Jochen Weigel freut sich auf die Fastnacht, danach fastet er Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Am Donnerstag findet in Bad Cannstatt das traditionelle Kübelesrennen statt. Seit acht Jahren organisiert Jochen Weigel das Spektakel – und hofft, dass das Fasnets-Ereignis Alt wie Jung weiterhin fasziniert. Finanziell ist es ein Kraftakt für den Kübelesmarkt.

Stuttgart. - Herr Weigel, wie erklären Sie einem Faschingsmuffel, weshalb Sie von dem Thema fasziniert sind?
Das müssen wir zunächst präzisieren: Wenn wir von der schwäbisch-alemannischen Fastnacht sprechen, geht es mir vor allem um Zweierlei: Erstmal kommt Fastnacht von Fastennacht, was heißt, sich in dieser christlichen Tradition etwas gehen zu lassen, bevor man fastet. Ich verzichte danach komplett auf Fleisch, Alkohol und Süßigkeiten. Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, auch etwas fürs Festen übrig zu haben und gesellig sein.
Zumindest fürs Festen haben auch weniger traditionelle Gruppen als der Kübelesmarkt während der Faschingszeit viel übrig.
Das stimmt. Und das sollen sie auch. Es gibt in Stuttgart eine Gruppe namens Neckar-orks. Die verkleiden sich wie die Bösen aus „Der Herr der Ringe“. Unser Ansatz ist da sehr viel traditioneller.
Inwiefern?
Die Verkleidungen unserer Narrengilde sind an echte historische Ereignisse angelehnt. Unsere Felben stellen beispielsweise die menschenähnlichen Bäume dar, die im 17. Jahrhundert fälschlicherweise für die Truppen des berüchtigten französischen Generals Ezéchiel de Mélac gehalten wurden.
Wie sind Sie als junger Mensch zu den Küblern gekommen?
Als Faschingsmuffel! Obwohl meine Eltern beim Kübelesmarkt aktiv gewesen sind, konnte ich dem als junger Erwachsener zunächst nicht viel abgewinnen. Als sich dann der Verband der fast 70 schwäbisch-alemannischen Faschingszünfte zum großen Narrentreffen in Bad Cannstatt traf, fragte mich mein Vater, ob ich und meine Kumpels nicht Nachtwache vor einer Halle schieben könnten, in der die Narren übernachteten. Geschlafen wurde da sehr wenig, dafür leicht angeheitert bis in die Morgenstunden gefeiert. Der Funke war schnell übergesprungen und ich habe viele lustige Menschen kennengelernt, zu denen ich bis heute Freundschaften pflege. Das war der Beginn meiner Faschingskarriere.
Heute hat zumindest die traditionelle Fasnet ein Image, das wahrscheinlich noch angestaubter ist.
Das stimmt leider. Die meisten in der Zunft, die schon als Kinder dabei sind, unterbrechen ihre Aktivitäten während der Pubertät oder hören dann ganz auf, sich im Verein zu engagieren. Das geht aber nicht nur uns vom Kübelesmarkt so, sondern allen Narrenzünften. Außerdem bestätigen Ausnahmen die Regel: Wir haben auch eine sehr aktive Gruppe von 20- bis 30-Jährigen. Manche von denen haben so viele Ringe im Gesicht, dass sie fast als Punks durchgehen würden.
In manchen Stadtteilen haben Sie vermutlich Recht, dass traditionelle Fasnet ein befremdlicher Anblick ist. Aber in Bad Cannstatt, wo am Donnerstag das Kübelesrennen und im Sommer das Fischerstechen stattfindet, gehört die Pflege von Brauchtum doch zum Stadtbild.
Darin sticht Cannstatt tatsächlich aus den meisten Stuttgarter Stadtbezirken heraus. Hier ist in meinen Augen die Traditionsküche in Stuttgart: der Cannstatter Wasen, der Pro-Alt-Cannstatt-Verein . . .
. . . sind wohlbekannt. Trotzdem hat Bad Cannstatt auch ein anderes Gesicht: Hier leben überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund.
Tatsächlich pflegen die eher ein geringeres Interesse an unserem schwäbischen Brauchtum. Wobei bei uns alle willkommen sind.
Lassen Sie uns über das Kübelesrennen sprechen, wo sich die Lokalprominenz von Ihnen auf die Schippe nehmen lässt und mit Fässern auf Rollen einen Parcours auf dem Marktplatz bewältigt.
Es starten wie immer Dreierteams aus Politik, Wirtschaft, Stadtverwaltung und Kultur. Der Politik den Spiegel vorzuhalten, ist ein ganz wichtiger Wesenszug von Fasching. Das geht auf den Obernarren Till Eulenspiegel zurück. Wir meinen es aber mit niemandem bös’. Trotzdem ist es schade, dass sich manche Lokalgrößen wie OB Fritz Kuhn bisher der Teilnahme am Kübelesrennen verweigert haben.
Schaut man sich die Liste der Starterteams an, findet man dort alle Fraktionen im Gemeinderat außer zwei. Sogar die FDP, die nach dem Wechsel von Stadtrat Bernd Klingler zur AfD keine mehr ist.
Dass die durch Klinglers Wechsel neu entstandene Fraktion der AfD nicht dabei ist, hängt genauso wie bei der Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus damit zusammen, dass wir einfach keinen Draht in diese Richtungen haben, und von deren Seite hat auch noch niemand Interesse angemeldet.
Für bundesweite Schlagzeilen hat gesorgt, dass kein „Charlie Hebdo“-Wagen beim Karneval in Köln starten wird.
Ein schwieriges Thema, mit dem wir uns zum Glück nicht auseinandersetzen mussten, da wir so lokal ausgerichtet sind.
Was sind dann die aktuellen Themen, die Sie umtreiben?
Ein wirkliches Problem für uns stellt das Unglück bei der Love Parade 2010 in Duisburg dar, als eine Massenpanik ausbrach und 21 Besucher starben. Seit der Technoparade sind die Auflagen für Veranstaltungen viel schärfer geworden. Wir müssen jetzt einen Sicherheits- und einen Sanitätsdienst aus der Vereinskasse bezahlen. Ohne die finanzielle Unterstützung vieler Cannstatter Gastronomen könnten wir das Kübelesrennen nicht stemmen.
Wer wird am Donnerstag Ihrer Meinung nach das Rennen machen?
Für mich ist ganz klar der Kirchen-Kübel Favorit. Der Diakon Eberhard Steinhilber sagt, er habe hart trainiert und hoffe seit 15 Jahren auf den Sieg. Bei soviel Kampfgeist wäre ihm das wirklich zu gönnen!