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"Ein Projektmanager baut, was ihm vor die Flinte kommt." - das lässt sich ausbauen.

Stuttgart - Als ich vor Jahren anfing, Notizbücher der Marke Brunnen zu kaufen, war ich mir sicher, ein neues Leben zu beginnen. Diese Notizbücher passen in jede Gesäßtasche, und lange Zeit war ich überzeugt, man müsse sie nur eng genug an der richtigen Pobacke tragen, um Ideen auszubrüten.

Dann kam im Sommer 2011 dieser lange Zeitungsstreik, er dauerte 35 Tage, in denen ich mein Notizbuch an der Pobacke trug. Als der Streik zu Ende ging, war die Kladde verbogen, arschförmig wie meine Seele, und ich war mir sicher, guten Stoff ausgebrütet zu haben. Als ich aber das Notizbuch aufschlug, fand ich nichts Neues außer ein paar Telefonnummern und E-Mail-Adressen, die nichts wert waren, auch nicht für die Liebe oder so.

Keine Probleme, nur Herausforderungen

Wie immer, wenn ich am Ende bin, ging ich in die Badeanstalt. Das Mineralbad Berg war überfüllt, nicht wie sonst von sportlichen Enten, es waren Menschen da, Sonnengierige, die im Analbereich eher Tattoos als Notizbücher tragen. Dieser Tag war nicht mein Tag, und als ich am Abend das schöne alte neue Zirkuszelt auf dem Marienplatz aufsuchte, geriet ich ein zweites Mal in die Sauna. Es gibt schlimmere Dinge, als bei einem Manegenvergnügen zu schwitzen, und so gönnte ich mir eine Bratwurst und gebrannte Mandeln im Bewusstsein, mit einem angefeuchteten Notizbuch im leibeigenen Backstage-Bereich die verdammte Stadt aufzusaugen. Dieser Gedanke aber war ein Hirnpupsen, und langsam überkam mich die Angst, nach dem langen Streik keine Geschichte zu finden.

Dann las ich in der Zeitung von einem neuen Bauingenieur in der Stadt. Der sagt: "Ein Projektmanager baut, was ihm vor die Flinte kommt." Es geht, man ahnt es, um einen Großprojektmanager, um einen, der "keine Probleme kennt, sondern nur Herausforderungen". Diese Haltung gefällt mir, weil auch ich keine Probleme, sondern nur Herausforderungen kenne, sobald mir etwas vor die Flinte kommt. Das Problem ist nur, dass mir nichts vor die Flinte kommt, weil ich keine habe, und mit einem angefeuchteten Notizbuch an der Hinterbacke kannst du Großprojekte auch dann nicht verhindern, wenn du die Sache als Herausforderung siehst.

Eine Dachplatte ist nicht nur gut gegen Regen

Ausbaufähig ist der Satz, wonach ein Projektmanager "baut", was ihm vor die Flinte kommt. Das bedeutet: Wenn dir Stuttgart 21 vor die Flinte kommt, gibst du S 21 nicht den Gnadenschuss, wofür dir die Menschheit dankbar wäre. Du baust es. Logischerweise gilt das auch für andere Dinge. Wenn dir Mist vor die Flinte kommt, baust du Mist, und wenn dir ein Unfall vor die Flinte kommt, baust du einen Unfall. Diese Serie ließe sich mit weiteren Schießübungen fortsetzen, entspräche jedoch nicht immer den guten Sitten. Wolltest du beispielsweise einen Türken bauen, wäre es besser, er käme dir erst gar nicht vor die Flinte.

In der Bautiger-Sprache darf man Worte nicht so genau nehmen, das weiß ich, seit ich in den Schulferien als Dachdecker gearbeitet habe. Damals war ich noch schwindelfrei und habe gelernt, dass die Dachplatte nicht nur gut ist gegen Regen. Sie diente seinerzeit auch als Schimpfwort. Man beleidigte jeden, der einem vor die Flinte kam, als Dachplatte, wenn man Bauschäden in seinem Oberstübchen bemerkte.

Besagter Großprojektmanager hat auch etwas über den Südflügel des Bahnhofs gesagt. Er sagte, ihm, dem Herrn der Flinte, wäre es "am liebsten, wenn wir ihn abreißen und hinterher sagen könnten: Keinen hat's interessiert."

Der Südflügel ist am Arsch

Dummerweise aber interessiert der Südflügel halt doch einige Leute, nämlich jene, die etwas von Architektur verstehen. Die "FAZ" schreibt, Paul Bonatz habe sich "beim Bau dieses Symbols des Fortschritts und der Beschleunigung von einer der ältesten Architekturen der Menschheit inspirieren" lassen: "den 2800 vor Christus entstandenen steinernen Einfriedungen der Pyramide des Pharaos Djoser in Sakkara". Der Südflügel sei "ästhetisch und baugeschichtlich ein Gelenkstück des 1914 bis 1928 gebauten Ensembles". Leider sehe und wisse dies kaum jemand in Stuttgart.

Ich wüsste es auch nicht, hätte ich die Zeilen nicht in meinem Notizbuch gefunden. Und leider geht es dem Südflügel wie meinem Notizbuch. Er ist am Arsch.