Zehntausende Jesiden und Christen kämpfen im Nordirak um ihr Leben. Angesichts aufwühlender Berichte und eindringlicher Warnungen vor einem Völkermord verstärkt die Bundesregierung ihre Flüchtlingshilfe. Bei einer Kundgebung kommen Wut und Verzweiflung zum Ausdruck.
Zehntausende Jesiden und Christen kämpfen im Nordirak um ihr Leben. Angesichts aufwühlender Berichte und eindringlicher Warnungen vor einem Völkermord verstärkt die Bundesregierung ihre Flüchtlingshilfe. Bei einer Kundgebung kommen Wut und Verzweiflung zum Ausdruck.
Berlin - Unter dem Eindruck erschütternder Schilderungen aus dem Nordirak hat die Bundesregierung ihre finanzielle Hilfe für Flüchtlinge in der Region nochmals erhöht. „Für Nothilfemaßnahmen haben wir gerade weitere 1,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Sonntag der „Süddeutschen Zeitung“. Am Freitag hatte Berlin bereits 2,9 Millionen Euro an Soforthilfe freigegeben.
Hunderttausende seien auf der Flucht vor der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und hätten „in Kurdistan-Irak Zuflucht gefunden. Diesen Menschen müssen wir helfen“, sagte Steinmeier. Er stehe im Kontakt mit dem Präsidenten der Region Kurdistan-Irak, Masoud Barzani, „um zu sehen, wie wir in dieser äußerst kritischen Situation Unterstützung anbieten können“. Nach UN-Angaben sind seit Montag rund 200.000 Menschen im Irak aus ihren Häusern vertrieben worden. Die meisten stammen aus christlichen und jesidischen Dörfern im Nordirak. In Deutschland leben nach Schätzung bis zu 90.000 Jesiden, Mitglieder einer eigenständigen, monotheistischen Religionsgemeinschaft.
Röttgen: Haltung in der Irak-Krise grundlegend ändern
Zunächst hatte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), die schwarz-rote Regierung aufgefordert, ihre Haltung in der Irak-Krise grundlegend zu ändern. Außerdem solle den „um ihr Leben rennenden Menschen vorübergehend in Deutschland Zuflucht gegeben werden, bis sich die Lage verbessert“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Die Bundesrepublik müsse sich zusammen mit der Europäischen Union (EU) „aktiv dafür einsetzen, dass der Terrororganisation IS innerhalb des Irak und in der Region die politische Unterstützung entzogen wird“, sagte Röttgen.
Ein Bündnis aus Politik, Menschenrechtlern, Künstlern und Religionsgemeinschaften verlangte von der Regierung, humanitäre Soforthilfe für im Irak verfolgte Christen, Jesiden und andere religiöse Minderheiten auf den Weg zu bringen. „Der Vormarsch der radikal-islamischen Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) bedroht das Leben zehntausender Menschen im Irak“, heißt es zur Begründung in einem Offenen Brief. Er wurde von Politikern aus CDU, SPD, Grünen, FDP und Linkspartei unterzeichnet und lag der Zeitung „Die Welt“ (Montag) vor. Tausende Jesiden und irakischstämmige Christen hatten am Samstag ein rasches Eingreifen gegen die grausamen Verbrechen der Terrormiliz IS im Nordirak gefordert. „Das ist kein Krieg, sondern Völkermord“, „Stoppt IS“, „Rettet die Christen“ stand auf Plakaten der Kundgebung in Bielefeld. Die Polizei sprach von 6000 Demonstranten, die Veranstalter schätzten ihre Zahl auf 10.000. Auch in Hessen gab es am Samstag Proteste gegen die Terrormiliz IS. Insgesamt wurden 1000 Teilnehmer gezählt. Die Polizei in Bielefeld hatte sich mit einem großen Aufgebot vorbereitet, nachdem am Mittwoch demonstrierende Jesiden wenige Kilometer entfernt in Herford angegriffen worden waren. Sie hatten ein Plakat mit einem Aufruf gegen die Verfolgung der Jesiden in ein Schaufenster geklebt. Daraufhin wurden sie von mehreren Männern angegriffen, die meisten von ihnen stammten aus Tschetschenien.
Zum Ende der Demonstration am Samstag kam es zu einem kurzen Tumult am Kundgebungsort. Ausgelöst von unbedachten Äußerungen einer Gruppe Passanten seien zahlreiche Jesiden zusammengeströmt, berichtete die Polizei. Eine Hundertschaft Beamte trennte die Gruppen. Ein Mann griff Polizisten mit einer Dachlatte an. Er wurde festgenommen. Bei den Passanten habe es sich nicht um Salafisten oder andere radikale muslimische Gruppierungen gehandelt, wurde betont.