Die meist milden Winter und reichlich Futter lassen den Bestand an Rehwild wachsen. Absolute Zahlen gibt es allerdings nicht. Foto: dpa, Landesjagdverband

Noch bis Sonntag läuft in Dortmund die europaweit größte Jagdmesse „Jagd und Hund“. Ein wichtiges Thema dort sind die rekordverdächtig hohen Jagdstrecken. Überraschend dabei ist: sogar Naturschützer sagen, dass die Abschusszahlen noch zu niedrig seien.

Stuttgart - Wenn man gewöhnliche Großstädter schätzen lässt, wie viele Rehe wohl die baden-württembergischen Jäger in einer Saison erlegen, dann hört man Zahlen wie 2000 oder 5000, ganz Mutige wagen die Zahl von 20 000. In Wirklichkeit haben in der vergangenen Jagdsaison 167 300 Rehe im Land ihr Leben gelassen – das ist die zweithöchste Quote in den vergangenen Jahrzehnten. Ganz ähnlich sieht die Entwicklung der sogenannten Jagdstrecke bei Wildschweinen aus (siehe Grafik).

Der Hauptgrund für die wachsenden Abschusszahlen ist weitgehend unbestritten: Der Bestand gerade an Reh- und Schwarzwild steigt in deutschen Wäldern klar. Das liegt zum einen daran, dass der Mensch den Tisch reichlich deckt: Vor allem der energiereiche Mais hat als Anbaufrucht stark zugenommen. Daneben hat der Klimawandel für manche Wildtiere Vorteile. Buchen und Eichen haben heute alle zwei Jahre ein Mastjahr und werfen dann ungeheure Mengen an Bucheckern und Eicheln ab. Die milden Winter tun ihr Übriges. Agrarminister Peter Hauk (CDU), der selbst Jäger ist, betont deshalb die gesellschaftliche Aufgabe der Jägerschaft: „Ohne Jagdausübung würden die Wildbestände überhandnehmen, mit allen negativen Folgen.“ In diesem Punkt ist sich Hauk auch mit den Förstern einig. Erst vor wenigen Tagen forderte die Forstkammer, die Vereinigung der privaten und kommunalen Waldbesitzer, eine „Trendwende bei den Verbissschäden im Wald“. Bei der Eiche, einer wichtigen klimaresistenten Baumart, sei die Hälfte der jungen Schösslinge verbissen. Vizepräsident Max Erbgraf zu Königsegg-Aulendorf mahnte deshalb intensive revierübergreifende Drückjagden an. Erhard Jauch, der Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbands, wies die indirekte Kritik an der Jägerschaft aber zurück: „Es gibt nur wenige Landesteile, wo es echte Probleme mit dem Verbiss gibt.“

Füchse fressen viele Gelege des Auerwilds leer

Für den Laien zunächst überraschend dürfte vor allem sein, dass auch Naturschützer höhere Abschusszahlen fordern. Zum Schutz der Pflanzen und gewisser Tierarten müssten einige wenige Arten wie Reh, Wildschwein und Fuchs verstärkt bejagt werden, sagt Johannes Enssle, Landesvorsitzender des Naturschutzbundes Nabu. Er ist übrigens auch Förster und Jäger – aber gerade nicht aktiv. Das Auerwild sei ein klassisches Beispiel dafür, dass die Jagd auch Naturschutz sei, sagt Landesjägermeister Jörg Friedmann. Zwei Drittel der Gelege der Auerhühner würden von Füchsen geplündert, bevor die Küken schlüpfen könnten – eine intensive Bejagung des Fuchses trage also dazu bei, dass das Auerwild im Schwarzwald nicht aussterbe. Auch die neu eingewanderten Arten wie Waschbären oder Marderhunde können zum Problem werden. In Baden-Württemberg sind beide Arten noch nicht so häufig; insgesamt sind in der vergangenen Jagdsaison in Deutschland 128 000 Waschbären erlegt worden, davon 1200 im Südwesten.

Nun ist es aber durchaus nicht so, dass sich Jäger und Naturschützer plötzlich grün sind, auch wenn die Jäger heute unbestritten viel Zeit und Geld in den Artenschutz stecken. Das neue Jagdgesetz, das die grün-rote Landesregierung vor zwei Jahren erlassen hat, war ein erbitterter Kampf, der in einem Patt endete. Der heutige Staatssekretär Andre Baumann formulierte es einmal so, dass beide Seiten einen ganzen Teich an Kröten hätten schlucken müssen.

Die Naturschützer sehen es nun als Erfolg, dass Totfallen verboten wurden, dass die Fütterung im Winter nur noch in Ausnahmefällen erlaubt ist und dass streunende Hunde und Katzen nicht mehr sofort abgeschossen werden dürfen. Umgekehrt können die Jäger heute direkt mit den Eigentümern Abschussziele vereinbaren, ohne dass die Behörden mitsprechen. Die unteren Forstbehörden erstellen lediglich Gutachten über Verbissschäden, die in die Planungen einfließen sollen. Zudem wurden Abschussziele für Rehwild abgeschafft; für Wildschweine gab es solche Pläne noch nie.

Baden-Württemberg hat das beste deutsche Jagdgesetz

In einem Ranking des Nabu wurde das baden-württembergische Jagdgesetz deshalb sogar zum besten in Deutschland gekürt, allerdings auch nur mit 30 von 100 möglichen Punkten. Das zeuge vom großen Reformstau in allen deutschen Gesetzen.Schon seit Jahrzehnten gibt es übrigens auch Jäger, denen die Jagd selbst nicht genug am Naturschutz ausgerichtet ist – der Ökologische Jagdverband (ÖJV) hat in Baden-Württemberg etwa 500 Mitglieder, gegenüber knapp 30 000 im Landesjagdverband. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Jagd sei auf Dauer nur gegeben, wenn die Jäger noch konsequenter Natur- und Tierschutz im Auge behielten und wenn es zum Töten immer einen ausreichenden Grund gebe, sagt der ÖJV-Landeschef Christian Kirch aus Weil der Stadt. Er sieht es deshalb mit Sorge, dass das CDU-geführte Agrarministerium manche Errungenschaft im Jagdgesetz am liebsten wieder kassieren würde oder schon kassiert hat.

Vehemente Gegner der Jagd sind die Mitglieder des Vereins Peta mit Sitz in Gerlingen. Die nach eigenen Angaben größte deutsche Tierrechtsorganisation schreibt auf ihren Seiten: „Die Jagd ist feiger Mord an empfindsamen Mitgeschöpfen.“ Und zudem kontraproduktiv, ohne sie würden sich die Tierbestände selbst regulieren. Insgesamt scheint sich das Image der Jäger aber zu bessern. Laut einer Umfrage im Auftrag des Deutschen Jagdverbands stimmten nur 13 Prozent der Aussage zu, die Jäger würden aus Lust am Töten jagen. 80 Prozent halten die Jagd für notwendig.