Ein grünes Sexsymbol: Die Möhre Foto: dpa

Am Sonntag steigt der Veggie Street Day, das Straßenfest der Vegetarier und Veganer auf dem Marktplatz.

Stuttgart - Am Sonntag steigt der Veggie Street Day, das Straßenfest der Vegetarier und Veganer auf dem Marktplatz. Den Schauplatz haben die Veranstalter gut gewählt. Bekanntlich sitzen im Rathaus reichlich Lobbyisten, die Mitesser der Pfeffersäcke. Der Geruch von frischem Gemüse könnte stören, bevor sie die Stadt weiter durch ihren Fleischwolf drehen. Vermutlich aber grillen sie über die Feiertage irgendwo einen befreundeten Pfingstochsen. Kannibalismus haben sie ja bei der Stadtplanung gelernt.

Rechtzeitig zur Veggie-Party sind die Internetforen voll mit Tofu-Witzen und Ess-Bahn-Kalauern. Frei nach dem in Stuttgart weltberühmten Facebook-Komiker „Schroeder O-Ban“ spricht in der Tierschützerszene alles für den fetten „Wurst-Case“. Ein anderer Facebook-Kollege garniert das Netz-Menü mit Songzeilen der Popgruppe Creme 21: „Ich mag Tiere, nicht nur kleine. / Ich fress’ vom Bullen auch die Beine, / Schwanz und Leber, Innereien. / Ich mag alle Sauereien.“

Nichts ist einfacher, als ausgerechnet den Anhängern des Verzichts eins überzubraten. In gutem Denglisch gilt Veggie-Bashing unter Schnitzelbrüdern als absolutes Mast. Dass Vegetarier und Veganer anders als Fleischfresser Haltung zeigen, wenn sie nichts von Wesen mit Augen verdauen, wird mit höhnischem Blick auf grüne Sexsymbole wie Gurken, Möhren und Pfirsiche glatt ignoriert. Damit bewegen wir uns mitten im Machomilieu, was keinen zu wundern braucht: Der Spott auf die Saladisten wird gespeist von blutigen Kraftprotzfantasien. Die Welt ist ein Schlachthof.

Anders sieht es aus mit seriöser politischer Kritik am Vegetarismus und Veganismus. Kürzlich saß ich mit dem Berliner Satiriker Wiglaf Droste im Vorhof der Altstadtkneipe Brunnenwirt bei Sauerbraten mit Spätzle und Salat (!) und klagte ihm mein Leid über die womöglich schwindenden Kräfte überzeugter Vegan-Aktivisten im Kampf gegen die Nazis. Mit zweiundvierzig Kilo Kampfgewicht und permanenten Kreislaufkollapsen, sagte ich, könne man bei antifaschistischen Einsätzen leicht mal als zweiter Sieger vom Platz gehen. Herr Droste setzte diese These unverzüglich in einen historischen Kontext und schickte mir anderntags ein Gedicht. Auszug:

„Hitler vegetierte arisch / lebte vulgo vegetarisch. / Fleisch? Niemals, nicht einen Happs! / Auch kein Bier und keinen Schnaps, / und auch niemals Zigaretten, denn es galt, die Welt zu retten: / Vor den Bolschewiken, Juden, / allem Schönen, Wahren, Guden / also vor den Großgenüssen. / Deshalb schrieb der Mann ,Mein Kampf‘.“

Dialektisch klug fordert der Dichter „Kein Mampf!“ und bessere Rezepte: „Fröhlich muht die Bio-Kuh: / Macht doch mal McDonald’s zu! / Esst mich auf, von meinem Saft / kriegt ihr Anti-Nazi-Kraft!“

Mit dieser Sicht der Dinge tut sich leichter, wer unter Jägern als „Fressgeneralist“ bewertet wird: als eingefleischter Allesesser (nicht zu verwechseln mit dem doofen Vielfraß). Als Fressgeneralist gelten neben unsereins auch das Schwein und der Fuchs. Anders als der Mensch verfügt der Fuchs über extrem fein ausgeprägte Geruchs- und Geschmackssinne. Der Fuchs, wissen seine Häscher, speist im Normalfall auf der Bio-Hühner-Farm. Bei Kentucky Fried Chicken verrichtet er höchstens seine Notdurft.

Von der Disziplin und Moral überzeugter Vegetarier und Veganer angetan, spiele ich inzwischen selber mit dem Gedanken, mich im Lager der Soja-Krieger durchzubeißen. Die erste Etappe des Entzugs habe ich bereits hinter mir. Neulich ging ich wieder zum Speisen in den Brunnenwirt. Die Tageskarte bot alternativ Rindersteak und Schinkennudeln. „Heute bitte mal kein Steak“, sagte ich zum Wirt. „Heute lieber die Schinkennudeln.“ „Recht so, Junge“, sagte der Wirt. „Man muss nicht jeden Tag Fleisch essen.“