Vorbei an Riva und am Gardasee führt die Route hinauf zum Tennosee und zum Ballino-Pass. Foto: Lesti

Ein Rennrad ist in Italien wie eine Eintrittskarte in einen Club - der Touristen wird ein Gleichgesinnter.

Sie stellten sich als Vincenzo und Giuseppe vor, lachten herzhaft und beglückwünschten uns für unsere Entscheidung, Italia auf Rennrädern zu erkunden. Sie trugen abgewetzte Wollpullis und dünne schwarze Stoffhosen. Vincenzo hatte nach hinten gekämmte Haare, Guiseppe einen gepflegten Schnauzer. Sie waren 72 und 85 Jahre alt.

Und so beginnt diese Geschichte über Rennradfahren in Italien, genauer gesagt in den Bergen rund um den Gardasee, nicht auf dem Rad, sondern in einer kleinen italienischen Bar an einem Plastiktisch. Sie beginnt mit zwei alten Männern, ein paar Gläsern Rotwein und dem von Vincenzo bedeutungsvoll ausgesprochenen Satz: "Rennradfahren gehört genauso wie der Rotwein zur italienischen Seele." Kann man unter diesen Umständen die Einladung zu einem Gläschen Rotwein abschlagen? Allora.

Vincenzo und Giuseppe waren kurz nach uns in die Bar gekommen und hatten mit ihrem mit Schrammen übersäten Fiat Cinquecento beinahe unsere an der Terrasse angelehnten Räder zerlegt. Sie hoben die Arme, lachten, ist ja nichts passiert, und gingen zum Tresen. Sie flirteten mit der Bedienung, wendeten sich kurz zu uns, und schon stand die Bedienung mit zwei Gläsern Rotwein vor uns und sagte "Salute!".

Dabei wollten wir an diesem schönen Frühlingssonntag nur zwei Acqua minerale und zwei Espressi trinken, nachdem wir bereits am späten Vormittag 50 Kilometer über eine sehr schöne, sehr einsame und sehr anstrengende Passstraße in den Beinen hatten, wie es unter Rennradfahrern heißt. Wir waren morgens um acht in Riva am Gardasee gestartet. Es war noch früh im Jahr und doch schon angenehm warm, denn für deutsche Verhältnisse beginnt der Sommer im südlichen Trentino im April und endet im Oktober. Dann wand sich die Straße an einem Berghang nach oben, uns wurde noch wärmer, und hinter uns verschwand der See und mit ihm seine überfrequentierten Promenaden im diesigen Morgenlicht. Irgendwann erreichten wir nach einer letzten langen Kehre ein Almgelände, ein Rifugio, eine Passhöhe. Und es war, als würden wir in eine echtere und südländische Welt radeln. Und das, obwohl wir uns nur 25 Kilometer "vom Lago", wie die Münchner sagen, entfernt hatten.

Schon nach dem ersten Glas Rotwein fühlte sich die Bar an wie die Essenz Italiens. Vincenzo und Giuseppe klopften uns auf die Schultern, wollten alles ganz genau wissen: wo wir herkommen, wo wir hinfahren? Beim zweiten Glas lernten wir, dass Italiener Motorradfahrer verachten, Cabriofahrer verhöhnen und Mountainbiker allenfalls dulden. "Aber Rennradfahrer", sagte Guiseppe mit leuchtenden Augen, "die lieben wir."

Tatsächlich fühlt man sich als Rennradfahrer in Italien schnell wie ein Teil Italiens. Das Rennrad ist wie eine Eintrittskarte in einen Club, der aus einem Touristen einen Gleichgesinnten macht. Auf den Straßen grüßt man sich, auf den Dorfplätzen unterhält man sich, und wer mit einem Rad ratlos an einem Abzweig steht, der kann sicher sein, dass es nicht lange dauert, bis ein italienischer Rennradfahrer nachfragt, wohin man denn wolle.

Man hat ein gemeinsames Thema mit universalen Codes. Der Giro d'Italia gehört dazu, dessen Bergetappen immer wieder durch die Gardaseeberge führen – Monte Bondone und Passo Bordala sind Klassiker. Die erfolgreichen Radprofis gehören dazu: Fausto Coppi, Francesco Moser oder Ivan Basso sind gefeierte Nationalhelden. Und natürlich gehören die Fahrräder dazu: Blitzende Geräte von De Rosa, Pinarello oder Colnago mit Campagnolo-Komponenten – also rein italienische Fabrikate, die italienische Amateurradler, zumeist ausgemergelte Kerle mit verspiegelten Sonnenbrillen und Trikots, deren futuristische Ästhetik sich nur Italienern erschließt – aus Überzeugung fahren.

Beim dritten Glas Rotwein kam uns der Rückweg zum See wieder in den Sinn. Und der unglückliche Umstand, dass dieser Weg über, wie wir bald schmerzlich erfahren sollten, einen fast 1000 Meter hohen, 15 Kilometer langen und bis zu 15 Prozent steilen Pass führte. Mit einem Rest von Vernunft lehnten wir um zwei Uhr das vierte Glas Rotwein ab, verabschiedeten uns schweren Herzens und Kopfes und stiegen wieder auf die Räder. Die ersten Kilometer verliefen noch flach, aber schon bald ging es steil bergauf. Die Sonne stach in die windstillen Serpentinen, Schatten gab es kaum, und unsere Pulsmesser zeigten beunruhigende Werte an. Gehören Rotwein und Rennradfahren wirklich zusammen? Wir litten von Kehre zu Kehre mehr, und als wir endlich das Schild "Passo San Rocco" erreichten, sahen wir aus wie zwei Bluthochdruckpatienten.

Im Moment der größten körperlichen Erschöpfung überraschte uns die Landschaft etwa so, wie uns das Treffen mit Vincenzo und Guiseppe überrascht hatte. Wir fuhren in ein Seitental, in das man für gewöhnlich nicht fährt. Niemand war hier. Nicht mal in der Ortschaft Persone waren Personen. Nur Löwenzahn- und Fliederwiesen, Bauernhäuser und Steinmauern. Im Talschluss legte sich eine zerfurchte Felswand wie eine große Halfpipe in die Landschaft, und in einer letzten Rechtskurve führte uns die Straße wieder zurück ins Sonnenlicht. Hinter einem Bergkamm spitzelte der schneebedeckte Gipfel des Monte Baldo hervor. Es gibt wenige Orte, die so spektakulär und zugleich so verlassen sind, und es gibt kein wirklich besseres Fortbewegungsmittel als ein Rennrad, um sie zu erkunden.

Am späten Nachmittag kamen wir in Gargnano am Westufer des Gardasees an. Der Duft der blühenden Bougainvilleen, weißen Magnolien und von Caffè lag in der Luft, und die Feriengäste schlenderten die Promenade entlang. Wir fühlten uns unter all den Touristen wie Fremdlinge. Dann legte die Fähre nach Riva an, und wir stiegen zu. Denn die stark befahrene und tunnelreiche Gardasee-Küstenstraße ist im Gegensatz zu den verlassenen Passstraßen keinem Radfahrer zu empfehlen.

Auch auf der Fähre gibt es eine Bar, zwar keine große und auch keine, die Rotwein ausschenkt, aber immerhin gab es dort Sprite und Birra Nationale. Wir bestellten beides und zwei große Becher dazu. Da sah der Mitarbeiter uns einen Moment zu lange an, musterte unsere Helme, Brillen, Trikots und Radhosen und sagte schließlich: "Ah! Radeler!"

Gardasee

Anreise
Mit dem Auto über die A8 (oder die A7/A96 bis Lindau und dann durch den Pfändertunnel) ins Inntal und dann über den Brenner bis Ausfahrt Rovereto. Von dort sind es noch 15 bzw. 20 Kilometer nach Torbole, Riva oder Arco, den besten Ausgangsorten für Rennradtouren in den Gardaseebergen.

Unterkunft
Übernachten kann man in Torbole zum Beispiel in den Ferienwohnungen der Agritur Laura (www.agriturlaura.com), in Riva etwas gehobener im Hotel du Lac et du Parc (www.dulacetduparc.com) oder etwas einfacher auf dem schön an der Sarca gelegenen Campingplatz in Arco (www.arcoturistica.com). Weitere Unterkunftsmöglichkeiten findet man unter www.torbole.com, unter www.rivadelgarda.com und www.cittadiarco.com.

Rennradfahren
Wegen des milden norditalienischen Klimas beginnt die Radsaison am Gardasee im April und reicht bis in den späten Herbst hinein. Zu dieser Zeit sind alle Passstraßen für gewöhnlich schneefrei. Auch jene in höheren Lagen sind befahrbar, wie etwa die sehr schönen Touren auf den Monte Baldo, den Monte Bondone oder die Umrundung des Brentamassivs. Wer die beschriebene "Vier-Seen-Tour" nachfahren möchte, startet am besten in Molina am Ledrosee, fährt dann über den Passo Ampola (optional kann man hier noch die Straße hinauf zum Tremalzo radeln) nach Storo zum Idrosee bis Pieve und dann über den Passo San Rocco zum Valvestino-See und schließlich nach Gargnano zurück an den Gardasee. Von dort fährt die Fähre nach Riva. Inklusive Tremalzo hat man am Ende 110 Kilometer und fast 2000 Höhenmeter zurückgelegt (ohne Tremalzo: 85 Kilometer/100 Höhenmeter).

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall genügend zu essen (Bananen, Riegel) und zu trinken (zwei Radflaschen), sowie Ersatzschlauch, Pumpe und Regenjacke mitnehmen. Auf keinen Fall an der Küstenstraße zurück nach Riva radeln – der starke Verkehr und die vielen Tunnel machen das viel zu gefährlich.

Literatur
"Rennradfahren am Gardasee. 16 ausgewählte Touren durch das Trentino" von Andreas Lesti, mit Straßenkarte und GPS-Daten, 16,90 Euro, Delius-Klasing-Verlag. Der Delius-Klasing-Verlag und der Bruckmann-Verlag haben noch weitere Rennradführer für verschiedene Regionen im Programm.

Allgemeine Informationen
www.visittrentino.it/de