Russe gehört zu den profiliertesten Handball-Torwart-Trainern der Welt. Das Derby in Stuttgart ist für ihn ein ganz besonderes Spiel.
Göppingen - Immer wieder nimmt Alexander Vorontsov einen gelben Tennisball aus seinem Bauch-Rucksack und donnert ihn mit voller Wucht aufs Handballtor. Daniel Rebmann und Urh Kastelic versuchen die fliegenden Kugeln abwechselnd abzuwehren. Den beiden Torhütern von Handball-Bundesligist Frisch Auf Göppingen rinnt der Schweiß von der Stirn. Bei Vorontsov blitzt ein Lächeln auf: „Wer die kleinen Bälle hält, hält die großen erst recht“, sagt er. In den Pausen greift der Torwarttrainer immer wieder korrigierend ein. „Sascha ist detailversessen, er achtet auf die Stellung von jedem einzelnen Finger“, sagt Rebmann – und ergänzt mit einem Lächeln: „Wenn man gut mitzieht, ist er ein sehr netter Mensch.“
Derby an diesem Sonntag
Hart, aber herzlich – so könnte man die Schule von Vorontsov bezeichnen. Er gehört zu den profiliertesten Torwart-Trainern der Welt. Der prominenteste Schützling seiner Laufbahn ist der Mann, auf dessen Verein Frisch Auf an diesem Sonntag (13.30 Uhr/Porsche-Arena, es gibt noch etwa 900 Karten) trifft: Johannes „Jogi“ Bitter vom TVB Stuttgart. Vorontsov deutet auf den schwarzen Korb, mit dem er die gelben Filzkugeln in der EWS-Arena wieder einsammelt. „Den hat mir Jogi geschenkt“, sagt der 57-Jährige, der frühere Erstligatorwart von Poliot Tscheljabinsk (Russland), Lokomotive Travana (Slowakei) und Dukla Prag (Tschechien).
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Damit kein falscher Verdacht aufkommt: Aktuell trainiert er den Nationalmannschaftskeeper vom Ligarivalen nicht mehr, doch mehrmals in der Woche haben die beiden Kontakt. Vor dem Derby wird es etwas weniger oft der Fall sein. Dennoch: Vorontsov ist Bitters Mentor. Sie sind Freunde. „Sascha hat alle meine privaten und sportlichen Höhen und Tiefen begleitet“, sagt Bitter, „er ist so etwas wie meine Basis.“ Klar sei es wichtig gewesen, dass ihn der neue Bundestrainer Alfred Gislason 2003 beim SC Magdeburg ins kalte Wasser geworfen habe, „aber ohne Sascha wäre ich nie da, wo ich jetzt bin“, betont der 37-Jährige.
„Knochen und Ohren“
Um zu verstehen, woher diese innige Verbindung rührt, ist ein Rückblick ans Ende der 1990er Jahre fällig. Bei einem Probetraining für Nachwuchstorhüter im niedersächsischen Varel stellte sich auch ein 15-jähriger, schon damals 1,90 Meter großer Schlaks, vor. „Knochen und Ohren standen vor mir“, sagt Vorontsov schmunzelnd. Der junge Mann machte keinen besonders sportlichen Eindruck. Doch Vorontsov, damals Torwart und Torwart-Trainer beim Zweitligisten SG VTB Altjührden, gab ihm eine Chance. Warum? Weil er spürte, dass dieser Rohdiamant deutlich cleverer war als Gleichaltrige, dadurch schneller lernte und alles gibt, um ein Ziel zu erreichen. Genau solche Typen reizen Vorontsov.
Vorontsov genießt den Prozess
Er fühlt sich dann wie ein Künstler, der mit feinem Händchen etwas modelliert, um am Ende das perfekte Werk vor sich zu haben. „Für mich ist nicht entscheidend, ob der Spieler später Titel gewinnt, ich genieße den Prozess“, stellt der gebürtige Russe klar. Er bezeichnet das selbst als egoistisch, doch letztendlich profitieren von seiner Leidenschaft an der Arbeit die Torhüter. Daniel Rebmann hat bei Frisch Auf enorme Fortschritte gemacht, dank seines torwartspezifischen (Athletik-)Trainings. Die Niederländerin Tess Wester („Vorontsov: „Sie hat wie Jogi diese Kopf-durch-die-Wand-Mentalität“) hat er einst beim VfL Oldenburg zur Weltklasse-Torfrau entwickelt, auch Isabell Roch hat er in gemeinsamen Zeiten bei der TuS Metzingen zum Sprung in die Nationalmannschaft verholfen.
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Zu keinem anderen Keeper hat Vorontsov aber einen solch engen Draht wie zu Jogi Bitter. Dass die beiden trotz des Altersunterschieds von 20 Jahren auf einer Wellenlänge liegen, hat sich einst bei einem Kaffeekränzchen herausgestellt. Vorontsovs damalige Frau, eine Musiklehrerin, hatte Bitters ehemaliger Freundin Bernadette Klavierunterricht gegeben und ihre Schülerin samt Freund zu sich und ihrem Mann nach Hause eingeladen. Aus den Gesprächen im Hause Vorontsov entwickelte sich dann eine sehr enge Freundschaft.
Rüffel via Sprachnachricht
Dazu gehört auch, sich ungeschminkt die Meinung zu sagen. Das tut Vorontsov. Da kommt dann auch mal ein Rüffel via Sprachnachricht aufs Bitters Handy. „Sascha ist kein Politiker, er ist als Mensch gradlinig und unbestechlich, immer fordernd, und bei seinen Einheiten muss man über die Grenzen hinausgehen“, erinnert sich Bitter, der beim TVB Stuttgart mit Athletik- und Torwarttrainer Karsten Schäfer zusammenarbeitet.
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Vorontsov hat einen festen Vertrag bei Frisch Auf Göppingen, nebenbei kümmert er sich einmal pro Woche auch um die Keeper des Bundesliga-Konkurrenten HBW Balingen-Weilstetten. Seine Dienste sind gefragt. Nur einmal kam es ganz schnell zu einer Trennung. Als Rolf Brack Frisch Auf im September 2017 übernahm, verabschiedete sich Vorontsov nach zwei Trainingseinheiten. Zu unterschiedlich waren die Ansichten. „Er war nie Torwart und wollte mir das Torwarttraining erklären, da passte nicht“, erklärt Vorontsov, der in seiner Freizeit gerne historische Bücher und Filme anschaut sowie angelt. Diese Hobbys verbinden ihn genauso wie das Geburtsdatum 7. September mit dem neuen Bundestrainer Alfred Gislason. Der wollte ihn einst als Torwarttrainer zum THW Kiel holen.
Andersson und Camdzic
In der deutschen Nationalmannschaft kümmert sich künftig Mattias Andersson um die Torhüter. Der Schwede gilt neben Jasmin Camdzic, der bei der HSG Wetzlar Andreas Wolff, Benjamin Buric Till Klimpke formte, als eine der wenigen Torwart-Trainer Koryphäen der Branche. Hinzu kommt Sascha Vorontsov, der Künstler für die Keeper, der Jogi Bitter zum Weltklasse-Torhüter machte – beim Derby am Sonntag aber zwei anderen Keepern die Daumen drückt.
Wir haben Fotos von Torwarttrainer Alexander Vorontsov und von Spielern zusammengestellt, die für den TVB Stuttgart und Frisch Auf Göppingen im Einsatz waren. Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie!