Ein Norm-Fass Foto: dpa

Joe Bauer über den Ausstieg, Aussteiger, die Ausstiegsklausel und den Aufstieg!  

Ich war auf dem Weihnachtsmarkt, und in der Königstraße, beim Bahnhof, sah ich ein Kinderkarussell. Davor hing ein Plakat: "Ja zum Ausstieg!", und seltsam: Das Kinderkarussell stand still und war leer.

Das Wort Ausstieg kommt zu neuen Ehren und zu neuer Bedeutung. Es gab Zeiten, da hat man unter Aussteigern zottelbärtige Männer und in Leinensäcke gehüllte Frauen verstanden, Menschen, die vom Karussell der sogenannten Leistungsgesellschaft abgesprungen sind, um im Schwarzwald Schafskäse, in der Toskana Olivenöl und auf Gomera Babys zu produzieren. Aussteiger sind Dienstverweigerer im Hamsterrad des Produktionsprozesses. Bei Wikipedia liest sich das so: "Als Aussteiger bezeichnet man Menschen, die sich durch ihr Verhalten von gesellschaftlichen Normen zu befreien versuchen, indem sie aus ihrer konkreten Lebenswelt innerlich oder äußerlich aussteigen'. Ein klassisches Beispiel war bereits in der griechischen Antike der Philosoph Diogenes..."

Vom Aussteiger Diogenes wissen wir, dass er zum Wohnen in ein leeres Fass zog. Andere Aussteiger wechseln ihren Wirtschaftsstandort. Der eine geht in die Bars nach Brüssel, der andere in die Pillenindustrie nach Brasilien. Seit Herr Oettinger aus der Landespolitik ausgestiegen ist, um in Belgien Europapolitik zu machen, hat sich sein Horizont entscheidend erweitert. Neulich sagte er bei einer Diskussion in Freiburg, Frankreichs Hauptstadt habe nur deshalb einen Kopfbahnhof, weil es "westlich von Paris keine Menschen, sondern nur Kühe und den Atlantik" gebe.

Es wäre Unsinn, zu widersprechen. Alles nur eine Frage der Wahrnehmung. Auch südwestlich vom Stuttgarter Kopfbahnhof gibt es kaum Menschen, nur den Eckensee und etliche Hornochsen, nämlich im Landtag und in der Villa Reitzenstein.

Oettingers Aussteiger-Kollege Herr Mappus ist innerhalb kürzester Zeit zweimal ausgestiegen. Erst als baden-württembergischer Ministerpräsident, dann als Pharma-Manager. Dass er in Zukunft wie Diogenes im Fass leben wird, ist unwahrscheinlich. Die Fässer-Gewerkschaft hat Widerstand angekündigt. "Wir kämpfen weiterhin für die handelsübliche Fass-Norm", sagte der Fässer-Gewerkschaftssprecher.

Interessant, was Fremde denken, etwa die Belgier und Brasilianer, wenn sie in eine Stadt kommen, wo überall Plakate hängen: "Ja zum Ausstieg!" Prima, sagen sie, Ausstieg in Fahrtrichtung links.

Dass bei der Volksabstimmung über die Milliarden-Finanzierung eines angeblichen Bahnhofsprojekts ausgerechnet das Wort "Ausstieg" die zentrale Rolle spielt, ist ein Ausrufezeichen der Geschichte. Wer je Bahn gefahren ist, wird sich erinnern, warum der Ausstieg beim Bahnfahren ungleich wichtiger ist als der Einstieg. Wenn du den Einstieg in den Zug nach Ulm verpasst, hast du Glück gehabt, weil du in Stuttgart bleiben kannst. Wenn du hingegen nach Cannstatt willst, dir der Ausstieg aber erst in Ulm gelingt, wirst du in die Donau springen. Auch das Leben hat zum Glück eine Ausstiegsklausel.

Stuttgart 21 war von Anfang an ein Ausstiegsprojekt. Es ist heute weltweit Usus, aus dem Regelwerk der Demokratie auszusteigen, sobald es um viel Geld geht. Dann operiert man mit falschen Zahlen und täuscht die Bürger mit der Propaganda der Übermacht. Das Karussell auf dem Weltweihnachtsmarkt dreht sich "schwindelerregend", wie Herr Schuster angesichts seiner manipulierten Ausstiegskosten zu sagen pflegt, während der Europapolitiker Oettinger uns bei seinem Blick auf Paris an etwas Wahres erinnert: Auch bei dem Plan, aus dem Denkmalschutz des Stuttgarter Kopfbahnhofs auszusteigen, übergeht man die Menschen in Stadt und Land. In der allgemeinen Gier sieht man nur Goldene Kühe und das Mehr.

Stopp, ich höre die Bremsen quietschen und den Schaffner rufen: Endstation, bitte alle aussteigen! Und weil ich hinten im Abteil gerade dem Weihnachtsmann zusehe, wie er vor Freude ein Fass aufmacht, hätte ich noch eine Bitte im Namen der Stuttgarter Kickers: Ja zum Aufstieg!