Die Kickers bei der TSG Backnang – für Stuttgarter gut erreichbar. Sogar zu Fuß. Foto: Baumann

Warum es für den Fußball ein Gewinn sein kann, auch mal zu Fuß zu gehen, erklärt unser Autor Joe Bauer in seiner Bundesliga-Kolumne.

Stuttgart - Reden wir heute nicht über die Bundesliga, sondern über Fußball. Wie immer missbrauche ich diese Kolumne auch heute, um in die unteren Ligen des Lebens hinabzusteigen und die eigenartigen Vorlieben anständiger Menschen zu beleuchten. Am Samstag war ich beim Spiel der Stuttgarter Kickers gegen den FSV 08 Bissingen aus Bietigheim-Bissingen an der Enz. In der zweiten Halbzeit, als ich von meiner Ecke aus den Strafraum des Gegners vor Augen hatte, spielte sich so gut wie alles am anderen Ende unseres Sportplatzes ab. Mehrmals kam mir deshalb der schäbige Gedanke, vorzeitig nach Haus zu gehen. Das riskierte ich dann doch nicht im Wissen, dass die mentale Kraft auf den Rängen ganz entscheidend das Geschehen auf dem Rasen beeinflusst. Die Partie endete 1:1.

Aus Langeweile hatte ich zwischendurch im Kickers-Heftchen geblättert und spannende Dinge entdeckt. Zum einen teilte ein Präsidialer im Vorwort mit, es liege „an der Mannschaft“ , die Punkte zu holen – weshalb ich bei einem frühen Abgang entlastet gewesen wäre. Zum anderen erfuhr ich von der Fan-Initiative „Anstoß Blau“, dass sie uns die Möglichkeit bietet, Auswärtsspiele unseres Clubs nicht nur mit dem Rad, sondern auch zu Fuß zu besuchen.

Geschockt nach dem 3:3 von Fortuna Düsseldorf

Das ist nicht nur ökologisch vorbildlich. Zwar könnte man das Unterfangen mit dem Hinweis abtun, in der fünften Liga sei es nur ein Klacks, via Mountainbike oder Wanderstiefel zu den Zwergen hinter den Bergen zu gelangen. Diese Sicht blendet aber den bewusstseinserweiternden Wallfahrt-Gedanken aus, der sich dahinter verbirgt. Vor allem den Spielern selbst würde das Bekenntnis zur körpereigenen Mobilität eine neue Sicht auf die Welt eröffnen.

Mag sein, dass es in Liga eins etwas beschwerlicher ist, zu Fuß von Freiburg an der Dreisam nach Bremen an der Weser zu marschieren als in Liga fünf von Stuttgart am Nesenbach nach Freiberg am Neckar – oder mal schnell wie neulich nach Backnang an der Murr. Würden aber die Bayern-Stars nicht auch noch auf ihren Kurzstrecken mit Handystöpseln in den Ohren in Polstersitzen lümmeln, sondern auf Schusters Rappen Augsburg, Nürnberg oder Stuttgart ansteuern, kämen sie auch mal mit dem wahren Leben in Berührung. Und Chefdenker Uli Hoeneß nach einem Allerweltsschrecken bei einem Fußballspiel nicht mehr auf die Idee, der Menschheit zu verkünden: „Ich habe gedacht, die Welt geht unter.“ Zuvor hatten weder Donald Trump noch Kim Jong Un den Startknopf ihrer Atombomben befummelt – nur ein in Düsseldorf stationierter Belgier namens Ngandoli Lukebakio das 3:3 für die Fortuna erzielt. Wir müssen nicht zwingend mit der Apokalypse rechnen, seit es nicht mehr immer nur die Bayern sind, denen in letzter Sekunde ein Tor gelingt. Was soll man da erst beim VfB Stuttgart sagen. Der verbucht von der ersten bis zu letzten Sekunde keinen Treffer. Was für die Erfolgsgeschichte des Vereins allerdings nicht so bedeutend ist, weil uns sein Präsident ersatzweise die Tücken des Dax-Kurses erklären kann.

Fan-Initiativen in vielen Vereinen

Weil ich heute jedoch nicht vom Ligageschäft, sondern vom Fußball reden will, zitiere ich aus dem druckfrischen Jahresbericht des Stuttgarter Fan-Projekts, Abteilung Kickers. Darin informiert uns unter anderem den Arbeitskreis „Heimat Kickers – Die Blauen in bewegten Zeiten“, wie er die Lebenswege von Spielern erforscht, die im Zeitraum 1899 (Vereinsgründung) bis 1949 (Gründung der Bundesrepublik) „für die Blauen am Ball waren“. Wie sich politische Umbrüche „auf das Schicksal ganz normaler Menschen ausgewirkt haben“. Da geht es beispielsweise um Fußballer, die „nicht mehr zusammenspielen durften oder konnten, weil der Mitspieler jüdischen Glaubens war, ins Exil gehen musste, im Krieg an der Front verheizt wurde …“

Für diese Recherchen besuchten die Projekt-Teilnehmer das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund und bereiteten zu Hause eine kleine Ausstellung vor. Solche Fan-Initiativen gibt es in vielen Vereinen, selbstverständlich auch in großen, und wir erkennen, dass im Fußball nicht nur am Untergang der Welt gearbeitet wird. Den Rest besprechen wir auf dem Fußmarsch zum nächsten Auswärtsspiel in Nöttingen.