Ist der Architektur noch zu helfen angesichts der Baukrise? Darum wurde beim BDA-Jahresempfang 2024 in der Stuttgarter Liederhalle gerungen. Mit Rücksicht auf die Lage war eine Rede mit dem Titel „Sieben gute Nachrichten“ eine Überraschung.
Ein aus zwei Worten bestehender Bandname bringt die aktuelle Lage des Wohnens, Bauens und der Architektur auf den Punkt: Bipolar Architecture – bipolare Architektur. Die einen sagen, gar nichts mehr soll neu gebaut werden wegen des Klimas. Die andern sagen, es muss rasch sehr viel gebaut werden wegen der Wohnungsnot und den immer teurer werdenden Mieten.
Die Pointe kommt von einem Autor und Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Peter Richter, der als Redner beim traditionellen Jahresempfang 2024 des Bundes deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) Baden-Württemberg in Stuttgart zu Gast war.
Und er begann seinen so kenntnisreichen wie amüsanten Vortrag eben mit der Nennung jener Heavy-Metal-Band, die unter anderem Lieder mit den Titeln „Death of the Architect“ und „The Tragic Protagonist“ singt, wobei die Band in einer imposanten Wohnhalle steht und ziemlich düster ins Mikro eher brüllt als wirklich singt.
Vom Tod des Architekten generell war aber beim BDA jetzt nicht die Rede, sondern Peter Richter hatte den Gästen „Sieben gute Nachrichten“ mitzuteilen versprochen. Womöglich auch deshalb war der Mozartsaal der Liederhalle gut besetzt, da es in der Architektur angesichts immer häufiger gestoppter Bauvorhaben sonst eher weniger gute Nachrichten zu hören gibt.
BDA-Baden-Württemberg-Vorsitzende Liza Heilmeyer konstatierte in ihrer Begrüßung, der „ewige Traum vom Wachstum“ sei geplatzt und beschwor eindringlich Politik, Wirtschaft, Verwaltung, „wir brauchen den Dialog mit Ihnen“ überdies auch angesichts der gesellschaftlichen und politischen Lage für Vielfalt und Freiheit plädierte, für die die Architektenschaft einstehen könne, wolle, solle.
Wie politisch Architektur ist, darauf ging auch Richter ein, als er „Plattenbauten als Friedensutopie“ bezeichnete, denn man wisse, dass diese bei Bombenangriffen wie Kartenhäuser einstürzen, während die „Reichsheimstättensiedlung“ der NS-Zeit mit auf weniger konzentriertem Raum – dadurch auch schwieriger bombardierbar – gebauten Ziegelhäusern setzte. Auch hoffe er, dass die nächsten Wahlen nicht so ausgingen, dass demnächst in Siedlungen wie der Stuttgarter Weißenhofsiedlung „Bauhausarchitektur mit Krüppelwalmdächern“ nachgerüstet würden.
In der aktuellen Bau- und Wohnungskrise liegt aber durchaus eine Chance, wenn die Architektenschaft gelassen wird, so Richters Tenor. Immer mehr Ladengeschäfte und komplette Gebäude in den Städten und Dörfern beispielsweise stehen leer und könnten architektonisch transformiert werden. Auch leer stehende Wohnhäuser gibt es viel zu viele, selbst in Stuttgart, wo selbst unattraktive und sanierungsbedürftige Wohnungen mit Badewannen in Küchen Mieter finden.
Einfacher bauen, nachverdichten, aufstocken
Derlei „einfacher“ Wohnraum ist auch nicht unbedingt gemeint, wenn es um die in der Architektenschaft beliebte Forderung nach der Gebäudeklasse E (wie einfach) ging, die Richter ansprach, hierbei handelt es sich eher um eine einfachere Haustechnik, welche das Bauen wieder weniger langsam und weniger teuer machen könnte.
Auch die vielerorts verhassten Einfamilienhaussiedlungen, die gleichwohl nun mal da sind, könnten „nachverdichtet und aufgestockt“ und durch Umbau in mindestens Zweifamilienhaussiedlungen umgestaltet werden. Eine Menge dieser 16 Millionen Häuser in Deutschland sind ja ohnehin sanierungsbedürftig.
Wenn man sie energetisch ertüchtigt, könnte man doch gleich noch zumindest eine Einliegerwohnung abtrennen. Förderprogramme, zum Beispiel eine erste Beratung durch einen Architekten für solche Umwandlungen, sind, sofern sie aufgelegt werden, stets ruckzuck aufgebraucht.
Mit solchen Projekten – nicht wie früher nur neu bauen oder abreißen und neu bauen, aber doch mit innovativen Ideen neuen Wohnraum schaffen – könnte begonnen werden, die allgemeingesellschaftliche bipolare Bau-Störung zu kurieren. Heftiger Applaus im Saal.