Zeltstadt Stuttgart Foto: Kienzle

Joe Bauer über die Stuttgarter Indianer und wie es mit der Zeltstadt weitergehen soll

Es ist leicht, eine Meinung zu haben, solange sie nicht verboten ist. Bei Bedarf kann man seine Meinung an der Garderobe des Landtags abgeben oder sich eine am Eingang zum Schlossgarten aneignen.

Wir in Stuttgart haben der Meinung viel zu verdanken. Hätten zuletzt nicht viele Menschen in der Stadt ihre Meinung zu Markte getragen, ohne sie zu verkaufen, wären wir bis auf den heutigen Tag in der Welt nicht bekannter als Poppenweiler.

Zurzeit geht es wieder um unsere Meinung. Einen Teil der Bürger hat man gefragt, ob sie dafür sind, den Park zu räumen, die Camper aus dem Park zu vertreiben. Das Ergebnis fiel gut stuttgarterisch aus. Die Hälfte ist dafür, der Rest dagegen.

Manche sondern ihre Meinung zum Park ab, ohne den Eingang je gesehen zu haben.

Ich habe dazu noch keine Meinung. Mich stören die Zelte nicht, mir gefällt es, wenn die Stadt mir in ihrer Größe einen Indianerstamm gönnt. Wenn ich gesagt habe, man könne seine Meinung an der Garderobe des Parks abgeben, trifft das nicht auf alle zu. Manche sondern ihre Meinung zum Park nämlich ab, ohne den Eingang je gesehen zu haben. Wenn diese Leute sagen, sie hätten Angst, in den Park zu gehen, dann sage ich mir: Diese Leute hätten Grund zur Angst, wenn im Schlossgarten KEINE Zelte stünden. Das lehrt uns eine urbane Binsenweisheit: Wird eine Gegend von Menschen belebt, ist die Chance, eins über die Rübe zu bekommen, wesentlich kleiner, als in einer toten Ecke seinen Ringfinger zu verlieren. Wer sich je in Schmuddelecken herumgetrieben hat, wird mir recht geben.

Manche bezeichnen die Indianerzelte im Schlossgarten als "Schmuddel-Camp", andere erkennen im Park "Anarchie", ohne etwas über die Philosophie der Anarchisten zu wissen. Als ich unlängst im Laufschritt die Zelte umkreiste, waren einige Männer dabei, den Vorgarten ihres Höllencamps zu kehren. Mein Gott, dachte ich, sind das komische Chaoten. Randalieren mit Besen.

Stuttgarter Realität - verschiedene Kategorien von Menschen

In den Zelten und ihrem Schatten wohnen verschiedene Kategorien von Menschen, und diese Menschen erzählen uns etwas von der Stuttgarter Realität:

Zum einen gibt es politisch motivierte Parkschützer, die der Meinung sind, sie verteidigten ihr Recht auf Lebensraum, ohne den Park privat zu vereinnahmen.

Dann haben wir die Obdachlosen, denen es im Park besser geht als neben einem Müllcontainer; doch auch die Straße kennt eine schwäbische Lebensregel, unter Sozialarbeitern als gruppendynamischer Prozess bekannt: Es gibt sotte und sotte.

Drittens haben wir im Park die Punks, und über deren Befindlichkeit wage ich nicht zu urteilen, weil die Geschichte des Punk eine Wissenschaft für sich ist.

Um in diesem Biotop des Allzumenschlichen die richtige Maßnahme zu ergreifen, bedarf es emotionaler Intelligenz. Leicht wäre es, das Geschäft einer Polizeiarmee zu überlassen. Wie unsere Dorfpolitiker nach der Staatsgewalt zu schreien. Auf militärischem Gebiet aber sind wir traditionell nicht besonders gut. Wahr ist, dass auch Stuttgart-21-Gegner diskutieren, wie das Feld am klügsten zu räumen wäre. Es gibt die bekannten Lösungsansätze. In vielen Städten sind Mediatoren unterwegs, soziale Vermittler, die (wie in Berlin) junge Menschen auch mal davon überzeugen, eine Autobrücke nicht bis morgens um fünf mit Bier und Pizza zu belagern, zumal nach der Party ein Heer von Ratten anrückt.

Der Sozialarbeiter aber ist kein Superman. Deshalb denken im Lager der S-21-Gegner einige darüber nach, wie sie ihre Indianer mit den stärksten Waffen der Bewegung, nämlich mit Kreativität und Fantasie, zum Auszug aus dem Park bewegen könnten. Es könnte Veranstaltungen zum Thema geben: Gespräche mithilfe des Fernsehsenders fluegel.tv, kulturelle Aktionen im Park, buntes Miteinander.

Stoff sammeln, dann gliedern, vielleicht wird eine gute Geschichte daraus.

Im Moment wäre es am sinnvollsten, nach der Methode meines Deutschlehrers vorzugehen: Erst Stoff sammeln, dann Stoff gliedern, vielleicht wird am Ende eine gute Geschichte daraus.

Noch ein Wort zur Ästhetik des Parks. Sollten die Indianer verschwinden - der Metallschuppen für das "Grundwassermanagement" wird bleiben. Und der ist hässlicher als jedes Wigwam.