Massimiliano De Simone und Eliana Brambilla halten stolz ihre Anerkennungsurkunden in Händen – nach 15 Monaten in Deutschland haben sie es geschafft. Sie gelten als anerkannte Fachkräfte Foto: factum/Granville

Deutschland braucht Fachkräfte. Die Unternehmen suchen intensiv – auch im Ausland. Unsere Zeitung begleitet eine solche Anwerbung und die beteiligten Menschen ein Jahr lang. Heute ziehen wir ein Fazit: Die Anerkennung in Händen, die Zukunft offen.

Sindelfingen/Stuttgart - Kaum zu glauben, wie schnell 15 Monate vergehen. Eben noch, im Januar 2015, standen 14 erwartungsfrohe junge Italienerinnen und Italiener bei beißender Kälte am Stuttgarter Flughafen. Ein großes Abenteuer hatte für sie begonnen: der Weg nach Deutschland, in eine neue Heimat. Auf der Suche nach Fachkräften für seine Krankenhäuser in der Region war der Klinikverbund Südwest aus Sindelfingen auf dem Stiefel gelandet. Dort finden viele gut ausgebildete junge Menschen keine Arbeit. Auch Tausende studierte Krankenpflegekräfte. 14 von ihnen wurden ausgewählt. Und brachen auf in eine fremde Welt, die Arbeit und Zukunft verhieß.

Jetzt sitzen einige von ihnen im Verwaltungsbau des Sindelfinger Krankenhauses. Inzwischen haben sie nicht nur eisige Kälte, sondern auch einen heißen Sommer erlebt. Statt mit Händen und Füßen verläuft das Gespräch auf Deutsch. Eliana Brambilla und Massimiliano De Simone halten stolz zwei simple Stücke Papier in die Luft: ihre Anerkennungsurkunden. Darauf haben sie über ein Jahr lang hingearbeitet, unzählige Stunden im Sprachunterricht verbracht, Prüfungen abgelegt, auf ihren Stationen die Praxis erlebt, mit Zweifeln gekämpft, unter Heimweh gelitten und auf die Zähne gebissen. Doch jetzt haben sie es schwarz auf weiß: Sie sind vom Stuttgarter Regierungspräsidium anerkannte Fachkräfte, die dauerhaft in Deutschland arbeiten dürfen.

„Ich bin sehr zufrieden, dass ich die Urkunde jetzt habe. Die Prüfung zu bestehen war immer das Ziel“, sagt Eliana. Doch nachdem dieses Ziel erreicht ist, stellt sich die Frage, was nun folgt. Alles steht offen. „Der Weg muss weitergehen. Nach wie vor fragen wir uns häufig: Wie funktioniert dies oder das in Deutschland? Und die Sprache bleibt der Knackpunkt“, weiß die 24-Jährige. Auch Massimiliano, eigentlich stets gut gelaunt, wirkt an diesem Tag ein Stück weit nachdenklich und vielleicht weniger optimistisch als noch vor 15 Monaten: „Es war richtig, nach Deutschland zu kommen. Aber wir haben es uns alle einfacher vorgestellt.“

Von einem jungen Mann hat sich der Verbund getrennt

Dabei ist es fachlich gut gelaufen – zumindest für die meisten. Einer aus der Gruppe hat die Prüfung nicht bestanden und konnte sich auch darüber hinaus nicht wirklich in sein neues Umfeld einfügen. Von ihm hat der Klinikverbund sich getrennt. Inzwischen hat der junge Mann einen anderen Arbeitgeber in Stuttgart gefunden und nimmt einen neuen Anlauf. Zwei weitere aus der Gruppe mussten die Prüfung vor Kurzem wiederholen. Ob sie bestanden haben, steht noch nicht fest. Am Erfolg bestehen aber gewisse Zweifel. Im härtesten Fall bleiben von den 14 Fachkräften also elf übrig, die der Klinikverbund auf Dauer beschäftigt.

Wenn sie denn bleiben. Wenn Massimiliano von seiner Freundin erzählt, die seit Januar ebenfalls in Deutschland lebt, einen Sprachkurs besucht und dann eine Arbeit braucht oder Eliana über Verwandtschaft in München berichtet, zuckt Roland Ott zusammen. Der Personalchef des Klinikverbundes kennt dieses Phänomen von einer früheren Gruppe: Wenn die Anerkennung da ist, muss man aufpassen, dass die mit viel Aufwand angeworbenen Fachkräfte dem Arbeitgeber auch erhalten bleiben. Denn nun sind sie auf dem leeren deutschen Markt überall gefragt. „Von der ersten Gruppe sind einige innerhalb Deutschlands gewechselt. Meist geht es schlicht um persönliche Beziehungen“, weiß Ott. Beim Klinikverbund tut man deshalb, was man kann, besorgt zum Beispiel einigen, die ihre Arbeitsstätte schlecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen, günstige Autos.

Doch in den Augen Otts lohnt sich all die Mühe. „Im Ausland zu suchen ist der richtige Weg. Der deutsche Markt reicht nicht“, sagt er. Die eigene Ausbildung und die Suche im Inland können den Bedarf nicht einmal ansatzweise abdecken. Deshalb hat der Klinikverbund bereits weitere 25 Italiener geholt. Im Juli geht es erneut in die Nähe von Neapel, um die nächsten 15 auszuwählen. Fürs nächste Jahr sind weitere 25 geplant. 80 Leute innerhalb von wenigen Jahren.

Änderungen für die nächsten Gruppen

Dabei lernt auch der Arbeitgeber ständig dazu. Bei dieser Gruppe waren die Leute zum ersten Mal für einige Monate in deutschen Gastfamilien untergebracht. Das hat sich für beide Seiten sehr bewährt und wird fortgesetzt. „Wir haben beide noch engen Kontakt zu den Familien“, sagen Eliana und Massimiliano übereinstimmend. Überlegungen des Klinikverbundes, möglicherweise die Fachkräfte in Zukunft den ersten Sprachkurs in Italien absolvieren zu lassen, sehen sie kritisch: „Man muss sprechen, um Deutsch zu lernen. In Italien ginge das viel schlechter, da ist man nicht dazu gezwungen“, sagt Massimiliano. Gut finden sie die zweite Überlegung: Die Angeworbenen sollen künftig später auf die Stationen kommen, wenn ihr Deutsch schon besser ist. „Gemeinsam mit Schülern und Leuten aus Anerkennungspraktika macht das die Belastung für die Kollegen dort sonst recht hoch“, weiß Ott.

Ob sie glücklich sind? Beide zögern. Die Leute aus der Gruppe bereuten ihren Schritt nicht, versichern sie. Auf den Stationen läuft es fachlich gut, von den Kollegen gibt es viel Unterstützung. Gleichwohl bleibt es anstrengend. „Wir müssen bei unserer Arbeit viel reden. Das ist jeden Tag eine Herausforderung – und manchmal trifft man auf Schwaben“, sagt Massimiliano und schmunzelt. „Ich hatte mal zwei ganz liebe Patientinnen, die nur Schwäbisch sprachen“, erzählt er. Die schrieben ihm Zettel, wenn die Kommunikation zu kompliziert wurde, und hatten ihren Spaß dabei. Seither hat der 35-Jährige immer ein Notizbuch bei sich und schreibt Begriffe auf. Eliana lacht und erinnert sich an eine ähnliche Episode: „Ich hatte mal einen Patienten aus Sizilien. Den habe ich auch nicht verstanden“, witzelt die junge Frau aus Mailand.

Persönliche Kontakte sind schwer

Doch es gibt auch ein Leben neben der Arbeit. Ein Leben, in dem alle aus der Gruppe noch in Wohnheimzimmern leben, weil sie sich allein kaum eine größere Wohnung in der Region leisten können. Und ein Leben, in dem die Italiener von unkomplizierter Freundschaft träumen. „Deutsche habe ich außer meiner Gastfamilie trotz aller Versuche nicht wirklich kennengelernt“, sagt Eliana. Dementsprechend halten die jetzt noch 13 aus der Gruppe zusammen, haben regelmäßig Kontakt. „Es ist leichter, mit anderen Ausländern hier Freundschaft zu schließen als mit Deutschen“, sagt auch Massimiliano mit Bedauern. Er glaubt: „Italiener und Deutsche haben ein sehr unterschiedliches Temperament, könnten aber gut zusammenpassen. Es braucht nur sehr viel Zeit. Da reicht es nicht, mal ein Bier zusammen zu trinken.“

Die Gruppe wird versuchen, dauerhaft in der neuen Heimat Fuß zu fassen, auf eigenen Beinen zu stehen, denn das offizielle Projekt ist zu Ende. Manche der Erwartungen von jenem kalten Wintertag am Stuttgarter Flughafen haben sich erfüllt, andere nicht. Der Weg ist kein leichter, aber er hat sich für die meisten gelohnt. Und er geht weiter/.