Kleinkunst-Ehrenpreis 2011 für Georg Schramm Foto: dpa

Bevor ich am 1. Mai morgens in den Zug stieg, hatte ich von der Sache Schramm gehört.

Nach Heilbronn fährt man mit dem Zug an Weinbergen und am Neckar entlang, wie daheim. Zuletzt war ich zweimal in Heilbronn. Einmal marschierte ich mit den Kickers, einmal gegen die Neonazis.

Bevor ich am 1. Mai morgens um acht in den Regionalexpress stieg, hatte ich im Radio von der Sache Schramm gehört. Georg Schramm ist Kabarettist, er hat uns in der ZDF-Show "Neues aus der Anstalt" das Fürchten gelehrt. Er kann sehr zornig werden, trotzdem gibt es Leute, die glauben, er mache Spaß. Er sei einer dieser Comedy-Fritzen, die im Fernsehen ihren Haha-Defekt ausleben.

Vermutlich haben das auch die Herren von der Toto-Lotto GmbH des Landes gedacht, als sie ihn im Kirmespark Rust bei der Vergabe des Kleinkunstpreises 2011 mit dem Ehrenpreis auszeichneten. Der Lotterie-Chef Repnik, als Ex-Sozialminister bestens qualifiziert, saß mit dem Kollegen Noch-Minister Rau im Saal, und damit war klar, dass sich der zornige Herr Schramm nicht in der Mini-Bar seines Hotels abkühlen würde. Also sagte er auf der Bühne: "Die Lotto-Gesellschaft ist eine Einrichtung von unschätzbarem Wert. Was hätte jemand wie Herr Repnik sonst machen können?" Eine Regierung, die einen Pflasterstein nicht von einer Kastanie unterscheiden könne, sagte er noch, gehöre in den Orkus der Bedeutungslosigkeit.

Diese Sätze fand man in den vorderen Reihen so lustig, dass man Herrn Schramm ein Arschloch hieß. Entsprechend gespalten war die Stimmung im Saal. Ich holte deshalb bei dem Preisgewinner Nils Heinrich eine Zeugenaussage ein: "Das Verhältnis im Publikum war 90 zu 10. Am Ende gab es ein Pfeifkonzert, nicht gegen Herrn Schramm, sondern gegen Herrn Repnik, weil der ihm den Handschlag verweigerte."

Mehr Beamte in Robocop-Kostümen als in härtesten S-21-Zeiten.

So läuft Kabarett, und dann stand ich, eingekeilt zwischen jungen Menschen, im Zugabteil nach Heilbronn. Als ich auf den Bahnhofsplatz hinausging, wäre meine Tour beinahe beendet gewesen. Ich kann nicht sagen, dass ich nie einen Polizisten gesehen hätte. Diesmal aber standen mehr Beamte in Robocop-Kostümen bereit als in härtesten S-21-Zeiten, und sie ließen uns nicht raus. Ich fragte einen, ob ich zurück in den Bahnhof dürfe. Mir sei etwas kühl. Der Polizist sagte: Dann müssen Sie zur Bahnhofsmission. Ich sagte: Ist die in Heilbronn nicht auch im Bahnhof? Keine Antwort. Ein anderer Polizist ließ mich Minuten später durch, ein dritter nach einer Stunde vom Bahnhof in die Stadt, und so ging es weiter.

Stunden später, als ich die Heimreise antreten wollte, durfte ich nicht über eine Neckarbrücke zum Bahnhof. Haben Sie eine Fahrkarte?, sagte der Polizist. Nein, sagte ich, die kaufe ich mir am Bahnhof. Ohne Fahrkarte dürfen Sie nicht zum Bahnhof, sagte er. Also drehte ich ab und besorgte mir an einem S-Bahn-Automaten ein Billett. Damit zurück, durfte ich über die Brücke. Endlich wieder am Bahnhof, saßen die anderen immer noch im Kessel. Vom Bahnsteig aus konnte ich die Neonazis sehen. Man hatte sie, unbemerkt von den Gegendemonstranten, neben dem Bahnhof abgeschirmt. Die Neonazis marschierten los. Ich hörte ihre Konservenmusik, Textfetzen wie "Weihen", "Reihen", "heilige Stunde", "deutsches Land". Sie trugen die Landesfahnen von Baden-Württemberg und Bayern. Wäre die Lage nicht ernst, hätte ich das absurde Demo-Theater von Heilbronn dem Kabarett zugeordnet.

Im Zug habe ich junge Menschen beobachtet, viele waren Gewerkschaftler. Bei uns im Land haben laut einer Expertise des Staatsministeriums 33 Prozent der unter 25-Jährigen Migrationshintergrund, in Stuttgart sind es mehr. Die Fremdenhasser marschieren. Es werden mehr. Es gibt Gründe für Schramm'schen Zorn.