Christina Aguilera hat bei den Jazz Open in Stuttgart lupenreines amerikanisches Showbiz auf den Schlossplatz gebracht. Mit dem pompösen Popkonzert läuft sie außer Konkurrenz.
Stuttgart - Zwischen den verschiedenen Veranstaltungsorten der Jazz Open in Stuttgart liegen mitunter Welten. Dass die Schlossplatz-Shows der großen Popacts nicht nur für gute Unterhaltung sorgen, sondern auch zur Querfinanzierung der ambitionierten, klassischen Jazzkonzerte in kleinerem Rahmen beitragen, gehört zur legitimen Wahrheit dieses Festivals.
Doch mancher Auftritt in dieser Partyzone bleibt eben auch ein Fremdkörper im Rahmen des Gesamtprogramms. Das Gastspiel von Christina Aguilera sollte man daher unter der Kategorie „außer Konkurrenz“ betrachten: Dieser Samstagabend gehörte einer Vertreterin des modernen Entertainment, die lupenreines amerikanisches Showbiz nach Stuttgart brachte – und die entsprechenden Allüren gleich dazu.
Pünktlich gegen 20:45 wird die Sängerin auf die Bühne moderiert, alles ist angerichtet, Band und Tänzer sind dienstbereit – doch vom Star des Abends keine Spur. Eine Szene wie bei einer verkorksten Hochzeit: Pfarrer, Bräutigam und Trauzeugen warten am Altar, die Kirche ist voll – wer fehlt, ist die Braut. Ein plötzlicher Anfall von Lampenfieber? Oder doch die Arroganz einer Stars, der es sich leisten will, mal eben den ganzen Laden und siebentausend Besucher warten zu lassen?
Ein knappes Viertelstündchen später erscheint die 39-Jährige aus New York dann doch – und zwar standesgemäß. Gewandet in ein silbernes, von unzähligen Lämpchen illuminiertes Glitzerkostüm betritt Aguilera die Bühne als eine Art singender Weihnachtsbaum und lässt sich fortan wie eine Bienenkönigin von einem vielköpfigen Hofstaat umschwirren.
Eine Show, die auf Optik setzt
Ein Auftakt mit Signalcharakter: Hier gibt’s eine Show, die ganz auf Optik setzt – und auf ihre Hauptdarstellerin. Ein goldener Thron liftet sie wenig später aus dem Bühnenboden nach oben und in den folgenden neunzig Minuten wird sie rund ein Dutzend Mal die Garderobe wechseln. Mal erscheint Aguilera in einer Mischung aus Aerobic-Body und zerklüftetem, strapsigen Jump Suit, mal in einem schwarz-roten Fummel Marke Domina-Dress, dann in einem Herzchen-Body inklusive weißem Flokatimantel, schließlich gibt sie in blauer Kutte die Jungfrau von Orleans; schwarzes Korsett inklusive.
In den Fußstapfen von Madonna, der Pionierin der emanzipierten weiblichen Popularmusik, wandelt sie mit derlei Rollenspielen, gibt die Projektionsfläche für weibliche wie männliche Wunschvorstellungen von der femme fatale über die Büßerin bis zur selbstbewussten Girl-Power-Rebellin.
Doch die Musik dazu spielt bei Christina Aguilera nur eine Nebenrolle. Lediglich vier Musiker umfasst ihre vielköpfige Entourage; die aber veranstalten ordentlich Radau. Keyboard, Bass und Schlagzeug sorgen für einen wuchtigen, mit rabiater Lautstärke auf den Schlossplatz geprügelten R’n’B-Sound, über den ein Gitarrist haufenweise grobschlächtige Hardrockriffs ausschüttet – hier wird mit dem Säbel musiziert, nicht mit dem Florett.
Dass die Chefin stimmlich durchaus manche jazzige Kompetenzen besitzt, geht dabei glatt unter. Beweglich kann sie vom Falsett zur Bruststimme wechseln, als Interpretin von emotionsgeladenen Balladen macht sie die bessere Figur als in aggressiv bollernden, radiokompatiblen Arrangements, die auf Hitparadenpräsens schielen. Rund dreißig Titel umfasst dieses Best-of-Set mit Hits wie „Genie in a Bottle“ und „What A Girl Want“ letztlich, ehe mit „Let there be Love“ der Vorhang fällt: Schlussakkord eines Abends mitten im Herzen der Stadt – und zugleich am denkbar weit entferntesten Pol des Festivals.