Nachdem in Stuttgart kein Prozess gegen die Beteiligten des Massakers in Sant’Anna eröffnet wurde, protestierte der Verein „die AnStifter“ und suchte den Kontakt in das toskanische Bergdorf. Daraus ist eine lebendige Erinnerungskultur entstanden.
Sant’Anna di Stazzema - Das jüngste Opfer war 20 Tage alt, das älteste 87 Jahre. Am 12. August 1944 wurde während des Zweiten Weltkrieges das toskanische Bergdorf Sant’Anna di Stazzema von deutschen Soldaten überfallen. Etwa 560 Zivilisten wurden bei dem Massaker getötet. Doch nur wenige kennen diese Geschichte. Eine Gruppe junger Erwachsener will sich mit den Geschehnissen vor Ort beschäftigen und hat sich vergangenen Sonntag auf den Weg nach Sant’Anna gemacht.
Eine Reise mit Vorgeschichte: Ende September 2012 stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Ermittlungen gegen Beteiligte des Massakers ein. Ein Prozess fand somit nie statt. Eine Initiative aus Baden-Württemberg wollte das nicht hinnehmen. Aus anfänglichen Protestaktionen gegen die Entscheidung der Justiz, ist über die Jahre ein enger Kontakt mit der Gemeinde Sant’Anna entstanden. „Für die Leute in Sant’Anna ist es bis heute beklagenswert, dass in Deutschland kein Prozess zustande gekommen ist“, sagt Eberhard Frasch von der „AnStifter“-Initiative.
Die AnStifter wollen daher zusammen mit der Gemeinde die Erinnerung hochhalten. Auch das Land Baden-Württemberg engagiert sich immer mehr. Das Projekt „Jugendbegegnungen in Stant’Anna“ wird von den „AnStiftern“ und der Naturfreundejugend Württemberg organisiert, die Finanzierung tragen das Land und der deutsch-italienische Zukunftsfonds. 18 junge Leute, neun aus Deutschland und neun aus Italien, im Alter zwischen 17 und 27 Jahren erarbeiten sich in dieser Woche vor Ort ein Verständnis für die Geschichte – und damit auch eines für die Zukunft, wie sie sagen.
Enio Mancini erzählt von seinen Erlebnissen am Tag des Massakers
„Er hat die Rufe nachgemacht, die an diesem Morgen durch das Dorf hallten“, erzählt Christina Gohle aus Giengen von der Begegnung der Gruppe mit Enio Mancini, der als Kind das Massaker überlebt hat. In der Kirche von Sant’Anna, dort wo vor 73 Jahren die Menschen zusammengetrieben und getötet wurden, schildert er den jungen Leuten seine Erlebnisse. „Das war für alle ziemlich berührend“, sagt die 22-jährige Studentin.
Mancini hat nicht nur die Jugendlichen mit seiner Geschichte bewegt. Als er 2013 zusammen mit Enrico Pieri, dem Vorsitzenden des Opferverbandes von Sant’Anna den Friedenspreis der AnStifter erhielt, wurde die Gruppe aus Sant’Anna auch von Ministerpräsident Winfried Kretschmann empfangen. Der sei so beeindruckt gewesen, so Eberhard Frasch, dass er anschließend sagte: „Wir müssen etwas tun für Sant’Anna“.
Aus dem Pilotprojekt soll etwas Dauerhaftes werden
Auch den 17-jährigen Nick Waldstädt haben die Gespräche mit den Überlebenden mitgenommen. „Ich finde es traurig, dass sich anscheinend so wenige Menschen für diese Geschichte interessieren“, sagt er. Nur wenige Besucher seien in Sant’Anna und schauten sich das Museum an. Christina Gohle hofft, durch das Projekt den Ort und seine Geschichte bekannter zu machen. Sie selbst habe vor der Teilnahme an der Reise auch noch nie davon gehört. „Dabei ist die Geschichte von Sant’Anna so wichtig, um sich ins Bewusstsein zu rufen, was passiert, wenn man vergisst, dass wir alle Menschen sind“, sagt die junge Frau. „Und wir haben nicht mehr lange die Möglichkeit, mit Zeugen dieser Zeit zu sprechen.“ Die Apelle, die die Menschen in Sant’Anna an sie gerichtet haben, will sie ernst nehmen. „Wir sollen uns persönlich engagieren und verhindern, dass etwas wie hier noch einmal passiert.“
Aus dem Pilotprojekt soll etwas Dauerhaftes werden. Darin seien sich die „Anstifter“-Initiative und das Land einig, so Frasch. An diesem Samstag werden die Jugendlichen bei der Gedenkfeier eine Rede halten. Auch eine „Erinnerungbox“ haben sie in dieser Woche kreiert, in die jeder einen Gegenstand hineinlegt, die er oder sie mit Sant’Anna verbindet. Diese Box darf die Gruppe öffnen, die nächstes Jahr Sant’Anna besuchen wird.