Foto: Presseamt Chioggia

Was in Deutschland Maier, Müller und Schmid sind, das sind Boscolo und Tiozzo im italienischen Chioggia. Fast ein Drittel der Bevölkerung heißt so.

Chioggia - Was in Deutschland Maier, Müller und Schmid sind, das sind Boscolo und Tiozzo in der italienischen Stadt Chioggia. Fast ein Drittel der Bevölkerung hört auf einen der beiden Nachnamen. Wer soll sich da noch auskennen?

Das Städtchen zählt 51.000 Einwohner, ein ruhiger, beschaulicher Ort in der Lagune von Venedig. Ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen, die sich gerne am romantischen Canale, der die Stadt prägt, und seinem Fischerhafen aufhalten. Chioggia wird oft als das kleine Venezia beschrieben, es ist nach Venedig die zweitgrößte Stadt in der Region.

Jetzt ist Chioggia in die Schlagzeilen geraten. Vor wenigen Tagen verabschiedete der Gemeinderat eine Gesetzesvorlage, die im Ministerium in Rom abgesegnet wurde. Demzufolge werden Spitznamen in dem Städtchen künftig amtlich und sind als Zusatz im Personalausweis, im Führerschein, bei der Krankenversicherung und anderen offiziellen Dokumenten zugelassen. Dem Namenschaos in Chioggia soll mit dieser Regelung ein Ende gesetzt werden. Im täglichen Umgang behelfen sich die Namensvettern seit langem durch den Gebrauch sogenannter Soprannomi, Spitznamen. Sie erinnern sich oft nicht mehr, ob der Gerufene zur Sippe der Boscolo oder Tiozzo gehört.

Der Namenswirrwarr von Chioggia beginnt bereits in dessen Rathaus. Wie heißen wohl der Bürgermeister und sein Stellvertreter? Natürlich: Tiozzo und Boscolo. Und das nicht nur in dieser Amtsperiode. Um Verwechslungen vorzubeugen, wird Roman Tiozzo, das derzeitige Stadtoberhaupt, mit dem Zusatz Pagio angesprochen. Der Spitzname geht auf seine Großeltern zurück. Sie verkauften Stroh (auf italienisch Pagli).

Tiozzos Stellvertreter gehört zur Gruppe der Boscolo. Außer ihm hören in Chioggia 6000 Personen auf diesen Nachnamen. Sandro Boscolo wird Todaro gerufen. Sein Spitznamen leitet sich wahrscheinlich von Brontolon ab: einer der sich beschwert, der meckert. Im Telefonbuch von Chioggia gibt es 2135 Anschlüsse mit dem Nachnamen, einige von ihnen sogar in derselben Straße.

Allein 29 von ihnen heißen Giuseppe, zehn Sandro wie der stellvertretende Bürgermeister. Nicht besser sieht es bei Tiozzo aus, 652 von ihnen stehen unter diesem Nachnamen im Telefonbuch. Zum Beispiel mit dem Zusatz Tiozzo Angelo oder Tiozzo Angelo. Bei Letztgenanntem wird es trotz Spitznamen schwierig, denn hier taucht selbst der Zusatz Fasiolo gleich zweimal auf. Wer deshalb auf einen anderen, angeheirateten Familiennamen zurückgreifen kann, macht dies in der Regel.

Wie es zu den Namenshäufungen kam, weiß in der Lagunenstadt keiner so genau. Jedenfalls sind viele Boscolo und Tiozzo miteinander verwandt. Oft gehen sie demselben Beruf nach. Das macht die Sache nicht gerade einfacher. In einem solchen Chaos den Überblick zu bewahren, ist alles andere als einfach. Deshalb hat die Stadtverwaltung die schon lange angedachte Bestimmung beschlossen und dafür in Rom die ministerielle Zusage erhalten.

Selbst im Zeitalter von Computer und Internet gelang es nicht, die Duplikate sicher zu verwalten. Ohne speziellen Zusatz spuckt ein Computer häufig die Daten aller Gleichnamigen aus. So kam es zu falschen Zuordnungen bei Steuerbescheiden, bei Strafzetteln oder im Gesundheitswesen.

Als der Beigeordnete Michelino Davico im Rathaus von Chioggia die Spitznamen-Offensive startete, dachte er vor allem an die junge Generation. Sie kann jetzt ihren Personalausweis gleich mit dem Zusatz eines Spitznamens ausstellen oder sich entsprechend bei der Krankenversicherung und im Telefonbuch registrieren lassen.

Chioggia scheint im Übrigen nur der Anfang für eine kleine Verwaltungsreform zu sein. In Italien gibt es viele Orte, wo sich im Laufe der Jahre dieselben Familiennamen - durch Eheschließungen - multipliziert haben. Boscolo und Tiozzo sind keineswegs am häufigsten in Italien. Die Liste wird angeführt von den Rossis. Die Fantasie darf den Italienern mit dieser Bestimmung nicht ausgehen. Spitznamen müssen Unikate sein und zur Person passen. Wäre es da nicht einfacher, den geografischen Radius für die Brautschau etwas zu vergrößern?