Ein Bild aus besseren Zeiten: Carla Bley im Jahr 2012 mit ihrem Mann Steve Swallow am Bass und Andy Sheppard am Saxofon. In Stuttgart mussten Sheppard und Swallow nun ohne die erkankte Bley auftreten. Foto: dpa

Aus einem Trio wurde überraschend ein Duo: Die Jazzpianistin Carla Bley konnte einer schweren Bronchitis wegen nicht in der Stuttgarter Sparda-Welt auftreten. Bassist Steve Swallow und Saxofonist Andy Sheppard wurden der Herausforderung als Duo aber mehr als gerecht.

Stuttgart - Wegen einer Lungenoperation musste die Frühjahrstournee 2018 von Carla Bley abgesagt werden. Zum 50-jährigen Bestehen ihrer deutschen Plattenfirma ECM aber wollte sie mit ihren langjährigen Triopartnern Steve Swallow und Andy Sheppard im Rahmen des Jazzfestivals Esslingen unbedingt auftreten. Das Konzert in der Sparda-Welt beim Stuttgarter Hauptbahnhof war seit Langem ausverkauft. Doch die Besucher erfuhren am Eingang von Veranstalter Maximilian Merkle, dass Carla Bley erkrankt sei, bloß ein Duo spielen werde und man die Karten zurückgeben könne. Davon machten aber nur ganz wenige Gebrauch.

Steve Swallow, Carla Bleys liebster Bassist und dritter Ehemann, teilte dem Publikum mit, sie kämen von einem Open-Air-Konzert in Südkorea. Dort sei es eiskalt gewesen, seine Frau läge nun mit hohem Fieber und einer Bronchitis im Bett. Ein Stuttgarter Arzt habe ihr Auftrittsverbot erteilt und strikte Bettruhe verordnet. Zum ersten Mal in ihrer langen Karriere müsse sie so kurzfristig einen Auftritt absagen. Sie sei untröstlich und grüße das Stuttgarter Publikum herzlich. In Gedanken sei sie hier.

Ein interessierter Gast

Physisch anwesend war auch ein anderer weltbekannter Musiker. Bassist Eberhard Weber, der Schirmherr des Festivals, kann seit seinem Schlaganfall nicht mehr spielen und verfolgte das Duo-Konzert vom Rollstuhl aus. Er erzählte, dass er vor ein paar Jahren Carla Bley in seinem südfranzösischen Wohnort nach einem Konzert kennen gelernt habe. Dort habe er erstmals nach dem Schlaganfall, der 2007 sein Leben radikal veränderte, eben diese Gruppe wieder live erlebt. Danach sei Carla Bley, die er vorher persönlich nicht kannte, auf ihn zugekommen und habe ihn umarmt.

Wie alle anderen Besucher war auch Weber enttäuscht darüber, dass die 82-jährige große alte Dame des Jazz nun nicht hier sein konnte. Mit großem Interesse und hoch konzentriert folgte er dem Duo-Konzert seines Kollegen Steve Swallow und des britischen Saxofonisten Andy Sheppard. Das sei, verkündete Swallow, eine Weltpremiere, die „Kompaktversion“ ihres seit über zwanzig Jahren bestehenden Trios. Sie würden, von einer Ausnahme abgesehen – es war der abstrakte Blues „Misterioso“ von Thelonious Monk-, ausschließlich Kompositionen von Carla Bley spielen. Ihr Spirit sei auf der Bühne. Und um es gleich zu sagen: Die beiden machten das Beste aus der Situation.

Wohlige Wärme

Über einer zärtlich leichten und beschwingten Basslinie spielte Sheppard auf seinem sinnlich klingenden Tenorsaxofon eine fast kindlich anmutende, melancholisch angehauchte Melodie. Dann raute er die Töne auf, die in der Höhe scharf und eindringlich klangen und verströmte in den tieferen Lagen eine wohlige Wärme. Die Basslinie mäanderte fleißig weiter und mündete schließlich wieder ins Thema „Copycat“ des jüngsten Carla-Bley-Albums „Andando el Tiempo“. Der fünfsaitige, mit einem Plektron gespielte Elektrobass von Steve Swallow klang dabei fast schon wie eine Gitarre.

Nun war es an Sheppard, mit einem ostinat wiederholten abgrundtiefen Basston die Begleitung zu übernehmen und Swallow solieren zu lassen. Der fand mit gutem Timing auch nach vertrackten Phrasen immer wieder zum ursprünglichen Rhythmus zurück. Als Sheppard zum hellen Sopransaxofon griff, änderte sich die Stimmung. Unbekümmert und fröhlich wie ein Vogelgesang ertönte das von Carla Bley geschriebene Lied. Swallow unterlegte es mit einer Bassfigur, die auch einem Pop-Song Wärme und Halt gegeben hätte.

Klapperschlange im Paradies

Die beiden Jazzer bewiesen feines Gespür für Klangschönheiten, ihr Zusammenspiel war traumhaft sicher, und doch vermisste man das etwas spröde und klar strukturierte Spiel von Carla Bley, die es so unnachahmlich versteht, Musiker zu beflügeln. Ein Harmonieinstrument wie das Klavier hätte diese Kammermusik wunderbar abgerundet.

Die Klapperschlange im Paradies, wie der übersetzte Titel eines anderen Bley-Songs lautet, hätte mit Klavier noch farbenfroher geleuchtet und gefährlicher gerasselt. Doch schwebte – für jeden spürbar – der Geist der Komponistin im Saal. Die besenblonde, hagere Frau mit dem Ruf einer Jazzrebellin war abwesend und doch präsent. Ob wir Carla Bley, die im Jahr 2009 in Stuttgart mit der German Jazz Trophy geehrt wurde, hier noch einmal erleben werden, weiß keiner. Wünschen würden wir es uns alle. Gute Besserung und schnelle Genesung, Carla Bley!