Luftangriffe durch Saudi-Arabien: Ein Mann sitzt auf den Trümmern seines Hauses in Jemens Hauptstadt Sanaa Foto: dpa

Saudi-Arabien lässt nicht locker: Tag für Tag schickt es Bomber zu Kampfeinsätzen gegen die Huthis über die Grenze nach Jemen. Mit dem Blutzoll steigen die Spannungen in der Region – die Tübinger Doktorandin Tanja Granzow spricht über beteiligte Akteure und mögliche Lösungsansätze.

Frau Granzow, die Huthis haben im Januar große Unruhen angestoßen, woraufhin Präsident Abd-Rabbu Mansur Hadi das Land verlassen hat. Worum geht es den Rebellen?
Der eigentliche Konflikt, den die sogenannten Huthis mit der jemenitischen Regierung haben, beruht auf einer starken Marginalisierung und Diskriminierung, den die schiitischen Zaiditen aus dem Norden des Landes jahrzehntelang erfahren haben. Ursprünglich wollten sie einfach mehr Gleichstellung und Repräsentanz im Land. Seit 2004 kam es deshalb schon zu sechs Runden Krieg mit der Regierung, die 2010 mit einem Waffenstillstand endeten.
Was hat sich danach geändert?
Im Rahmen des arabischen Frühlings 2011 hat sich die Gruppe gewandelt: weg von einer reinen Rebellengruppe hin zu einem Akteur mit politischen Forderungen. Sie haben auch am nationalen Dialog zur Neugestaltung der politischen Ordnung im Land teilgenommen. Beim Entwurf der neuen Verfassung wurde aber aus ihrer Perspektive die Rolle der Zaiditen wieder nicht ausreichend berücksichtigt. Das führte unter anderem mit zu den Unruhen im Januar. Sana’a/ Tübingen -
Es handelt sich im Kern also um einen Konflikt zwischen den schiitischen Zaiditen und der sunnitischen Regierung?
Der Konflikt im Jemen wird fälschlicherweise oft als rein religiöser Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten dargestellt. Es gibt im Jemen aber sehr viele Identitätsgruppen und Trennlinien, die stärker wirken als die religiösen Unterschiede. Das sind hauptsächlich regionale Trennlinien oder Zugehörigkeiten zu bestimmten Stämmen, das sind Konflikte um Macht und Einfluss und das ist vor allem auch der Konflikt zwischen dem Nordjemen und dem Südjemen. Erst jetzt, durch den militärischen Eingriff Saudi Arabiens, entsteht die Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten. Der Jemen hat eigentlich eine lange Tradition von friedlichem Zusammenleben der beiden Gruppen.
Dann mischen da noch die Gruppen im Süden des Jemen und Al-Kaida-nahe Gruppen mit.
Verschiedene Gruppen im Süden versuchen, die Stadt Aden gegen die Huthis aus dem Norden zu verteidigen. Im Osten und Südosten des Landes versucht Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel an Einfluss zu gewinnen. Diese Gruppierung kann dort eine Unzufriedenheit der Bevölkerung auffangen, die bedingt ist zum Beispiel durch die massiven Drohnenangriffe der USA in dieser Gegend, bei denen sehr viele Zivilisten getötet wurden. Dazu kommt: Der Jemen ist das mit Abstand ärmste Land der Region: Schlechte Wasser- und Stromversorgung, Jugendarbeitslosigkeit und Mangelernährung führen zu großem Unmut in der Bevölkerung. Dadurch gibt es dort einen gewissen Rekrutierungsboden für Al Kaida. Seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh ist außerdem ein politisches Vakuum im Land entstanden, das solche Gruppen für sich zu nutzen versuchen.
Und das konnte Präsident Hadi nicht füllen?
Mit der Absetzung Präsident Salehs ist ein ausgefeiltes System von Klientelpolitik kollabiert. Durch eine sehr stark personalisierte, autoritäre Regierung konnte er eine brüchige Balance zwischen verschiedenen Familien, Stämmen und religiösen Gruppen aufrechterhalten. Als Saleh weg war, haben viele Gruppen versucht, ihren Einfluss auszuspielen. Hadi hat es nicht geschafft, das zu stabilisieren, weil er nicht über die gleichen Verbindungen verfügt wie Saleh, und weil Saleh Immunität erhalten hat und im Land bleiben durfte. Ihm das zu erlauben war ein Fehler: Saleh hat noch immer einen starken Einfluss und unterstützt einzelne Gruppen. Zum Beispiel die Huthis, die er früher bekämpft hat – davon gehe ich aus. Das sät Zwietracht, und das hat auch der Regierung von Präsident Hadi Legitimation geraubt.
Ist der Konflikt ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi Arabien und dem Iran?
Meiner Einschätzung nach haben die Huthis bis vor kurzem praktisch keine Unterstützung aus dem Iran erhalten. Das weiß ich auch aus Gesprächen mit Forschern und Beteiligten dort. Rhetorisch wurde das Argument, der Iran sei beteiligt, sehr stark eingesetzt, besonders von Präsident Saleh im Kampf gegen die Huthis. So hat er versucht, sein militärisches Vorgehen gegen die Gruppe zu legitimieren und sich Unterstützung von außen zu sichern. Diese Rhetorik wird natürlich auch gerne von Saudi Arabien aufgegriffen, die sich in einer Art Kalter-Kriegs-Situation mit dem Iran befinden. Das Narrativ wird seit mehr als 10 Jahren intensiv verbreitet, so dass es nicht mehr in Frage gestellt wird. Sicherlich betrachtet Iran den Aufstieg der Huthis prinzipiell mit Wohlwollen. Aber es gibt keinerlei gesicherte Belege für eine faktische Unterstützung der Gruppe.
Völlig unbeteiligt ist der Iran aber nicht?
Inzwischen hat sich die Situation leicht verändert: In den letzten Wochen haben die Huthis selbst ihre Kooperation mit dem Iran und eine Anfrage hinsichtlich finanzieller Unterstützung offengelegt. Iran hat auch finanzielle Hilfen zugesagt. Außerdem wurden regelmäßige Flugverbindungen zwischen Sanaa und Teheran aufgenommen. Das heißt: Wir sehen definitiv einen Zuwachs an Kooperation, der Saudi-Arabien möglicherweise beunruhigt, der aber relativ „neu“ ist.
Wie sähe eine sinnvolle Konfliktlösung aus?
Erst einmal müssten die militärischen Angriffe gestoppt werden. Dann kann man versuchen, die Gruppen wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Allerdings auf einem anderen Territorium und mit neuen Mediatoren: Golfstaaten wie Katar, die im Konflikt bisher vermittelt haben, können diese Rolle meiner Ansicht nach nicht mehr einnehmen. Die fliegen in der Allianz mit Saudi Arabien ja gerade eben auch Angriffe auf die Huthis. Wichtig wäre auch eine stärkere Sensibilität für die verschiedenen Akteure und deren Interessen, als das bislang der Fall war. Und man bräuchte anerkannte Repräsentanten: Die Legitimität von Präsident Hadi steht jedenfalls in Frage, er kam als ehemaliger Vizepräsident ohne Wahl ins Amt, auch das Parlament wurde zuletzt 2003 gewählt. Außerdem müsste man der Familie von Ex-Präsident Saleh die Möglichkeit nehmen, weiter Einfluss auszuüben.
Welche Rolle könnten Deutschland und die EU dabei spielen?
Bisher hat die EU keine starke Rolle eingenommen – ich würde eine solche aber befürworten, weil die EU wenig vorbelastet ist. Großbritannien und auch Deutschland beispielsweise haben gerade im Südjemen eine sehr gute Reputation.