Abt Nikodemus Schnabel Foto: Dormitio-Abtei

Nikodemus Schnabel ist Benediktiner. Der Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem kam kurz vor Weihnachten für wenige Tage nach Ditzingen.

Kurz vor Weihnachten ist Abt Nikodemus Schnabel zurück nach Ditzingen gekommen an den Ort seiner frühesten Kindheit. Der Anlass war mit der Trauerfeier für seinen Vater, Stadtrat Dieter Schnabel, ein sehr privater. Wenige Tage später flog der Katholik wieder zurück. Der Abt lebt in Jerusalem, leitet zwei Klöster im Heiligen Land. Ob der Mönch in Ditzingen für einen Moment den Nahostkonflikt ausgeblendet hat, das Leben seiner Mitbrüder in der Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion in Jerusalem sowie jener in Tabgha am See Genezareth, die sich weitgehend im Luftschutzbunker aufhalten und für die er Verantwortung trägt?

 

Mönch seit 20 Jahren

Mit ihm leben zwölf Benediktiner-Mönche an diesen beiden Orten. „Geistig geht es uns gut“, sagt Nikodemus. Gleichwohl bleiben seit 14 Monaten die Pilger – und damit die Einnahmen – aus. Nikodemus hält an den 24 Mitarbeitenden fest, die wiederum 29 Kinder haben, das Kloster ist offen. „Wir bleiben hier“, sagt der Abt mit Verweis auf die Glaubenssätze der Benediktiner. Sie beinhalten auch „stabilitas“, also Beständigkeit. Sie gilt auch jetzt, nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Mehr noch: In den vergangenen Monaten hätte sich die Dormitio-Abtei immer stärker zu einem Ort der Kunst und der Kultur entwickelt, so der Abt.

Abt Nikodemus, als Claudius Schnabel in Stuttgart geboren, wuchs als Scheidungskind auf. Die Mutter ist Schauspielerin, sein Ziehvater war ebenfalls Künstler. Die Besuche bei seinem leiblichen Vater in Ditzingen bleiben rar – doch der Ort und seine Familie beschäftigen ihn auch heute. Er studiert Philosophie und Katholische Theologie unter anderem in Fulda, München und Jerusalem, trat 2003 in die Benediktinerabtei der Dormitio auf dem Berg Zion in Jerusalem ein, nahm dort den Ordensnamen Nikodemus an. 2013 wurde er zum Priester geweiht, fünf Jahre später macht er ein Sabbatical im Auswärtigen Amt. Seit 2023 steht der promovierte Wissenschaftler als Abt dem Kloster vor. Heute gilt er als Ostkirchenexperte, der zugleich zumindest in den deutschsprachigen Medien gewisse Präsenz hat. Zuletzt waren er und seine Mitbrüder bei der Weihnachtsaktion medial begleitet worden: Traditionell machen sich die Benediktiner-Mönche in der Weihnachtsnacht von Jerusalem nach Bethlehem auf, tragen eine Schriftrolle mit sich, die in diesem Jahr mehr als hunderttausend Namen enthielt, die ins Gebet miteingeschlossen werden sollen.

Ein buntes Bild voller Leben in der Geburtskirche

Rund 100 Menschen hatten sich in der Heiligen Nacht mit den Mönchen auf den Weg gemacht. Verglichen mit Friedenszeiten, in denen es rund 300 seien, seien es wenige gewesen, sagt der Abt. Aber angesichts der Situation – es ist Krieg, es gibt eine Reisewarnung für das Land – sagt er: „So gesehen bin ich hoch zufrieden, wie viele wir waren.“ Die Gläubigen waren auf dem zehn Kilometer langen Weg nahezu alleine unterwegs, in Bethlehem fehlten am frühen Morgen die traditionell dort wartenden Taxifahrer.

Anders war das Bild in der Geburtskirche selbst: Mehrere Hundert Inder, Arbeitsmigranten, hätten dort gefeiert, erzählt Abt Nikodemus: eine Situation „fast wie in Friedenszeiten“. Der Alltag hingegen sei geprägt von einem Leben in einem „Ozean von Leid“. Er und seine Mitbrüder wollten in dieser Situation „Hoffnungsinsel“ sein, sagt der Benediktiner. Seine Position im Nahostkrieg sei daher nicht pro Israel oder pro Palästina. „Ich bin pro Mensch“, sagt der 46-Jährige.

Die Dormitio-Abei in Jerusalem Foto: www.imago-images.de/imageBROKER/Moritz Wolf

Als Christ gehört er einer religiösen Minderheit im Land an. Rund zwei Prozent der Bevölkerung sind Christen. Auch die Tatsachen, dass Christen von Juden immer wieder bespuckt werden, seine Kirche selbst an Heiligabend Ziel eines Hassangriffs wurde, ändert nichts an seiner grundsätzlichen, dem Menschen in Respekt zugewandten Haltung. Dass etliche Juden mit ihm, dem Auslandsseelsorger, für die Gemeinde der deutschsprachigen Katholiken in Israel und Palästina, Weihnachten feierten, hat ihn gefreut. Auch das mache diese Stadt aus: „Es ist alles so dicht beieinander, wir erleben den Hass und die Liebe.“ Natürlich müsse der Hass benannt werden, man dürfe die Probleme auch nicht verdrängen. „Aber ich muss dem Hass keinen roten Teppich ausrollen.“

Abt Nikodemus nennt solche Störer „Religions-Hooligans“ und hält das Bild vom frühmorgendlichen Jerusalem dagegen, wenn Juden, Moslems und Christen, eben die Vertreter der drei großen monotheistischen Religionen, in den Straßen unterwegs sind – still, friedvoll. „Die große Kraftquelle ist meine Hoffnung.“ Fragen und Zweifel schließt er nicht aus. Aber er wolle nicht im Modus eines zynischen „Ist halt so“ agieren, was dann doch einer „moralischen Anspruchslosigkeit“ gleichkommen würde.

Möglicherweise hat auch die komplexe Stadt Jerusalem selbst dazu beigetragen, dass der Abt intensiv auf die „Fußnoten“ in der Geschichte, die „Grautöne“ in den Berichten schaut, wie er es formuliert und der zugleich „Geschmack an der Komplexität“ gefunden hat. Zugleich beobachtet er in Diskussionen hierzulande eine „neue Sehnsucht nach Schwarz-Weiß“ : richtig oder falsch, Freund oder Feind – „das ist mir moralisch zu anspruchslos“.

Seine Worte werden gehört. Im Radio, im Fernsehen in Dokumentationen mit Markus Lanz, in Podcasts, von Politikern, die Ditzinger Fraktionschefin nahm seine Worte über das Miteinander der Religionen in ihrer Haushaltsrede auf, als Beschreibung der Situation vom friedlichen Miteinander auch in der Stadt an der Glems. Sein Buch „Zuhause im Niemandsland“ wurde zum Bestseller, in einem anderen gibt er Antworten auf Alltagsfragen.

Gut möglich, dass auch jene voller Fragen sind, die weniger den Nikodemus, als den Claudius Schnabel kennen. In den vergangenen Wochen haben ihn, so erzählt er, mehr Nachrichten aus Ditzingen erreicht.