Jessye Norman Foto: dpa/Evan Agostini

Keine Sopranistin hat so gesungen und gewirkt wie sie: Jessye Norman, geboren 1945 in Augusta/USA, hat als Operndiva mit viel Lust an Ausflügen zum Jazz international Karriere gemacht. Am Montag ist sie 74-jährig an den Folgen einer Verletzung in New York gestorben.

New York - Ist dies etwa der Tod? Joseph von Eichendorff hat diese Frage am Ende seines Gedichts „Im Abendrot“ gestellt, das Richard Strauss als letztes seiner „Vier letzten Lieder“ vertonte, und keine Schallplattenaufnahme dieses Zyklus reicht an jene heran, die Jessye Norman in den frühen 1980er Jahren gemeinsam mit dem Dirigenten Kurt Masur und dem Gewandhausorchester Leipzig unternahm. Die Fähigkeit der Operndiva, enorme Klangfülle und Farbpracht mit großer Beweglichkeit und feiner, klarer Gesangslinie zu verbinden, fand bei Strauss’ üppig verpackter lyrischer Musik ein ideales Objekt, und als jetzt bekannt wurde, dass die Sopranistin am Montag an einer Sepsis und multiplem Organversagen infolge einer Rückenmarksverletzung gestorben ist, mag mancher an die beiden Lerchen in Eichendorffs Gedicht gedacht haben, die Strauss nach dem letzten gesungenen Ton aus dem Orchester heraus in den Himmel schweben lässt: eine ungemein tröstliche Flötengirlande.

Die Karriere der in den USA ausgebildeten Sängerin begann in Deutschland: Nach dem Gewinn des Münchner ARD-Wettbewerbs 1968 lud die Deutsche Oper Berlin sie ein, dort die Partie der Elisabeth in Wagners „Tannhäuser“ zu singen – und bot ihr bereits in der Pause ein vierjähriges festes Engagement am Hause an. In Berlin hat Jessye Norman dann sehr gut und rasch Deutsch gelernt, außerdem weiter Wagner gesungen, aber auch Mozart. Die „Figaro“-Gräfin gab sie sie so nobel, so weich und so samtig wie kaum eine andere, und schon bald trug sie die Bühne, die ihr Leben wurde, auch nach außen, wurde, was ihr Körperbau verstärkte, zu einer Figur, die mit imposanten Auftritten wie mit exzentrischen Gewandungen Alltag und Wirklichkeit in verzauberndes Theater verwandelte.

Auch mit Gospels und mit Jazz war Jessye Norman erfolgreich

Gesungen hat die Sopranistin allerdings nicht nur in Opernhäusern, sondern auch in Konzerten. Lieder hat sie geliebt, zumal das französische Repertoire hat sie mit den Farbnuancen ihrer Stimme bereichert – und nur in seltenen Momenten (wie etwa bei Ravels „Schéhérazade“-Liedern) hat man den Eindruck, dass es des Luxus doch ein wenig zu viel ist. Nicht nur ausnahmsweise hat sie sich außerdem mit Gospels und Jazz beschäftigt: immer mit Hingabe, immer mit immens langem Atem und mit einer von satter Tiefe getragenen, deshalb nie ankerlos flirrenden und immer sehr sinnlich wirkenden Höhe. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass Jessye Norman dabei gelang, was außer ihr keiner anderen schwarzen Sängerin glückte: nämlich in Gattungen zu reüssieren, die von weißen Komponisten und Interpreten erfunden und geprägt worden waren. Ihre große Willenskraft, die auch vor Konflikten nicht zurückscheute, mag auch diesem Gefühl des Widerstands geschuldet sein.

Leider ist das Ende ihrer internationalen Karriere erst ein wenig im Seichten ausgetröpfelt, und dann hat sich die Diva zurückgezogen. Wer aber auch nur ein einziges Mal live erlebte, wie das Phänomen Jessye Norman sekundenschnell ein ganzes Opernhaus füllte, der wird sie nicht vergessen. Und noch mehr gilt dies für die zahlreichen Aufnahmen, welche die Sängerin hinterlässt: Purcells „Dido and Aeneas“ zum Beispiel, eine Aufnahme aus der Zeit, in der man Sängerinnen wie ihr noch die Möglichkeit gab, auch bei alter Musik Wohllaut mit Fülle zu verströmen; dazu Lieder, auch von Alban Berg, von Duparc oder Schönberg. Und eben von Strauss. Tröstlicher als mit dessen „Im Abendrot“ kann man von der großen Sängerin Jessye Norman nicht Abschied nehmen. Zwei Flöten entschweben in den Himmel. Nein, dies ist nicht der Tod.