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Nur in Stuttgart gibt es das Mineralbad Berg - Doch die Werbung für das Bad ist erbärmlich.

Stuttgart - Leibesertüchtigung ist die Strategie, dem Tod eine Weile davonzulaufen. Seit einigen Jahren bin ich im Dauerlaufgeschäft tätig. Manchmal, wenn Eddy, mein etatmäßiger Sportskamerad, verhindert ist und ich trotz großer Unlust und miesem Wetter allein loslaufe, treibe ich mich selbst vorwärts. Mit einem Trick.

Mit der Bahn fahre ich hinaus zum Bad Berg, ziehe mich um und deponiere meinen Turnbeutel im Spind. Ich stiefle los, umkurve das Rosensteinmuseum, sehe in der Ferne einen Silberstreifen Neckar. Nach Norden, vorbei an den Gehegen der Wilhelma. Ich winke den Eisbären, den Lamas, dem Vogel Strauß. Mit etwas Glück grunzt mich ein Wildschwein an. Spuckend wie ein Lama laufe ich vor mich hin, ohne Ehrgeiz, aber nicht ohne Ziel: Am Ende werde ich mich belohnen, stolz triefend wie ein Eisbär. Gleich nach der Lauferei stehe ich unter der Dusche im Berg, das Wasser siedend heiß. Ich steige ins Mineralwasser, beim Eintauchen glaube ich ein Zischen zu hören, als löschte man mein Brandeisen, und danach sitze ich nackt und zufrieden in der Männersauna, dritter Stock.

Das ist die verdammte Belohnung, der Orgasmus des kleinen Mannes, das Wohlbefinden. Man schwitzt, und mit jedem Tropfen schmilzt in einem das Biest. Alles muss raus. Frust und Ärger in der Abrissstadt, ein zugemüllter Computer samt Mobiltelefon, der Nichtaufstieg der Kickers.

Nur in Stuttgart gibt es das Mineralbad Berg

Wovon ich Ihnen erzähle, ist eine spezielle Methode zu überleben. Diese Methode gibt es nur in Stuttgart. Denn nur in Stuttgart gibt es das Mineralbad Berg.

Der Finanzbürgermeister Föll, ein dem Eissport und dem Investoren-Doping verbundener Rathaus-Rastelli, hat angekündigt, das Berg in ein "Freibad" für die sogenannten Sommermonate umzubauen. Die Substanz soll zerstört, neben dem Bad könnte ein Hotel hochgezogen werden. Das Berg ist, wie andere Bäder, ein Zuschussbetrieb. Es gibt viele städtische Zuschussbetriebe, und man müsste herausfinden, ob sich eigentlich die Gehälter unserer Finanz- und Baubürgermeister rechnen.

Das Berg, 1856 gegründet, ist ein Stuttgarter Naturereignis. Ein merkwürdiger, liebenswürdiger, einzigartiger Ort mit Blutbuchen, Ginkobäumen, Rosensträuchern. Es gibt dort viele Dinge, die verwelken. Ich gehöre auch dazu. Außer an heißen Tagen ist das Berg nicht gut besucht. Die Leute denken, das Wasser im Innen- und Außenbecken sei kalt. Es hat 21 Grad, mal mehr, mal weniger. Wenn man regelmäßig im Berg-Wasser schwimmt, kommt es einem nicht kalt vor. Man nimmt eine heiße Dusche oder geht in die Sauna. Danach braucht man im Sommer vier, im Winter zwölf Züge, um sich an die Temperatur zu gewöhnen. Sich zu fühlen wie im Paradies. Wo sonst liegt man im Mineralwasser, das hier Champagnerwasser heißt?

Leider hat die Stadt, seit sie das Bad 2005 von der Familie Blankenhorn übernommen hat, nichts, aber auch gar nichts getan, um es den Menschen näherzubringen. Die Werbung für das Bad ist erbärmlich. Es braucht keine Helden, um kaltes Wasser zu schätzen. Nur etwas Wissen um die Vorzüge dieser Heilanstalt für Erwachsene. Sie ist eine Herausforderung.

Der Siff kam mit der Stadt

Ein Experte hat gesagt, das Bad sei "versifft". Da hat er nicht unrecht. Der Siff zog ein, als die Stadt das Regiment übernommen hat. Viele Gäste äußern den Verdacht, man lasse das Bad absichtlich herunterkommen, um Gründe für den Umbau zu haben.

Ich weiß, dass man die Quelle als Sammelbecken verschrobener Greise belächelt. Ich weiß aber auch, dass ich von den Politikern, die über das Bad richten, selten einen im Bad gesehen habe, egal wie alt und von welcher Partei. Diese Herrschaften muss man auch in diesem Fall fragen: Verkommen wir zur austauschbaren Konfektionsstadt ohne Identität? Oder sind es uns die kleinen Besonderheiten wert, erhalten und geschützt zu werden?

Ich fürchte, man wird wieder tricksen, bis die Investoren kommen. Das Berg-Land im Park ist gutes Land. Optimal geeignet für eine schöne Shopping-Mall mit Fast-Food-Buden und Springbrunnen.

Jeder Gewohnheitsdreck wird zum "Kult" erklärt. Das Berg gehört nicht zu dieser Sorte Kult. Das Berg ist ein Stück Kultur, ein originelles, traditionsreiches Gesamtkunstwerk zum Vorzeigen und Erholen. Diese Oase mit Stuttgart-Charakter ist subventionswürdig wie ein Theater oder Museum, auch wenn es geschichtslosen Politikern nicht "zeitgemäß" erscheint.

Ich erinnere mich, wie der zeitgemäße Herr Föll bei der Trauerfeier für den Stuttgarter Galeristen und Kunstvermittler Hans-Jürgen Müller vor zwei Jahren ein Gedicht von Hermann Hesse vortrug. Und ich erinnere mich, wie ich Hans-Jürgen Müller, von seiner Krankheit schon schwer gezeichnet, noch einige Male im Bad Berg getroffen habe. "Der einzige Grund für mich, in Stuttgart zu bleiben", hat er mir zum Abschied gesagt, "war das Bad Berg."