Lichtermeer auf dem nächtlichen Boulevard: In der Turiner Einkaufsstraße Via Roma herrscht dichter Verkehr. Foto: Bildagentur-Online/Tips-Images

In Italien wird den Piemontesern Introvertiertheit nachgesagt. Davon ist in Turin nichts zu spüren.

Turin by night" ist noch ein recht junges Pflänzchen in der Geschichte der ersten Hauptstadt Italiens. Das war die heute rund 900000 Einwohner zählende Stadt Turin nämlich vier Jahre lang nach der Vereinigung Italiens im Jahr 1861. König Vittorio Emanuele II. führte von hier aus seine Amtsgeschäfte. Wahrscheinlich geht die Gründung aber auf ein Militärlager 28 v. Chr. zurück. Von der römischen Vergangenheit sind die rechtwinklig angelegten Straßenzüge geblieben. Das älteste Viertel der Stadt, das Quadrilatero romano, ist heute das lebendigste. Dort ist Movida angesagt – Kneipentour auf Italienisch. Seit 2008 haben sich zwischen Piazza della Repubblica, Via Garibaldi und Via XX Settembre viele kleine Cocktail-Bars, Ristoranti und Pastifici angesiedelt. 

Ein junges Publikum, unter anderem Studenten der bereits im Jahre 1404 gegründeten Universität und des Europäischen Design-Instituts, trifft sich hier. Bei Sonnenuntergang geht’s los, Aperitif und Snacks vom Büfett, bei schönem Wetter draußen, oft begleitet von Live-Musik oder DJs. Im Costello bleiben die Leute gerne auch zum Essen. "Bellissimi e buonissimo", macht eine schick gekleidete Gruppe von jungen Studentinnen kein Geheimnis daraus, dass ihnen die Designatmosphäre total zusagt. "Sind wir zu spät?", fragen wir einen sympathischen jungen Italiener, der sich uns gleich mit seinem Namen, Davide, vorstellt. Wir haben gar nicht gemerkt, wie schnell der Tag verging. Nach einer Tour de force durch einige Museen haben wir uns von einer Menschenschlange vor der Eisdiele Grom verführen lassen. Hier gibt es Gelato come una volta– Eis wie in früheren Zeiten. Himmlisch gut! Schon ab 18 Uhr formieren sich im Quadrilatero romano die ersten Happy-Hour-Fans, erklärt uns Davide, Grafikdesigner aus dem Hinterland von Turin. Die langen Theken der Lokale – auf italienisch "Banco" – sind fantasiereich gedeckt. Als Fingerfood gibt’s warme Foccacia, kleine Pizzen, Canapés, Mortadella-Würfel, Oliven. Dazu das Modegetränk Spritz – Weißwein, Selters und ein Schuss Campari oder Aperol.

Das absolute In-Lokal zu benennen sei unmöglich, erfahren wir von Erica. "Es gibt ganz viele in Turin, man wechselt jeden Tag", sagt uns die PR-Beraterin, mit der wir uns perfekt in Englisch unterhalten können. Vorgestern sei sie im Gramsci in der Via Gramsci gewesen und letzte Woche auf der anderen Seite des Po, im Fluido. Movida sei ganz neu in Turin. Nette, unkomplizierte Leute prosten sich zu, reden munter drauflos. Von der verschlossenen, introvertierten Piemonteser Mentalität ist nichts zu spüren.

Weil die Lokale so nah beieinanderliegen, vermischt sich das Publikum. Und mit ihm die Musik, die aus den Live-Bars klingt. "Vor allem dienstags und donnerstags ist am meisten los", sagt unsere Begleiterin. Zum Beispiel an der Piazza Vittorio, die sich zum Fluss Po hin öffnet. Unter den Arkaden des weitläufigen Platzes reiht sich ein Lokal ans andere. Mittlerweile ist es beinahe 20 Uhr, bei den Aperitif-Snacks wird immer noch nachgefüllt. Wir beschließen, das Abendessen ausfallen zu lassen, und bestellen einen zweiten Cocktail. Auch in der Drogheria sind noch viele Apero-Gäste, ins Ols oder Rumba Mamà geht man dagegen erst für den Absacker. Eigentlich wollten wir typisch piemontesisch essen, Bagna cauda oder Perperoni in salsa. Dazu hätten wir im Stadtzentrum bleiben und ins Tre candine oder ins Da Pantasso gehen sollen. Jetzt sind wir aber so nah am Po, dass wir uns zumindest die Murazzi, die Mauern des Po, anschauen wollen. Vor allem im Sommer, wenn die Abende lau und die Nächte in Turin lang sind, geht dort die Post ab. Movida pur! Die Mauern wurden um 1835 erbaut. Lange Zeit waren sie nur Spazierweg, seit ein paar Jahren sind sie Treffpunkt für das bunte Movida-Volk. Selbst jetzt, im Herbst, stoßen wir im Gian Carlo, The Beach, Alcatraz und Lost Club noch auf ausgelassenes Partyvolk. Hier mixen DJs in voller Lautstärke ihre Musik, der breite Fluss ist ihr geduldiger Verbündeter. Und die Murazzi wohl die coolste Adresse im Turiner Nachtleben.

Trotzdem eisen wir uns los. Wir wollen unbedingt noch in die Rotonda Valentina. Davide hat sie uns empfohlen und gesagt, dass er zu später Stunde dort auftauchen würde. Wir gehen zu Fuß den Po entlang. In Turin konzentriert sich alles auf die Stadtmitte und die Straßen, die zum Fluss führen.

Bei Nacht hat das Ufer eine magische Ausstrahlung, wir sehen auf der gegenüberliegenden Seite die Kirche Gran Madre hell beleuchtet, die majestätischen Brücken Ponte Vittorio Emanuele II., Ponte Umberto I. und vor uns die Ponte Principessa Isabella, die wir überqueren müssten, um ins Fluido oder in die Lounge-Bar 192 zu kommen, wo man bis in den frühen Morgen zu DJ-Musik groovt.

Wir werden Davides Ratschlag folgen und nach dem 3. November noch mal nach Turin kommen. Dann gehen in der Stadt im Rahmen der Veranstaltung Luci d’artista (Licht der Künstler) Tausende Lichter an. Die modernen Lichtinstallationen bleiben bis zum 31. Januar, sie geben insgesamt 21 historischen Gebäuden und Plätzen von Turin by night eine zusätzliche avantgardistische Note.

Turin

Anreise
Alitalia und Lufthansa fliegen mehrmals täglich direkt von Frankfurt und München den Airport Torino-Caselle an. Weiter geht es mit dem Trenibus ins Stadtzentrum. Die Fahrt dauert 19 Minuten, das Ticket dazu kostet einfach 3,40 Euro.

Unterkunft
Im historischen Stadtzentrum gibt es zahlreiche Bed & Breakfasts. Empfehlenswert sind zum Beispiel Aprile, Via delle Orfane, 19, www.aprile.to.it, DZ 90 Euro mit Frühstück, oder Ai Savoia, Via del Carmine1, www.aisavoia.it, DZ von 105 bis 125 Euro mit Frühstück. Die Hotelkette Best Western ist mit sieben Business-Hotels (drei und vier Sterne) im Stadtzentrum von Turin vertreten. Wochenend-Specials gibt es ab dem 3. November für die Veranstaltung "Luci d’artista" im Best Western Hotel Genova, www.bestwestern.it. Die spanische Hotelkette NH betreibt im Zentrum von Turin drei moderne Vier-Sterne-Hotels; für Gäste zwischen 18 und 30 Jahren gilt der Spezialpreis "Sleep and go", www.nh-hotels.it. Wer’s luxuriös mag: Town House 70, kleines Vier-Sterne-Hotel direkt hinter der Piazza Castello, Via XX Settembre 70, www.townhouse.it.

Essen und trinken
Sehr schick: Ristorante Costello, Piazza Solferino 12, www.costelloristorante.com. Riesiger Ess-Tempel mit italienischer Küche: Eataly, Via Nizza, 230, Rivalta di Torino, www.eatalytorino.it. Empfehlenswerte Pizzerien: Pastificio Defillipis, Via Lagrange 39. Passamaneria, Via Botero 16. Historische Kaffeehäuser: Caffè Torino, Piazza San Carlo 204, Caffè Fiorio, Via Po 8. Zur Happy Hour: Fluido, Cocktail- und Live-Bar, Viale Cagni 7, Rotonda Valentino, Corso Massimo D’Azeglio 11, Kogin’s Club, Cocktailbar, Corso Sicilia 6, Caffè Vendome, Via Gramsci 10.

Einkaufen
Die bedeutendste Einkaufsmeile von Turin ist die Via Roma. Hier reihen sich Edelboutiquen und Low-Cost-Modelabels aneinander. Kleine Läden mit junger Mode und Ateliers finden sich in den Straßen Via Mazzini, Via La Grange und Via Garibaldi.

Preise
Espresso: 0,80 bis 1 Euro
Aperitif (mit Büfett): 7 bis 10 Euro
Tagesessen (mittags): 6 bis 10 Euro
Einzelticket Bus, Tram, Metro: 1 Euro

Allgemeine Informationen
Ufficio Turismo Torino e Provincia, Piazza Castello/Via Garibaldi, 10122 Turin, www.turismotorino.org, Busfahrplan: www.comune.torino.it/gtt.