Joe Biden steht eher für die Vergangenheit als die Zukunft der demokratischen Partei – und liegt dennoch gut im Rennen. Foto: AP/Marcio Jose Sanchez

Manche hatten ihn schon für abgehängt erklärt, am „Super Tuesday“ meldete sich Joe Biden nun eindrucksvoll zurück. Plötzlich wird das Rennen um die Kandidatur der US-Demokraten wieder spannend.

Washington - Vor wenigen Wochen hatte es noch so ausgesehen, als habe sich Joe Bidens Wahlkampagne totgelaufen. Als habe der ewige Favorit seine Trümpfe zu früh ausgespielt. Doch nach dem „Super Tuesday“, dem Abstimmungstag in den US-demokratischen Vorwahlen, bei dem in 14 US-Staaten gleichzeitig „Primaries“ stattfinden, hat sich das Bild gewandelt: „We are very much alive“ („Wir sind noch sehr lebendig“), rief Biden am Abend seinen jubelnden Anhängern zu. In mindestens neun Staaten hatte der 77-Jährige die Nase vorn und knöpfte seinem politisch deutlich weiter links zu verortenden Widersacher Bernie Sanders wichtige Delegiertenstimmen ab.

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Den nach Anzahl der Delegiertenstimmen wichtigsten Staat Kalifornien gewann zwar Sanders. Biden siegte aber in Texas. Damit gelang es Biden, den Siegeszug seines Rivalen vorerst zu stoppen. Das macht die Vorwahlen wieder richtig spannend.

„Uncle Joe“ ist liberal – aber nicht zu links

„Uncle Joe“ nennen die Amerikaner Joe Biden gern. Liebe- und respektvoll ist das gemeint. Früher wurde der Vizepräsident unter Barack Obama oft belächelt. Als ewig gut gelaunter Sidekick des Präsidenten, der aber nicht über viel Substanz verfügt. Eher Maskottchen als ernstzunehmender Politiker. Jetzt gilt der 77-jährige Biden den gemäßigten US-Demokraten als der Kandidat, der Amtsinhaber Donald Trump wirklich gefährlich werden könnte. Liberal, aber nicht zu links – wählbar für die Massen. Als die gemäßigten Kandidaten Pete Buttigieg und Amy Klobuchar nach South Carolina ihren Rückzug aus dem Rennen verkündeten, rieten sie ihren Anhängern, sich hinter Biden zu versammeln.

Schicksalsschläge, die für zwei Leben reichen würden

Seine Menschlichkeit ist vermutlich Bidens größter Trumpf. Sie macht ihn zum krassen Gegenentwurf zum amtierenden Präsidenten. Joe Biden hat in seinem Leben bereits so viele Schicksalsschläge verkraften müssen, dass es für zwei reichen würde. Er spricht offen darüber und bewegt damit viele Menschen, die Ähnliches mitmachen mussten.

Es war der 18. Dezember 1972, als den damals 30-jährigen Joe Biden ein Anruf erreichte: Seine Frau Neilia habe zusammen mit den drei Kindern einen schweren Autounfall gehabt. Bidens Frau und seine 13 Monate alte Tochter Naomi waren sofort tot. Seine Söhne Beau und Hunter lagen mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. In die Politgeschichte ging das Bild ein, das den frischgewählten Senator Biden bei seinem Amtseid zeigt – am Krankenbett seiner Söhne.

Jahrelang pendelte Biden zwischen Delaware und Washington, um sich um seine Jungs zu kümmern. Es sei ein Grund, sagte der 77-Jährige heute, dass er im Politbetrieb von Washington nie den Kontakt zum „echten Amerika“ verloren habe. 1977 heiratete Biden wieder: Die Lehrerin Jill, mit der Biden eine weitere Tochter hat - Ashley. Für seine Söhne war Jill „Mum“.

2015 stirbt Bidens Sohn Beau

2015 traf die Bidens ein weiterer Schicksalsschlag: Sohn Beau starb mit nur 46 Jahren. Der Veteran des Irakkriegs erlag einem aggressiven Hirntumor. „Meine Familie war am Boden zerstört. Ich war am Boden zerstört“, sagte Biden später in einem Interview. Damals entschied er sich, nicht für die Wahl 2016 zu kandidieren. Sein Herz sei nicht dabei gewesen.

Vier Jahre nach Beaus Tod geht es den Bidens besser. 2016 machte die Familie öffentlich, dass Hunter, Beaus jüngerer Bruder, mit dessen Witwe Hallie liiert war. Was folgte, war eine hässliche Schlammschlacht um Hunters Scheidung von seiner Frau Kathleen, Mutter seiner drei Töchter. Joe und Jill Biden standen damals zu Hunter und veröffentlichten ein Statement: „Wir sind froh, dass Hunter und Hallie sich gefunden haben, als sie ihr Leben nach einer Zeit tiefer Traurigkeit wieder zusammensetzten. Sie haben unsere Unterstützung und wir freuen uns für sie.“ Inzwischen sollen Hunter und Hallie kein Paar mehr sein.

Obamas engster Vertrauter

Was aber hat Joe Biden politisch erreicht? Der US-Demokrat ist ein Schwergewicht in Washingtons Politbetrieb. Von 1973 bis 2009 saß er für den Bundesstaat Delaware im Senat. Hier machte er viele seiner Überzeugungen zu Gesetzen – vor allem, weil er es schaffte, seine republikanischen Kollegen miteinzuspannen. Diese Arbeit „over the aisle“ (etwa „über den Gang“), wie es die Amerikaner nennen, ist in der US-Politik elementar wichtig.

Als Vizepräsident war er bei Weitem nicht nur der „Grüß-August“. Biden galt und gilt als engster Vertrauter Barack Obamas (sprichwörtlich wurde ihre „bromance“, über die sogar ihre Frauen witzelten) und war in alle wichtigen Entscheidungen seiner Präsidentschaft eingebunden. Wer sich nach den Obama-Jahren sehnt, für den ist Biden „the next best thing“.

Ist Biden ein Politiker von gestern?

In seiner langen politischen Karriere hat Biden aber auch Ballast angesammelt: So wirkte er beispielsweise seinerzeit an einem umstrittenen Gesetz der Clinton-Jahre mit, das die Kriminalität bekämpfen sollte, aber vor allem dazu führte, dass die Gefängnisse voll sind – vor allem mit Afroamerikanern. Und als der Justizausschuss 1992 die Juraprofessorin Anita Hill befragte, die dem Supreme-Court-Kandidaten Clarence Thomas sexuelle Belästigung vorwarf, machte Biden als Ausschussvorsitzender keine gute Figur.

Die Demokraten sortieren sich neu: Die Partei ist nach den Midterm-Wahlen nach links gerutscht. Das erklärt auch den Erfolg von Bernie Sanders, der sich selbst als Sozialist bezeichnet. Biden bringt mehr Erfahrung mit – vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik. Aber gelingt es ihm, sich neu zu erfinden? Zwei Mal, 1988 und 2008, bewarb er sich um das höchste Amt – und scheiterte. Mit 78 Jahren bei Amtsantritt wäre er der älteste US-Präsident aller Zeiten. Seinen Kritikern gilt er als Gesicht von gestern.

Biden spricht die Sprache der Trump-Wähler

Wählbar wäre er dagegen für eine breite Wählerschaft – auch für die, die Trump gerne los wären, aber mit der dezidiert linken Politik eines Bernie Sanders oder einer Elizabeth Warren nichts anfangen können.

„Uncle Joe“ ist an Beliebtheit kaum einzuholen. Das liegt auch daran, dass er eine Sprache spricht, die die „white middle class“ versteht, die 2016 in Scharen Donald Trump wählte. Biden gibt sich gern hemdsärmelig und drohte Trump auch schon mal Prügel an: „Wären wir in der High School, würde ich ihn hinter der Turnhalle abpassen.“

Aber es ist sein Schmerz, der viele Amerikaner zu dem Demokraten hinzieht. Biden zieht aus seiner Lebensgeschichte seine Kraft. Er sagt, er stehe jeden Morgen auf und hoffe, dass Beau stolz auf ihn sei. „Ich musste ihm versprechen, niemals aufzugeben.“