Am Freitag ziehen keine Schauspieler mit Holzkreuz durch Bad Cannstatt. Foto: Lg/Kovalenko

Ein Höhepunkt der Karwoche in Stuttgart ist alljährlich die Prozession der italienischen Gemeinde in Bad Cannstatt. Doch in diesem Jahr fällt die Darstellung der Leiden Christi aus.

Stuttgart - Seit 40 Jahren gehört die Karfreitagsprozession in Bad Cannstatt zur Karwoche wie das Ostereiersuchen zum Ostersonntag. Das Spektakel, seit 1978 von der italienisch-katholischen Kirchengemeinde San Martino in Bad Cannstatt veranstaltet, lockt nicht nur Gemeindemitglieder. Katholiken, Protestanten und Anhänger anderer Glaubensgemeinschaften säumen den Weg. Sie kommen aus Stuttgart und der Region. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Am Montag verschickte die Gemeinde eine Mail mit wenigen Zeilen und teilte mit, dass die Prozession in diesem Jahr ausfällt. „Wir machen eine Pause“, sagt Padre Daniele. Zum ersten Mal nach 40 Glaubenskundgebungen, wie die Katholiken die Prozession auch nennen, ziehen sie am Freitag nicht mit Kostümen und Holzkreuz durch die Straßen.

Das Team macht eine kreative Pause

Dass diese Nachricht auf Verwunderung stößt, wundert den Geistlichen. „Es ist kein Skandal, niemand hat Streit, alles ist gut“, beschwichtigt er. Man habe sich im Kreis der Vorbereiter lediglich vorgenommen, mal eine schöpferische Pause einzulegen. „Wir machen das seit 40 Jahren, haben nur den Weg mal ein wenig geändert. Vielleicht wollen wir es mal anders machen“, sagt er. Eine Absage für immer soll das nicht sein. Die Prozession soll es wieder geben. Nur wie sie aussehen wird, wo sie verläuft, das werde man sich mal gründlich durch den Kopf gehen lassen – wohl wissend, dass man am Freitag vermisst werden wird.

Bei der Prozession haben am Karfreitag stets um die 80 Darsteller mitgewirkt. Im Hintergrund zieht ein zehnköpfiges Team die Fäden. „Es ist sehr aufwendig, die Vorbereitung beginnt immer schon gleich nach Weihnachten“, erzählt Padre Daniele.

So unaufgeregt der Geistliche die Geschichte sieht, so heiß wird sie dann doch im Bezirk diskutiert. In der Rathauskantine sei es das beherrschende Thema beim Mittagstisch gewesen. „Wir haben davon auch erst jetzt erfahren, es hat nie im Vorfeld jemand was gesagt“, kommentiert der stellvertretende Bezirksvorsteher Joachim Kübler die Absage. Sollte es Probleme bei der Organisation geben, könne sich die italienisch-katholische Kirchengemeinde natürlich jederzeit an die Verwaltung wenden. „Dann würden wir unsere Unterstützung anbieten“, beteuert Kübler. Schließlich gehöre die Prozession in Bad Cannstatt „einfach dazu“, egal, welcher Glaubensrichtung man angehöre. „Wir verstehen natürlich, dass eine schöpferische Pause mal helfen kann. Alles mal hinterfragen, wenn man es so lange macht, das kann schon sinnvoll sein“, fügt Joachim Kübler noch hinzu. Er hoffe, dass die italienisch-katholische Gemeinde sich im nächsten Jahr für den Karfreitag zurückmelden wird.

Ein Trost für alle, denen die Prozession fehlt: In anderen Städten, etwa in Ulm, Rottenburg oder Vaihingen Enz, haben die Cannstatter Nachahmer gefunden, die ebenfalls Prozessionen veranstalten.