Jeans – die passende zu finden, ist nicht einfach. Und hat man sich an eine Form gewöhnt, will man von ihr so leicht nicht lassen. Foto: IMAGO/Zoonar

Die Gen Z schaut auf die Millennials herab, die von ihrer Skinny nicht lassen wollen – dieser Generationenkonflikt wird auf TikTok heraufbeschworen. Aber stimmt das überhaupt?

Die junge Frau auf TikTok ist ziemlich überzeugt von dem, was sie zu sagen hat: „Wie man hundertprozentig erkennt, ob jemand Millennial oder Gen Z ist?“, fragt sie ihre Follower. Und liefert die Antwort gleich nach: „Millennials tragen eine Skinny oder gerade geschnittene Jeans, GenZs lockere, tief sitzende Baggy-Jeans.“

 

In 16 Sekunden hat sie die Welt sauber eingeteilt – anhand der Jeansform. Massenweise finden sich solche Clips in den sozialen Medien. Ein regelrechter Generationenkonflikt wird da heraufbeschworen. Nach dem Motto: Arme Millennials, seht Ihr nicht, wie uncool Ihr inzwischen seid?

Ist das so? In hochgeschnittenen, eher schmalen Hosen, die über den Knöcheln enden stecken Millennials, die zwischen 1980 und 1995 Geborenen? Und in tief sitzenden Baggy-Hosen mit massig viel Stoff jemand aus der Generation Z, die zwischen 1995 und 2010 das Licht der Welt erblickten? „Auf Social Media wird das sehr überspitzt dargestellt“, sagt Natalie Seng, Professorin für „Fashion & Lifestyle Design“ am Texoversum der Hochschule Reutlingen. „Dass man an der Jeansform ablesen soll, zu welcher Generation jemand gehört – das funktioniert so nicht.“ Auch Silke Koch hat ihre Zweifel an der Jeanstheorie: „Die einen nur Wide Leg, die anderen nur schmal – so sortenrein ist das nicht“, meint die Stylistin aus Stuttgart.

Die Verbraucherin hat jetzt auch weite Hosen lieb gewonnen

„Es ist sogar eher andersherum: Je stärker die Wide-Leg-Jeans im Mainstream ankommt, desto eher wird bei der Gen Z oder Alpha eine Gegenbewegung wahrscheinlich, und für die Jungen werden Slim- und Skinny-Varianten interessant“, beobachtet die Modeprofessorin Seng. Es hat ein bisschen gedauert, aber nun hat die Verbraucherin weite Hosen lieb gewonnen: Palazzo, Marlene, Culotte, Baggy, Flared – je mehr Stoff, desto besser. Die weiten Schnitte verzeihen figurtechnisch einiges. Und bequemer als die zwackende Pelle einer Skinny sind sie sowieso. „Die Wide-Leg-Jeans hat ihren Weg in den Mainstream gefunden“, sagt Seng.

Damit wird sie für trendbewusste GenZler allerdings zunehmend uninteressant. Sie schauen in die Nullerjahre und entdecken extrem schmale Formen wieder. Selbst die, die die Skinny Jeans in den 2000ern erst groß gemacht hat, trägt sie jetzt wieder: Kate Moss. Fast im Alleingang hatte das superdünne Model die schmale Röhre damals zum It-Piece gemacht. Vielleicht kam sogar sie zum ersten Mal auf die Idee, die engen Hosenbeine in kniehohe Stiefel zu stecken – ein Look, lange verpönt und 2025 plötzlich auch wieder tragbar. „Die Skinny Jeans spielten modisch so lange eine völlig untergeordnete Rolle, dass sie jetzt wieder total interessant ist für Leute, die Trends sehr früh adaptieren“, sagt Seng.

Mit der Mode ist es eben genauso, wie erfahrene Mütter es ihren Töchtern seit Jahrzehnten predigen: Alles kommt wieder. Die langen Linien lösen sich dabei zunehmend auf: „Große Trends, wie wir sie noch in den 1970er oder 80er Jahren erlebt haben, gibt es heute nicht mehr“, erklärt die Reutlinger Modeprofessorin. „Es gibt ganz viele Mikrotrends, die in hoher Geschwindigkeit aufkommen und dann auch schnell wieder verschwunden sind. Gleichzeitig existieren stabile, langfristige Strömungen, die das Konsumverhalten und Design über Jahre hinweg prägen.“ Fast Fashion trägt zu dieser Beschleunigung bei. So läuft heute vieles nebeneinander: Wide Leg und Skinny statt entweder oder. „Dieses kategorische ‚Das kann man nicht mehr tragen’ von früher, das gibt es heute nicht mehr“, sagt auch die Stylistin Silke Koch. „Dafür ist die Mode heute viel zu individualistisch.“

Kate Moss verhalf der Skinny Jeans in den 2000ern zu ihrem ersten Durchbruch. Foto: IMAGO/Capital Pictures/Avalon.red/Abacapress/

Wer übrigens überraschend wenig mitzureden hat, welche Jeansform Trend ist, sind die Hersteller – selbst „Big Player“ wie Levi’s, Diesel oder Mustang. „Jeder Jeanshersteller würde sich freuen, wenn er steuern könnte, wohin der Trend geht. Aber selbst die ganz großen Marken reagieren auf diese Trends und setzen sie meist nicht“, sagt Seng. Hersteller versuchten die Modelle zu produzieren, mit denen sie den meisten Umsatz machen. „Viele Trends im Streetwear-Markt verlaufen in der Regel wirklich nach dem Bubble-up-Prinzip: Sie entstehen in urbanen Subkulturen oder Szenen, verbreiten sich über Social Media und werden schließlich von großen Marken adaptiert.“

Einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss darauf, welche Jeansform alle tragen wollen, haben Prominente. Als der Rapper Kendrick Lamar beim diesjährigen Superbowl in einer Bootcut-Jeans auftrat, wurde im Netz tagelang diskutiert. „Auch die Hadid-Schwestern Bella und Gigi haben wesentlich dazu beigetragen, dass der Y2K-Style im Mainstream richtig durchgestartet ist“, sagt Seng. Y2K steht für die Mode der 2000er: Bauchfreie Tops, tief sitzende Jeans, bunt getönte Sonnenbrillen, Fischerhüte – so wie Britney Spears oder Lindsay Lohan einst unbekümmert durch die Nullerjahre schwebten.

Drei typische Looks der frühen Nullerjahre: Lindsay Lohan, Keira Knightley und Britney Spears (von links) Foto: IMAGO/Newscom World/Cinema Publishers Collection/Newscom World

Das US-amerikanische Model Bella Hadid ist heute das Werbegesicht einer der Y2K-Brands schlechthin: Miss Sixty, eine italienische Marke, die für sehr körperbetonte, extrem tief geschnittene Jeansmodelle steht. Wer in den frühen Nullerjahren eine junge Frau war, wird sich erinnern, wie darin die Nieren fröstelten und man beim Bücken Gefahr lief, unfreiwillig das unbekleidete Hinterteil zu zeigen. Trotzdem sparte man monatelang sein Taschengeld zusammen, um so eine (nicht eben günstige) Miss Sixty zu erstehen. Auf den Schulgängen war sie ein Statussymbol. In den Zehnerjahren erlebte die Marke dann ihren Niedergang, wurde nach China verkauft. Mit dem Y2K-Trend will Miss Sixty jetzt ein Revival starten.

Das Model Bella Hadid holt Y2K ins Jahr 2025. Foto: IMAGO/ABACAPRESS/KCS Presse/Mediapunch/Independent Photo Agency Int

Die Generation Z hat Vintage für sich entdeckt. Nicht umsonst schießen in den deutschen Innenstädten Secondhand-Läden wie Pilze aus dem Boden. Das Grabbeltisch-Image hat Secondhand längst hinter sich gelassen. Vintage ist cool. Und zeitgemäß: Längst wissen die meisten, dass die schnelllebige Fashionindustrie viele Ressourcen verbraucht und enorm viel CO2 emittiert. „Bei Vintage spielt neben Nachhaltigkeit aber auch Nostalgie eine Rolle“, sagt Natalie Seng. „Dass wir in krisenhaften Zeiten leben, spürt die Gen Z sehr stark. Modisch entsteht daraus oft der Impuls, sich in frühere Zeiten zurückzudenken, die als stabiler wahrgenommen werden.“ Bei der Onlineplattform Vinted ein Originalteil aus den 90ern oder Nullerjahren zu ergattern – für die Gen Z gibt es kaum was besseres. „Vintagestücke von Marken, die ihre Wurzeln in der HipHop-Kultur der 90er haben – Karl Kani zum Beispiel oder Avirex – , sind jetzt wieder extrem begehrt.“ Und auch die gute alte Miss Sixty wird Händlerinnen bei Vinted aus den Händen gerissen.

Und was heißt das jetzt für die Debatte Slim vs. Wide Leg? Natalie Seng sieht es so: „Schmale, zigarettenförmige Silhouetten erleben derzeit ein deutliches Comeback – bei Frauen ebenso wie bei Männern. Aber Wide Leg ist definitiv noch nicht auserzählt.“