Jens Spahn in Böblingen – der Saal ist überfüllt, der Applaus verhalten. Foto:  

Gesundsheitsminister Jens Spahn (CDU) wirbt für seine Reformen – und nebenbei für sich selbst.

Böblingen - So liest sich die Selbsteinschätzung des Gesundheitsministers: „Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch werden.“ Auch wenn Jens Spahn diesen Satz schon vor einiger Zeit formuliert hat, sein aktueller Auftritt in Böblingen bestätigt diese Einschätzung. Der Saal ist wegen Überfüllung geschlossen, samt einem Nebenraum, in dem der Minister nur auf Fernsehern zu sehen ist. Der Applaus bei Spahns Ankunft bleibt hingegen verhalten.

Schon seit seinen Zeiten in der Jungen Union, Kreisverband Borken, gilt Jens Spahn als Politiker, der noch immer ein Streichholz gezückt hat, wenn ein Benzinkanister in Sicht kommt. In der Öffentlichkeit ist er weniger als Gesundheitspolitiker bekannt denn als Kritiker von Angela Merkels Flüchtlingspolitik, die er gern mit der Forderung nach einem Verbot der Vollverschleierung und der Kritik an der doppelten Staatsbürgerschaft verbindet. Seine Einlassung, dass sich von Hartz IV ordentlich leben lässt, blieb selbstredend ebenfalls nicht unbemerkt – oder unkritisiert.

Viel Kinikpersonal im Publikum

Vor fast auf den Tag genau einem Jahr ist Spahn angetreten zu vollbringen, woran seine Vorgänger seit Jahrzehnten gescheitert waren: Das Gesundheitswesen umzukrempeln, nicht zuletzt dessen Finanzierung. „Das ist ja nicht mein Geld, das ist Ihres“, sagt er. Wie dieser mahnende Satz bei Veranstaltungen wie dieser aufs Publikum wirkt, muss ihm durchaus bewusst sein. Im Saal befinden sich ganz überwiegend Krankenschwestern, Altenpfleger, Hebammen, eben Krankenhauspersonal. Gemessen an den Wortmeldungen empfinden sie alle ihre Arbeitsbedingungen als schlichtweg unzumutbar. Was das Publikum bei solchen Auftritten von ihm denkt, hat Jens Spahn selbst schon in seinen einleitenden Sätzen so formuliert: „Das Vertrauen, dass ein Gesundheitsminister nur einen Hauch von Ahnung hat, ist nicht sonderlich ausgeprägt“.

Selbstredend will er mit Auftritten wie diesem eben diese Einschätzung ändern, anders ausgedrückt: seine Beliebtheit steigern. Dass er nichts bewegt hätte in seinem ersten Jahr als Minister, kann ihm jedenfalls niemand nachsagen. Nebenbei hat er sich, seinem Ruf als Provokateur gemäß, mit so gut wie jedem angelegt, der im Gesundheitswesen eine Stimme hat. Die Chefs der Krankenkassen schimpften über seine Versuche, ihnen auch die Kosten für alternative Behandlungsmethoden aufzubürden, erst recht gegen seine aktuelle Forderung, die Beiträge zu senken. Gegen sein Gesetz für schnellere Terminvermittlung in Facharztpraxen protestierten allein in Niedersachsen 65 000 Psychotherapeuten mit ihrer Unterschrift unter einer Petition. Durchgesetzt hat er es trotzdem.

Der Minister hat viele Baustellen

Den Beruf der Hebamme erhob Spahn zum Studienfach. Er setzte feste Schlüssel für das Verhältnis von Pflegekräften zu Patienten durch und dass eben die Pflege vom nächsten Jahr an nicht mehr unter die Fallpauschale fällt. Nun will er die Masernimpfung zur Pflicht erheben und die Organspende zum Normal- statt zum Ausnahmefall machen. All dies zählt er als seine Erfolge auf – und meint damit eine vorläufige Liste seiner Erfolge. „Ich höre überall, das reicht nicht“, sagt Spahn, „aber irgendwo müssen wir eben mal anfangen“.