Die Geschichte vom Stuttgarter Dackel Lump, der bei Picasso wohnte, geht in die Verlängerung.

Stuttgart - Gestern habe ich an dieser Stelle die Geschichte vom Stuttgarter Dackel Lump erwähnt, das Kapitel aber nicht beendet. Weil Sie, verehrtes Publikum, nicht von gestern sind, erzähle ich Ihnen heute, was bisher und überhaupt geschah.

Während der spanischen Diktatur lebte das Künstlergenie Pablo Picasso in Südfrankreich. Eines Tages, es war im Jahr 1957, besuchte ihn in seiner Villa La Californie der Fotograf David Douglas Duncan. Der Amerikaner, ein berühmter Kriegsreporter, kam in Begleitung eines Freundes, des einjährigen Dachshunds Lump.

Vielleicht hat der Dackel ursprünglich Lumpi geheißen, ich weiß es nicht. Wahr ist jedenfalls, dass ihn Duncan 1956 bei einer Familie in Stuttgart gekauft hat; leider ist mir der Name dieser Leute nicht bekannt.

Obwohl Mr. Duncan ein großer Hundefreund war, fühlte sich Lump bei ihm nicht wohl. Erstens missfiel ihm das Nomadenleben des Kriegsreporters, und zweitens hatte sein Herrchen noch einen anderen Freund, einen vierbeinigen Afghanen. Der war nicht nur größer als Lump, er war auch eifersüchtig - und damit das Scheitern der Multikulti-Familie programmiert.

Eine Stuttgarter Verkettung glücklicher Umstände

Es konnte nie geklärt werden, ob Duncan seinen Freund Picasso gebeten hat, Lump in Obhut zu nehmen. Oder ob es vielmehr Lump war, der zu Picasso überlief. Die Historiker wissen zwar von Picassos magischer Anziehungskraft auf Damen. Lump aber war keine Dame. Vermutlich also flog Picasso auf Lump.

Dass diese Beziehung zustande kam, haben Mann und Hund nicht nur Lumps Stuttgarter Familie zu verdanken. Geholfen hat eine Stuttgarter Verkettung glücklicher Umstände. Womöglich wäre Duncan Picasso nie begegnet, hätte ihn nicht sein amerikanischer Freund Robert Capa dem Maler vorgestellt. Capa, selbst ein berühmter Fotograf, hatte früher mit einer jungen Frau namens Gerda Taro zusammengelebt, und hätte der Reporter nicht schon in den dreißiger Jahren die in der Stuttgarter Alexanderstraße geborene und aufgewachsene Tochter eines jüdischen Eierhändlers im Pariser Exil getroffen, wäre er nie der große Robert Capa geworden. Er war aus Ungarn, schlug sich mehr schlecht als recht unter seinem Namen André Friedmann als Fotograf durch, bevor ihn seine Geliebte zum Weltstar machte. Gerda Taro erfand nicht nur sein Image, nebenbei machte sie im Schatten seines Ruhms selbst großartige Fotos. 1937 fiel sie nach einem Luftangriff von Hitlers Legion Condor bei ihrer Arbeit als Reporterin im Spanischen Bürgerkrieg. Mehr darüber kann man vielleicht schon bald in einem amerikanischen Spielfilm erfahren. Der Hollywood-Regisseur Michael Mann (,,Public Enemies") dreht zurzeit das Liebesdrama "Waiting for Robert Capa"; der Kinostart ist für 2013 geplant.

Die historischen Hintergründe und der Starruhm seiner Umgebung dürften Lump, Stuttgart, im Hause Picasso kaum beeindruckt haben. Schließlich war er selbst auf dem besten Weg, als Berühmtheit in der internationalen Kunstwelt Fuß zu fassen. Allein zwischen dem 17. August und dem 30. September 1957 verewigte Picasso den Dackel fünfzehnmal in den 44 Skizzen seiner Serie "Las Meninas". Sollte Lump in diesen Bildern dem einen oder anderen Banausen relativ klein vorkommen, so ist er doch eine wahre Kunstikone.

Keinen liebte Picasso so wie Lump

Picasso besaß mehrere Hunde, keinen aber liebte er so sehr wie seinen Kurzhaardackel aus Stuttgart. Lump war das einzige Tier, das der Künstler in die Arme nahm. Sogar Picassos zweite Ehefrau Jacqueline Roque, wird berichtet, sei auf Lump eifersüchtig gewesen. Denn Picasso hat Lump Superstar nicht nur als Maler, sondern auch als Philosoph gewürdigt: "Lump ist kein Hund", hat er einmal gesagt. "Lump ist auch kein kleiner Mensch. Er ist etwas anderes. Er trägt unsere besten und schlechtesten Eigenschaften in sich."

Nach sechs guten gemeinsamen Jahren schlug das Schicksal zu. 1963 erkrankte Lump an der Wirbelsäule, ein typisches Dackelproblem. Seine Hinterläufe funktionierten nicht mehr. Als Duncan den Maler wieder mal in der Nähe von Cannes besuchte, sah er den kranken Hund und brachte ihn sofort zu einem Tierarzt. Der spanische Veterinär sagte ihm, es sei nichts mehr zu machen. Lump sei gelähmt.

Der Fotograf, in zahlreichen Fronteinsätzen gestählt, durchschaute den Tierarzt als Dilettanten, als "Hurensohn", und er gab nicht auf. Duncan packte den Dackel auf den Rücksitz seines Autos, fuhr in der gleichen Nacht nonstop nach Stuttgart und fütterte ihn unterwegs, "über meine Schulter hinweg", mit Erdnussbutter-Keksen. In Stuttgart, notierte er später, "gab es einen berühmten Tierarzt, und als er Lumps Pfoten berührte, wusste er sofort, dass Lump nicht gelähmt war." Nach einigen Monaten Behandlung brachte Duncan den Hund in sein Haus nach Rom. "Er lief herum wie ein betrunkener Seemann, aber er hatte noch zehn Jahre lang ein gutes Leben."

Über die Geschichte des Stuttgarter Dackels hat Duncan später einen Bildband veröffentlicht: "Lump the Dog who ate Picasso". Hinter dem Titel des Buchs verbirgt sich eine wahre Begebenheit. Einmal zeichnete Picasso ein Kaninchen auf einen Karton, und als Lump den Hasen sah, muss wohl sein Instinkt als Dachshund erwacht sein. Lump, für die Jagd nicht ausreichend trainiert, fraß das Karnickel samt Karton. Seitdem ist er "der Hund, der einen Picasso verschlang".

Ohne den Künstler je wieder gesehen zu haben, starb Lump am 29. März 1973 in Rom, Picasso zehn Tage später in Mougins.