Eric Gauthier mit Myriam Plevas junger Tanzcompany Foto: Lichtgut

Kulturelle Vielfalt ist heute wichtiger denn je. Die Benefiz-Show „Die Nacht der Lieder“ lebt diesen Wert – und unterhält dabei das ausverkaufte Theaterhaus.

Stuttgart - „Ich spüre Weihnachten noch nicht – es fehlt der Schnee“, klagt Eric Gauthier zu Beginn der „Nacht der Lieder“ am Dienstagabend im Theaterhaus. Mitleid mit dem Tänzer aber wäre fehl am Platz, denn Gauthier kann nicht nur tanzen, sondern auch singen. Und so singt sich der Kanadier – unterstützt vom Nacht- und Nebelorchester – die Weihnachtszeit herbei, indem er seinen Moderationen Klassiker wie „Santa Claus Is Coming To Town“ beimischt.

Auch Swing ist Vielfalt

Angesichts der Bandbreite der Künstler, die die 19. Ausgabe der Benefiz-Show zugunsten der Aktion Weihnachten der Stuttgarter Nachrichten zu bieten hat, ist eine ausgeprägte Vorweihnachtsstimmung gar nicht zwingend nötig. Die Zusammenstellung durch StN-Kolumnist Joe Bauer, dem Macher der Show, sorgt auch so für beste Unterhaltung. Jan Sellner, StN-Lokalchef und Vorsitzender der Aktion Weihnachten, bezeichnet die Veranstaltung als Gesamtkunstwerk, deren Botschaft kultureller Vielfalt heute wichtiger sei denn je.

Roland Baisch ist einer, der diese kulturelle Vielfalt verkörpert – hat sich der Korntaler mit seinem Count Baischy Orchester doch dem Swing verschrieben. Klassiker des Genres, etwa Chet Bakers „Everything Happens To Me“, singt Baisch in deutscher Übersetzung – und gibt zum Vergnügen des Publikums obendrauf Anekdoten aus seiner eigenen Schulzeit sowie eine Juhnke-Parodie zum Besten.

Kein Platz für Rassisten

Auch Baischs Tochter Vanessa Lee ist Künstlerin, wenngleich als Zirkus-Artistin einer anderen Tradition verschrieben. Lee stolziert als Tausendfüßler auf die Bühne und zaubert Unmengen an roten Stoffkugeln aus ihrem Mund. Für Lacher sorgt ihr mit Propellern versehener Glitzer-BH, für Szenen-Applaus ihre Hut-Jonglage, die sie auf dem Rücken ausführt. Kontrastreich geht es weiter. Im Gegensatz zur wuseligen Vanessa setzen Sängerin Britta Medeiros, eine Schwäbin mit mexikanischer Abstammung, und Pianist Berti Kiolbassa nicht auf Show, sondern ganz auf Sound. Und auf einen Nordiren: sie interpretieren gleich zwei Songs von Van Morrison.

Im Gegensatz zur multikulturellen Eintracht im Theaterhaus ist die Gesellschaft derzeit eher gespalten. Den „Untaten der Rassisten und Faschisten, die die Gesellschaft zersetzen wollen“ räumt Joe Bauer bei seiner Lesung jedoch keinen größeren Raum ein. Stattdessen lässt er das Publikum an der skurrilen Lebensgeschichte des wohl bekanntesten Dackels der Welt teilhaben. Dieser hieß Lump, war ein Geschenk des US- Fotojournalisten David Douglas Duncan an Pablo Picasso – und hatte ursprünglich einer Stuttgarter Familie gehört. Der Hund wurde Picassos Wegbegleiter und gilt heute als bedeutendstes Tiermodell der Kunstgeschichte. Picasso starb zehn Tage nach Lump – ob es einen Zusammenhang gibt?

Company-Chefin als Vamp

Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, denn das Trio Tangoinpetto zieht die Zuschauer hinein in die Welt der Tangueros vom Rio de la Plata. Zwei von drei Stücken hat das Trio selbst komponiert, das dritte, der „Tango pour Claude“ von Richard Galliano, ist weltberühmt. Weltberühmt sind die Schülerinnen und Schüler der Ballettschule Pleva aus Leinfelden-Echterdingen noch nicht. Ihre Nummer „Adam und Pleva“ aber wird dem Publikum lange in Erinnerung bleiben. Zu sehen sind wuselige Kinder in Nikolausmützen, Mädels mit löchrigen Strumpfhosen und Polizeimützen und Company-Chefin Myriam Pleva, die als Vamp singend die Showtreppe herunterspaziert. „Du brauchst ne Therapie, mein Schatz, und keinen Chat“, singt Pleva, während ihre Tänzerinnen über fiktive Smartphones scrollen.

Eine Verschnaufpause von diesem visuellen Feuerwerk liefern der Tubist Herbert Waldner und der Posaunist Michael Bigelmaier. Die Mitglieder der Stuttgarter Philharmoniker lassen ihre Instrumente ein angeregtes Streitgespräch führen – so zumindest klingt das virtuose Duett bisweilen. Kabarettistin Uta Köbernick führt zwar keine Streitgespräche, Selbstgespräche aber sehr wohl. Vielleicht, um ihre Erinnerung aufzufrischen: „Wir waren so frei und der Himmel so blau – oder war es umgekehrt?“, fragt sie, um später zur Erkenntnis zu kommen, dass „alle Lösungen vielleicht gar keine sind, sondern nur sortierte Probleme.“

Das Publikum singt mit

Für Jubelstürme sorgen Die Füenf, der Schlussakt des Abends und seit der ersten Nacht der Lieder mit von der Partie. Die A-Cappella-Künstler versorgen ihre Fans mit humorvollen Abhandlungen über Beilagensalate und Fleisch, das wie „Schuhsohlenleder“ schmeckt. Schließlich stimmt das Publikum noch mit Patrick Bopp alias Memphis in einen mehrstimmigen Chor ein.

Der Abend im Theaterhaus geht mit Standing Ovations zu Ende. Der Vorverkauf für die nächsten Nächte der Lieder am 8. und 9. Dezember 2020 hat bereits begonnen. Karten gibt es unter www.theaterhaus.com oder unter der Nummer 0711- 4 02 07 20.