Schöner Schein zwischen Gegenwart und Vergangenheit: Der Architekt Santiago Calatrava hat den Venezianern eine schicke moderne Brücke über den Canal Grande gebaut. Zu modern, sagen viele. Foto: Promo

Sonntag Aktuell Touristikpreis: Das echte, das schöne Venedig hinter den Besuchermassen erleben...

Stefano ist ein kräftiger Kerl, noch keine 30, berichtet aber schon von drei Bandscheibenvorfällen. Stefano fängt Krebse in der Lagune von Venedig. Das bedeutet, sich immer wieder aus dem Boot beugen, um die Netze zu leeren. Dann immer wieder die schweren Holzkäfige aus dem Wasser ziehen, um zu kontrollieren, ob die Krebse bald ihren Panzer abwerfen. Das ist nichts für den Rücken.

30 der 150 Fischer, die zur Kooperative des Lagunenstädtchens Burano zählen, fangen die Moeche, eine Krebsart, die es nur hier gibt. Den meisten Jungen ist dieser Job zu anstrengend. Dabei kann das Geschäft recht einträglich sein. Um Ostern rum, wenn die Venezianer besonders gerne Moeche servieren, zahlen sie für das Kilo auf dem Fischmarkt bis zu 100 Euro. An guten Tagen verkauft ein Fischer wie Stefano 20 Kilo Krebse. "Aber die Saison ist kurz", sagt sein Kollege Damiano, "von März bis Mai und noch mal ein paar Wochen im Herbst. Reich wird man dabei nicht."

Dann wirft Damiano den Motor wieder an und fährt die Reisegruppe zurück nach Burano. Die Ausfahrt mit den Lagunenfischern ist exklusiv und gehört zum Programm von Sapio. Genau wie das Essen, zu dem die Gruppe von Michel Thoulouze eingeladen wird. Er wohnt auf der Gemüseinsel Sant' Erasmo, die berühmt ist für ihre Artischocken. Aber der 65-jährige Franzose, ein ehemaliger Film- und Fernsehproduzent, baut keine Artischocken, sondern Wein an. Vor ein paar Jahren ist er hergezogen, hat aus einem alten Steinhaufen ein Schöner-wohnen-Projekt gemacht und bewirtschaftet nun die einzige größere Rebfläche in der Lagune. Vier Hektar. Zum Essen (unter anderem frittierte Krebse aus der Lagune und natürlich Artischocken) dürfen wir davon probieren: "Orto di Venezia" ist ein frischer, mineralischer Weißwein. Man kann sich einbilden zu schmecken, wo er angebaut wird. Mitten in der Lagune eben.

Der "Orto" ist allein wegen der geringen Menge, die erzeugt wird, ein exklusives Vergnügen. Aber das schön normale Venedig muss nicht teuer sein. Eine Tour durch die vielen Bacari: halb Imbiss, halb Kneipe, und immer lebhaft. Hier treffen sich Venezianer zu Ombra und Cicchetti, einem Getränk und ein paar Happen. Die offenbar sehr deutsche Frage, was denn wichtiger sei, das Trinken oder das Essen, stößt auf Unverständnis. "Venezianer essen nicht, ohne zu trinken, und trinken nicht, ohne zu essen", erklärt Rebecca, die die Sapio-Reisenden durch ihre Heimatstadt begleitet. Okay, verstanden.

Ombra heißt eigentlich Schatten. Früher standen die Weinverkäufer auf dem Markusplatz im Schatten des Glockenturms, damit der Wein in der Sonne nicht zu warm wurde. Daher der Name. Zugleich steht Ombra aber für den flüchtigen Charakter des Ganzen. Getrunken wird meist ein Glas (0,1 Liter) Weißwein für etwa einen Euro. Die Cicchetti sind die Häppchen dazu, zum Beispiel sauer eingelegte Sardinen (gibt es in Venedig ständig), gefüllte Miesmuscheln oder frittierte Reis- oder Thunfischbällchen. Pro Portion ist man mit zwei bis drei Euro dabei. Wer davon nicht satt wird, kann sich am nächsten Morgen zunächst sattsehen beim Rundgang über den Fischmarkt. Lorenzo "Lollo" Manna, der Marktleiter, führt die Sapio-Reisegruppe durch die rund drei Dutzend Verkaufsstände im Rialto-Viertel direkt am Canal Grande. 27 Jahre lang hat Manna hier selbst Fisch verkauft. Jetzt ist er der oberste Qualitätskontrolleur. Das heißt: Kein Umma umma, kein Gemauschel, sondern klare Regeln für alle. Er passt zum Beispiel auf, ob die Händler die Kärtchen aufstellen, auf denen steht, um welchen Fisch es sich handelt, ob er gezüchtet oder wo er gefangen wurde und ob er tiefgefroren war.

Aufzucht oder nicht, ist das so wichtig, Signor Manna? Der Marktleiter schnappt sich zwei Goldbrassen von einem Stand und lässt die Reiseteilnehmer den Unterschied ertasten. Der Fisch aus dem Meer ist muskulös, elastisch. Der andere dagegen dottelig. Der Unterschied macht sich bezahlt: 16 Euro kostet das Kilo Goldbrasse aus dem Meer. Nur elf Euro die Goldbrasse aus der Aufzucht.

Lollo Manna ist aber nicht nur Marktleiter, sondern auch Gastronom. Am Ende des Rundgangs lädt er in sein Restaurant Al Fontego dei Pescatori. Klar gibt es frische Fische und Meeresfrüchte vom Markt. Dazwischen Risotto, anschließend Tiramisu – der gewöhnliche Gast zahlt dafür etwa 55 Euro, ohne Getränke.

Viel billiger gibt es ein Vier-Gänge-Menü dieser Güte in Venedig nicht. Zu teuer? Eine Alternative wäre Selberkochen. Deshalb steht auf dem Sapio-Programm ein Kochkurs in einem Palazzo aus dem 16. Jahrhundert. Am Herd Sebastiano Molani und Maria Grazia Calò, den Italienern als TV-Köchin bekannt. Zubereitet (und verspeist) werden unter anderem eingelegte Sardinen, Wolfsbarsch, eine famose Fischbrühe, handgemachte Bandnudeln. Auch wer schon gut kochen kann, lernt hier noch was dazu. Von Sebastiano zum Beispiel, wie man Sardinen enthauptet, mit dem Daumen ausnimmt und dabei noch "bella figura" macht. Alle staunen, besonders die, die gar nicht kochen können.

Auf dem besten Weg, zur lebenden Legende von Venedig zu werden, ist Mauro Lorenzon. Heute Abend trägt er eine rot-grüne Paillettenweste mit passender Fliege sowie einen roten und einen grünen Turnschuh. In seiner Weinschenke Mascareta treffen sich junge Erwachsene aus Venedig und Umgebung, Biennale-Besucher und Touristen, die eine Pause brauchen von der üblichen Venedig-Romantik. Für seine Gäste bereitet Lorenzon Risotto direkt am Tisch zu, und wenn der "Triumphmarsch" einsetzt, weiß das Stammpublikum, der Höhepunkt ist nah: Lorenzon köpft, wenn jemand Champagner bestellt, die Flasche mit dem Säbel. Das Publikum johlt und klatscht, und Francesca weiß, warum sie an diesem Wochenende mit ihren Freunden aus Padua in die Lagune gekommen ist: "Venedig ist Venedig, einfach verrückt."

Venedig

Der Veranstalter
Die Reise "Venedig – Lagunenfischer, Küche & Architektur" des Berliner Reiseveranstalters Sapio ist mit dem Sonntag Aktuell Touristikpreis 2011 ausgezeichnet worden. Sapio veranstaltet kulinarische Entdeckungsreisen in Gruppen mit bis zu zehn Teilnehmern, hat zurzeit elf Ziele in ganz Italien im Programm und ist für die Nachhaltigkeit seiner Reisen zertifiziert und Mitglied im Forum anders reisen. Kontakt: www.sapio.de oder E-Mail info@sapio.de, Telefon 030/25562937.

Die nächsten Termine
21. September bis 25. September 2011; 28. September bis 2. Oktober 2011; 4. April bis 8. April 2012; 16. Mai bis 20. Mai 2012; 19. September bis 23. September 2012; 3. Oktober bis 7. Oktober 2012

Preise
Die Venedig-Reise mit Sapio kostet 1698 Euro pro Person im Doppelzimmer. Darin enthalten sind vier Übernachtungen mit Frühstück, vier mehrgängige Menüs mit Getränken und mehrere kleine Mahlzeiten, außerdem einige Fahrten mit dem eigenen Wassertaxi, eine Führung über den Fischmarkt, der Ausflug mit den Fischern in die Lagune, der Kochkurs in einem venezianischen Palazzo sowie die Reiseleitung und Begleitung durch eine lokale Expertin. Nicht aber die Anreise.