Jay Kay, im buchstäblichen wie übertragenen Sinne der Kopf von Jamiroquai Foto: Reiner Pfisterer

Die britische Band Jamiroquai hat den Reigen der Open-Air-Konzerte des Festivals auf dem Stuttgarter Schlossplatz eröffnet.

Stuttgart - Schön haben sie’s mal wieder bei den Jazz Open. Der Ehrenhof des Neuen Schlosses ist wirklich eine ideale Location für größere Konzerte, nicht nur im Gegensatz zu den Mehrzweckhallen dieser Stadt, sondern auch im Vergleich zu anderen unwirtlichen Orten für Freiluftauftritte, etwa jenem Areal vor dem Mercedesmuseum respektive neben der Schnellstraße. Auch mit Ambiente kann, muss und darf man heutzutage in einer so breit wie noch nie gefächerten Open-Air-Saison punkten. Das gilt für die Publikumserwartungen, zumal wenn für die Tickets entsprechende Preise aufgerufen werden. Aber auch für manchen Künstler: bei der letztjährigen Auflage der Jazz Open konnte der Weltklassegitarrist David Gilmour auch deshalb nur für ein Stuttgarter Konzert gewonnen werden konnte, weil ihn der Schlossplatz als Spielort überzeugt hat.

Zum Auftakt des diesjährigen „Open“-Teils der Jazz Open, also den großen Popkonzerten, konnte nun für den Mittwochabend die britische Band Jamiroquai gewonnen werden. Sie hat eine weitere Spur Exklusivität mitgebracht, ist doch ihr Konzert auf dem Schlossplatz der einzige diesjährige Open-Air-Auftritt der Truppe in Deutschland, der sich in einen äußerst bunten Tourneeplan fügt: über Mexiko, Aserbaidschan, Israel, die Ukraine, Marokko und zuletzt Montreux führte die Tour bisher. Das untermauert ein mächtiges Standing, welches sich diese Band erarbeitet hat, und das ist eine schön bunte Route.

Was für eine Karriere!

Aber auch der Vorsteher dieser Band, Jason Luís „Jay Kay“ Cheetham – der es vom zeitweilig obdachlosen Kleinkriminellen zu einem Riesenanwesen in Buckinghamshire sowie einem von der „Times“ auf fünfzig Millionen Euro taxierten Vermögen gebracht hat –, ist ja ein hinreichend bunter Vogel. Ein Freund putziger Kopfbedeckungen ist er überdies, und so betritt er die Bühne mit einer farblich changierenden Haube, die ihn ein wenig wie die New Yorker Freiheitsstatue aussehen lässt.

Freiheiten nimmt er sich auch auf der Bühne, unter anderem jene, alle 14 Songs in äußerst ausufernden Extended Versions zu präsentieren. Der Abend beginnt somit um halb neun und endet erst zweieinviertel Stunden später. Das ist viel Value for Money, das wird vom Publikum alles höchst erfreut zur Kenntnis genommen, da sind dann allerdings – etwa im Stück „Runaway“ – auch Keyboardgegniedel in epischer Länge sowie kurz vor Schluss sogar das gute alte Gitarrensolo dabei.

Derlei wiederum vermutet man eher bei verstaubtem Bombastrock aus den Siebzigern, aber doch nicht bei der Musik von Jamiroqaui, bei der es sich bekanntlich um . . . ja: was eigentlich handelt? Hmmm. Bei Wikipedia steht, dass Jamiroquai eine „international erfolgreiche britische Acid-Jazz-Band“ sind und dass Acid-Jazz wiederum „eine Musikrichtung ist, die Elemente aus elektronischer Musik, Soul, Funk und Jazz in Kombination vieler Tanzmusikformen von Reggae bis Hip-Hop und House Music in sich vereint“. Weiter hätte diese Definition gar nicht gefasst werden können. Von allem ein bisschen, quasi, aber so stimmt’s ja auch nicht.

Denn was auf dem Schlossplatz zu hören ist, das ist relativ eindeutig Funk-Musik. Und wenn man Jay Kay zu dieser Musik Ratschläge geben dürfte, dann würden die lauten: Besorge dir erstens und dringend eine Bläsersektion. Sieh zweitens zu, dass dein Bassist mehr in den Vordergrund gemischt wird und dass er vor allem mit viel mehr Punch spielt und somit viel mehr Druck im Fundament aufbaut. Dann muss drittens dein Funk nämlich nicht nur von den drei viel zu sehr in den mittleren Tonlagen agierenden Keyboardern maßgeblich geprägt werden. Und wenn du dir dann viertens noch überlegst, deutlich mehr rhythmische, metrische, stilistische, harmonische und melodische Varianz in dein Set zu packen, dann wird’s ein richtig abwechslungsreicher Abend.

Etwas mehr Abwechslung, bitte!

So hingegen ist zwar alles in Ordnung bei einem von guter Laune und Wiederhörensfreude geprägten Konzert, das mit „Shake it on“ losgeht, dem Eröffnungstrack des aktuellen Albums „Automaton“, sich mit dem feinen Hit „Little L“ fortsetzt und das im weiteren Verlauf bis auf „Deeper Underground“ auch alle anderen großen Erfolge bietet. Irgendwann, vielleicht so nach anderthalb Stunden, fängt man dann aber doch an, sich nach etwas mehr musikalischer Vielfalt, etwas mehr Risiko und etwas mehr Lust am Experiment zu sehnen.

Am Ende des erst vierten Stuttgarter Gastspiels dieser auch schon wieder mehr als ein Vierteljahrhundert existierenden Band bleibt die Frage, was seit dem ersten (immerhin in der Schleyerhalle, anlässlich des sehr starken Albums „Synkronized“) und dem ebenfalls überzeugenden Album „A Funk Odyssey“ von 2001 eigentlich passiert ist bei Jamiroquai. Nicht wahnsinnig viel, ehrlich gesagt. Vielleicht hat Jay Kay genau darüber nachgedacht, als er sich in einer seltsam anmutenden Szene am Ende des Konzerts zwei Minuten lang mit seiner Band darüber verständigt, ob sie jetzt noch weiterspielen sollen, ehe sie schließlich das Publikum zugabenlos mit dem letzten, 16 Jahre alten Kracher „Love Foolosophy“ in die Stuttgarter Nacht entlassen haben.