Der Sachverständigenrat mit Volker Wieland, Isabel Schnabel, Vorsitzendem Christoph M. Schmidt, Lars Feld und Peter Bofinger (von links) bei der Präsentation vor einem Jahr Foto: dpa

Der Sachverständigenrat senkt seine Konjunkturprognosen deutlich – und streitet offen über eine Neubesetzung. Der gewerkschaftsnahe Berliner Ökonom Achim Truger kommt als möglicher Neuzugang bei den anderen Mitgliedern schlecht an.

Stuttgart - Wenn die von der Bundesregierung bestellten Wetterfrösche an diesem Mittwoch ihre jährliche gesamtwirtschaftliche Vorhersage machen, werden sie dunkle Wolken an einen seit zehn Jahren freundlichen Himmel zeichnen. Die Konjunkturprognosen werden deutlich gesenkt. Das Bruttoinlandsprodukt werde 2018 um 1,6 Prozent und 2019 nur noch um 1,5 Prozent wachsen, berichtet die „Neue Berliner Redaktionsgesellschaft“. Bislang war der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung von 2,3 und 1,8 Prozent ausgegangen. Er wäre damit pessimistischer als die Bundesregierung, die für beide Jahre 1,8 Prozent vorhersagt.

Geradezu Gewitterstimmung herrscht derzeit innerhalb des Rates. Wie nie zuvor kracht es bei den Fünf Weisen, weil der Würzburger Volkswirtschaftsprofessor Peter Bofinger im Frühjahr altershalber ausscheidet. Der 64-jährige gebürtige Pforzheimer, der im März 2004 berufen wurde und dienstältestes Mitglied des Rats ist, deckt den linken Flügel unter den fünf Koryphäen ab. Das Vorschlagsrecht für diesen Posten hat der Gewerkschaftsbund (DGB), und der hat einen Nachfolger auserkoren, der als vermeintliches wissenschaftliches Leichtgewicht auf einen ungewöhnlichen Widerstand der anderen Mitglieder stößt: den Berliner Ökonomen Achim Truger.

Attacken via Twitter vor Ablauf der Schweigefrist

Am 1. Oktober hatte die übliche Schweigeperiode bis zur Übergabe des Jahresgutachtens an die Bundesregierung begonnen, in der sich die Ratsmitglieder verpflichten, auf öffentliche Äußerungen zur Wirtschaftspolitik zu verzichten. Sie tun dies auch auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, der für Wissenschaftler mit Sendungsdrang ein besonders attraktives Instrument ist. Auf diesem Weg hatten sie auch ihrem Unmut über die Nominierung Trugers kurz vor Beginn der Stillhalteperiode noch freien Lauf gelassen: „Die wissenschaftliche Qualifikation muss an oberster Stelle stehen“, mahnte die seit 2014 an Bord befindliche Finanzmarktexpertin Isabel Schnabel. „Ansonsten kann der Sachverständigenrat seinem Qualitätsanspruch nicht gerecht werden.“ Veröffentlichungen in angesehenen internationalen Fachzeitschriften könnten diese Qualifikation am besten belegen. Sollte wohl heißen: Truger kann diese nicht vorweisen. „Wir benötigen Wissenschaftler, die mit den State-of-the-Art-Methoden der theoretischen/empirischen Forschung vertraut sind“, ergänzte Schnabel später.

Rege Debatte in der Fachwelt

Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Uni Freiburg und schon seit 2011 dabei, stellte die Qualifikation von Truger ganz direkt infrage. Daran entzündete sich eine rege Debatte in der Fachwelt, bei der der Düsseldorfer Ökonom Justus Haucap giftete: Den Gewerkschaften sei der Sachverständigenrat „offenbar völlig egal“.

Der 49-jährige Truger ist in der Tat ein Ökonom aus den Reihen der Arbeitnehmerorganisation. Seit 2012 lehrt er Makroökonomie und Wirtschaftspolitik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Zuvor hat der gebürtige Kölner das Referat Steuer- und Finanzpolitik des Institutes für Makroökonomik und Konjunkturforschung der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung geleitet. Für zahlreiche wissenschaftliche Verlage hat er Gutachten verfasst. So kritisiert SPD-Mitglied Truger die Austeritätspolitik der EU-Kommission, die eine Erholung der Krisenländer im Süden erschwere, und kämpft gegen die Schuldenbremse. An vielen Stellen tun sich Gräben zum Rest des Sachverständigenrates auf – doch die gibt es auch bei Bofinger, der die Differenzen in seinen drei Amtszeiten souverän meisterte. Immer wieder distanzierte er sich bei den Gutachten mit Minderheitsvoten.

DGB ahnt schon: die Kritik geht weiter

Beim Gewerkschaftsbund zeigt man sich irritiert ob des Gegenwinds – abrücken will man von dem Vorschlag gleichwohl nicht. Nun muss die Bundesregierung Truger als Mitglied des Rates noch bestätigen; wann genau, ist noch offen. Bisher war die Berufung meist eine Formsache. Um den Konflikt jetzt nicht mit öffentlichen Äußerungen weiter zu belasten, hält sich der DGB derzeit zurück – vorausahnend, dass die anderen Weisen nach Ende der Schweigeperiode wieder zum Handy greifen werden, um Stimmung zu machen.