Obwohl der Vesuv so nah bei Neapel liegt, wäre die Stadt bei einem Ausbruch wohl in Sicherheit. Gefährdet sind eher die Gebiete auf der anderen Seite des Vulkans. Foto: Kiunke

Ein Wirt, der gegen die Camorra kämpft, Fotografen, die für ihre Kunden auch kochen, und eine Stadt voller Überraschungen - ungewöhnliche Erfahrungen am Golf von Neapel.

Neapel - Esther Kohl (45) lebt schon seit acht Jahren am Golf von Neapel und weiß genau, wann für welche Sehenswürdigkeit der richtige Zeitpunkt ist. „Wer auf den Vesuv will, sollte zeitig los“, hatte die blonde Reiseleiterin am Vorabend für den frühen Aufbruch getrommelt. Wie recht sie hat, wird spätestens beim Abstieg vom Krater am späten Vormittag klar, als die Touristen in einer endlosen Schlange den steinigen Pfad hochströmen und Busse und Autos die schmale Straße vor dem Tor zum Pfad zuparken. Es ist kaum noch ein Durchkommen. Bis zu 1500 Besucher kommen in den Sommermonaten täglich auf den Vulkan, trotzdem gibt es weder einen Parkplatz noch öffentliche Toiletten. „Wissenschaftler befürchten, dass ein Ausbruch bald bevorstehen könnte“, berichtet Esther.

Die Situation sei zurzeit ähnlich wie 79 n. Chr., als Pompeji untergegangen ist. Der Vulkan ist von einem Pfropfen verschlossen, der irgendwann wie ein Sektkorken in die Luft gehen wird. Rund um die Uhr wird der Vesuv daher beobachtet. Einige Zeit vor einem Ausbruch soll es erste Anzeichen geben. Für die rund 750 000 Menschen in der Gefahrenzone liegen Evakuierungspläne in der Schublade. „Ob die dann umgesetzt werden können? Bei dem Verkehrschaos hier?“, ist Esther skeptisch. An den Hängen unterhalb des Vulkans stehen stattliche Villen, viele davon illegal von Mafia-Bossen erbaut, erzählt Esther. Wen wundert’s, war doch das nahe gelegene Ercolano am Fuße des Vesuvs bis Ende der 1980er Jahre ein Hauptumschlagplatz für Drogen in Süditalien.

Ercolano ist auf dem untergegangenen Herculaneum erbaut, das wie Pompeji beim Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. von der Lava überrollt wurde. Nicht weit von den Ruinen der alten Römerstadt betreibt Maurizio Focene seit 20 Jahren ein Restaurant und eine Weinhandlung. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, doch dass er sein Geschäft noch immer jeden Tag öffnen kann, wohl schon. Maurizio (48), grauer Bart, braun gebrannt und schlank, trägt das weiße Hemd locker über die Hose und macht einen entspannten Eindruck. Als besonders mutig würde er sich wohl nicht bezeichnen. Wie er gegen die Camorra kämpfte, hängt er nicht an die große Glocke, sondern erzählt es lieber den Gästen, die in sein Restaurant kommen. Dann setzt er sich zu ihnen an den Tisch und holt weit aus, bis in die 1980er Jahre geht er zurück. Aber die Gäste haben Zeit, es ist Siesta, draußen brennt die Sonne, und nach dem anstrengenden Aufstieg auf den Vesuv sitzt man lieber noch eine Weile in dem kühlen Raum mit den raumhohen Regalen voller Weinflaschen und lauscht dem melodiösen Italienisch Focenes, das Reiseleiterin Esther Kohl übersetzt.

Schutzgeld musste bezahlt werden

Zwei Clans trugen in den 1980er Jahren auf offener Straße ihren Kampf um die Vorherrschaft im Drogenhandel aus, erzählt Focene. „Es war damals normal, jemanden tot auf der Straße liegen zu sehen.“ Die Camorra von Ercolano galt als eine der blutigsten der Gegend. Angst und Gewalt dominierten das Leben der Bewohner. Händler und Wirte waren gezwungen, Pizzo, das heißt Schutzgeld, an die Camorra zu bezahlen. Die ersten Jahre wurde Maurizio noch in Ruhe gelassen, doch 2007 war es vorbei. „Eines Tages kamen zwei Männer in mein Restaurant und forderten mich auf, an einen bestimmten Platz zu kommen und Schutzgeld zu bezahlen“, erzählt er in unaufgeregtem Ton, als ginge es um den letzten Urlaub. Schutzgeld, Camorra - das sind Themen, die jeder Besucher auch mit Neapel verbindet.

Genauso wie Müllberge, Gewalt, Arbeitslosigkeit und heruntergekommene Viertel. Eine gehörige Skepsis reist also bei allen mit, die das erste Mal in die drittgrößte Stadt Italiens kommen. Aber wer keine Erwartungen mitbringt, wird auch nicht enttäuscht. So trifft das Gegenteil ein: Die Stadt lässt einen staunen, überrascht und gewinnt am Ende mit ihrer Lebendigkeit und ihrer Gegensätzlichkeit das Herz des Besuchers. Hier die breiten Straßen mit den prächtigen, herausgeputzten Palazzi und die großen, sauberen Plätze, auf der anderen Seite die quirlige Altstadt mit ihren Häuserschluchten. So hoch haben schon die alten Neapolitaner ihre Gebäude gebaut. Und natürlich flattert vor den Fenstern und auf den schmalen Balkonen die Wäsche im Wind. Bei Touristen wie Einheimischen besonders beliebt ist die Gasse der Krippenbauer, in der sich ein kleines Geschäft ans nächste reiht. Weihnachten ohne eine Krippe ist in Süditalien undenkbar. „Sie gehört in jeden Haushalt“, erzählt Esther Kohl.

Bei der Gestaltung und den Figuren sind künstlerische Freiheit und aktuelle Bezüge erlaubt. Auch Angela Merkel, der Papst oder Lionel Messi en miniature dürfen neben Maria und Josef stehen. Mit schwarzer Maske, in der rechten Hand ein Maschinengewehr - so hat sich der Bodyguard eines Mafiabosses von Fotograf Francesco Pischetola (38) fotografieren lassen. Das Bild hängt in seinem Studio in Neapel, das Pischetola mit drei Kollegen teilt. Das Fotografen-Team stellt hier nicht nur seine Bilder aus. Damit die Besucher verweilen und sich in Ruhe die Ausstellung anschauen können, kochen sie für kleine Gruppen. In einer winzigen Küche frittieren Francesco und Kollege Claudio Morelli Zucchiniblüten, brutzeln Sardinen, schnippeln Tomaten und Büffelmozzarella.

Viel Gewalt, aber auch viel Liebe

Die Gäste sitzen in einem der beiden Ausstellungsräume auf Klappstühlen an zusammengestellten Tischen. Es wirkt so, als sei man bei Freunden zu Besuch, die mangels Möbeln etwas provisieren müssen. Sympathisch. Zwischen den Gängen erzählen die Fotografen, wie die Bilder entstanden sind. Den Camorrista-Mann fotografierte Pischetola für eine deutsche Zeitung im Unterschlupf seines Bosses an einem heißen Sommertag. Der bewaffnete Mann sitzt auf einem Stuhl und trägt außer der schwarzen Kopfmaske nur eine Unterhose. Aber wie findet man ein solches Motiv? Man kenne sich, erklärt er den erstaunten Besuchern. Er stamme zudem aus einem Viertel, das für Drogenhandel bekannt war. In der Umgebung des Studios scheint das kaum möglich.

In Chiaia, westlich der Altstadt, zeigt sich Neapel von seiner glänzenden Seite: Prächtige, restaurierte Palazzi säumen die Straße, Designer-Geschäfte wechseln sich mit Nobel-Boutiquen ab, die Männer tragen Anzüge, Frauen schleppen teure Ledertaschen, die Mieten sind hoch. „Neapel ist keine leichte Stadt, hier gibt es viel Gewalt, aber auch viel Liebe“, meint Morelli, als er sich nach dem Nachtisch zu seinen Gästen setzt. Sein Verhältnis zu seiner Heimatstadt ist gespalten: Neapel sei keine internationale Stadt, viele Leute wollten hier keinerlei Veränderungen, es gebe viel Gewalt, aber es sei auch eine Stadt mit Atmosphäre. Dennoch: „Es ist besser, einen Teil des Lebens woanders zu verbringen.“ Morelli hat noch einen zweiten Wohnsitz in Mailand.

Weggehen aus Ercolano war für den Wirt Maurizio Focene keine Option. Auch nicht, als eines Tages Männer mit Waffen vor seinem Laden standen. „Die letzte Warnung“ sei dies, wurde ihm gesagt. Doch Focene ließ sich auch davon nicht einschüchtern. Am anderen Tag ging er zur Polizei und zeigte die Männer an. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Geschichte im Ort. „Es gab Wetten, wie lange ich wohl noch leben werde“, erzählt Focene, der unverheiratet ist und keine Kinder hat. Sicher mit ein Grund, warum er sich nicht einschüchtern ließ. „Für mich war es eine Frage der Würde, die Zahlung des Schutzgelds zu verweigern.“ Seine Anzeige und die darauf folgenden Festnahmen ermutigten auch andere. Zwei Monate später gab es bereits 80 Anzeigen. Insgesamt wurden 200 Leute aus der Camorra verhaftet. Seitdem hat sich das kleinen Städtchen gewandelt. „Seit vier Jahren muss in Ercolano kein Schutzgeld mehr bezahlt werden.“

Infos zum Golf von Neapel

Anreise
Mit dem Flieger von Stuttgart in 1,5 Stunden nach Neapel, z. B. mit Germanwings ( www.germanwings.com ) oder Air Berlin ( www.airberlin.com ). Mit der Bahn dauert die Fahrt ab Stuttgart je nach Verbindung zwischen 12 und 13 Stunden, www.bahn.de

Unterkunft
Neapel: Am Rande der Altstadt in einer Fußgängerzone: Hotel de Chiaja, DZ ab 124 Euro, www.chiaiahotel.com

Halbinsel Sorrent: Familie Nunziata baut Zitronen an und vermietet Zimmer auf ihrem Hof mit einer traumhaften Aussicht auf den Vesuv und den Golf: Il Giardino di Vigliano, DZ ab 70 Euro, www.vigliano.org

Positano/Amalfiküste: Zugang nur zu Fuß über die Altstadt von Positano, tolle Terrasse mit Meerblick, DZ ab 120 Euro, www.hotelpupetto.it

Essen und Trinken
Ercolano: Weinhandlung und Restaurant von Maurizio Focene, nicht weit von den Ausgrabungsstätten: Viva lo Re, Corso Resina 261: www.vivalore.it

Ravello: Unweit vom Marktplatz, leckere Pasta: Ristorante Pizzeria Vittoria, Via Dei Rufolo, 84010 Ravello, www.ristorantepizzeriavittoria.it

Positano: Tolle Aussicht auf die Küste und das Meer, hervorragende Antipasti, direkt am Götterweg auf halbem Weg zwischen Agerola und Positano gelegen: Restaurant Santa Croce Positano, www.ristorantesantacrocepositano.com

Veranstalter
Neapel in Kombination mit der Amalfiküste wird von Studiosus als „Smart and Small“-Studienreise angeboten unter dem Titel „Den Alltag vergessen am Golf von Neapel“. Das Programm ist nicht so intensiv wie bei einer Studienreise, es gibt weniger Besichtigungen, mehr Freizeit und die Gruppen sind kleiner. Dieses Jahr sind alle Reisetermine an den Golf von Neapel ausgebucht. Im nächsten Jahr gibt es sieben Termine zur Auswahl, der erste Termin ist 12. bis 19. April 2016, ab 1495 Euro, www.studiosus.de

Eine ähnliche Reise an den Golf von Neapel mit Neapel, Pompeji und Paestum bietet auch Dr. Tigges, ab 1295 Euro. Termine gibt es noch im Oktober und nächstes Jahr ab März. www.drtigges.de