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"Avatar - Auf dem Weg nach Pandora", der Indianerfilm, war vorbei. "Avatar" ist auch ein Vietnamfilm, ein Science-Fiction-Film und eine verdammte Liebesschnulze.

"Avatar - Auf dem Weg nach Pandora", der Indianerfilm, war vorbei. "Avatar" ist auch ein Vietnamfilm, ein Science-Fiction-Film und eine verdammte Liebesschnulze. Aber das spielt keine Rolle an einem Tag, an dem ich Indianer bin. Vom Kino Metropol ging ich zur U-Bahn-Station Keplerstraße hinunter. Am Geländer über den Gleisen lehnte ein Tagedieb, er zeigte mir den Stinkefinger und sagte: Was guckst du?O Bruder, sagte ich, ich gucke "Avatar", und gleich wird mein Pfeil deinen dreckigen Banditenhals durchbohren. Wenig später schrieb ich in mein Tagebuch: "War in ,Avatar'. Bin noch nicht zurück."

Ein Mann kann am Ende eines Tages an vielen Orten gewesen sein, in Pandora, in der Unterführung, in Untertürkheim. Die Frage ist, ob er wieder nach Hause will.

Die Sache Untertürkheim habe ich noch nicht aufgeklärt. Untertürkheim ist mir fremd wie Pandora. Ich erinnere mich, wie ich an einem Sonntag mit der Linie 4 nach Untertürkheim fuhr, um zu prüfen, ob das Leben da draußen in Ordnung ist. Bis heute kenne ich mich nicht aus in Untertürkheim, und damals konnte man es mir ansehen. In den Straßen standen die Leute und sagten: Was guckst du? Brüder und Schwestern, sagte ich, ich will hören, ob eure Kirchenglocken läuten. Niemand verstand mich. Ich war in Pandora.

Ich ging in die Kirche St. Germanus. So heißt eine Kirche in Untertürkheim, auch wenn das seltsam klingen mag. Als ich das Gotteshaus betrat, hörte ich die Orgel spielen. Aber die Kirche war leer. Ein Phänomen, ich hatte davon gehört. Oft spielen Tote die Orgel, weil sie im Leben nicht orgeln durften.

Es ist zehn Jahre her, dass ich in St. Germanus zu Manitou betete, der Teufel solle den Kannibalen holen. Nie zuvor hatte einer in St. Germanus zu Manitou gebetet. Ich wurde erhört. Unser großer Finne im Mercedes-Silberpfeil wurde wenig später Formel-1-Weltmeister, und der Deutsche, der Kannibale heißt und einen Ferrari fuhr, hatte sich den Haxen gebrochen.

Doch nicht einmal an diesem Tag, erfuhr ich später, läuteten in Untertürkheim die Kirchenglocken. Ich konnte es nicht verstehen. In Maranello bimmelte der Pfaffe an jedem Sonntag, wenn der Kannibale ein Rennen gewann (Maranello ist das Untertürkheim der Italiener).

Den Kannibalen, dies zum besseren Verständnis, hat man vor zehn Jahren nur unter Kennern Kannibale genannt. Bei uns, im Dunstkreis von Untertürkheim, sprach man gelassen vom Nussknacker.

Das ist lange her. Jetzt ist der Kannibale auf dem Weg nach Stuttgart. Im Januar wird er im Mercedes-Museum als Mercedes-Fahrer in der Formel 1 vorgezeigt. Es ist mit einem großen Kannibalenfest zu rechnen. Alle Provinzprominenten, die keiner kennt, auch die aus der Politik, werden ihre Nase tief in den Auspuff des Kannibalen stecken. Auf die Stadt wird einiges zukommen. Trittbrettfahrer werden Lunte riechen, Aliens aus ihren Löchern kriechen, und die Scheintoten orgeln wie der Teufel. Der Rennchef von Mercedes in Untertürkheim läuft schon seit Tagen herum wie von Bedeutung durchdrungen.

Zehn Jahre nach unserem Sieg, es ist wahr, war ich wieder in Untertürkheim. Es war an diesem Sonntag, als ich auch in Pandora war. St. Germanus, warum hast du uns diese Schmach nicht erspart?, rief ich. St. Germanus sagte: Du kommst zu spät, mein Sohn, das Rennen ist gelaufen.

Ich verließ Untertürkheim, es war dunkel, und mir war klar, dass ich noch etwas zu erledigen hatte. An diesem Abend knackte ich mit den Zähnen meine Nüsse und mit dem Hammer meinen Nussknacker. Der Nussknacker schaute mich an, weil er es so nicht gewohnt war, und ich brüllte: Was guckst du? Als die Polizei vorfuhr, hängte ich ein Schild vor die Tür: "Bin in Pandora. Es gibt kein Comeback."

Bald werden sie wieder die Plakate mit ihrem Zungenspitzbrecher "S-City leuchtet" an die Litfaßsäulen kleben, und diesmal wird das heißen: Schumacher-City feiert seine neue Leuchte.

Mir kann das wurscht sein. Indianer schauen nicht mehr Formel 1.