Halvor Egner Granerud ist seit fünf Weltcup-Springen ungeschlagen – lediglich bei der Skiflug-WM landete Karl Geiger vor dem Norweger. Foto: AFP/FABRICE COFFRINI

Halvor Egner Granerud ist der Überflieger im Skisprung-Weltcup und hat zuletzt fünf Siege in Folge gefeiert. Doch Ex-Weltmeister Martin Schmitt ist überzeugt, dass der Norweger schlagbar ist – auch ohne Kryptonit.

Stuttgart - Er ist schlagbar. Man kann Halvor Egner Granerud tatsächlich noch besiegen, wenn man auf einer Schanze gegen ihn springt. Karl Geiger hat es bei der Skiflug-WM vor etwas mehr als einer Woche in Planica bewiesen. 0,5 Punkte lag der Oberstdorfer vor dem Norweger, nach vier Flügen über knapp einen Kilometer (exakt 936,5 Meter) distanzierte der Deutsche den Überflieger dieser Saison um umgerechnet 40 Zentimeter. Der Besiegte schüttelte nicht nur einmal ungläubig den Kopf. Kann nicht wahr sein.

Halvor Egner Granerud ist es in diesem Winter nicht mehr gewöhnt, dass bei einer Siegerehrung einer auf einem höheren Treppchen steht als er. Die norwegische Ausgabe des Ikarus war bei den ersten beiden Weltcup-Springen in Wisla und Kuusamo noch als Vierter etwas mürrisch gelandet, doch in den fünf folgenden Wettbewerben (die Skiflug-WM zählte nicht dazu) war der 24-Jährige aus Oslo wie Superman – er flog scheinbar schwerelos durch die Luft. Und die Konkurrenz fand kein Rezept, um mit dem Kerl mithalten zu können. „Ich werde schon morgen damit anfangen, von Oberstdorf zu träumen“, sagte der Weltcup-Primus nach seinen zwei Triumphen in Engelberg am Wochenende – damit gilt Granerud als Topfavorit für die Vierschanzentournee, die am kommenden Montag auf der Schattenbergschanze im Allgäu beginnt.

Der Norweger ist für jeden Spaß zu haben

Halvor Egner Granerud war bis zu diesem Winter ein Name, der nur in der Szene bekannt und lediglich den besser informierten Skisprung-Fans geläufig war. Zwar gab der Norweger sein Debüt im Weltcup bereits am 5. Dezember 2015, was aber nicht gerade ruhmreich in Erinnerung geblieben ist, weil der junge Mann wie zwei seiner Landsleute wegen eines illegalen Anzugs disqualifiziert worden war. Seine ersten Weltcup-Punkte holte er am 30. Dezember 2016 bei der Vierschanzentournee mit Platz 28, zum ersten Mal in die Top Ten sprang er als Fünfter am 16. Dezember 2017 in Engelberg. Er fiel aber im Springertross nicht weiter auf, stürzte auch mal ab, kämpfte sich durch den zweitklassigen Continental-Cup zurück. „Ich bin sehr ernsthaft, wenn es ums Skispringen geht“, sagt er, „jenseits der Schanzen bin ich für jeden Spaß zu haben.“

Deshalb stand sich Halvor Egner Granerud bisweilen selbst im Weg. Hier zu viel geblödelt, dort zu viel nachgedacht. „Er ist sehr gewissenhaft und intelligent“, beschreibt ihn Skisprung-Legende Toni Innauer, „er denkt manchmal zu viel nach, und das hemmt ihn.“ Sein deutscher Konkurrent Markus Eisenbichler meint: „Er hat schon viel Mist gebaut, und ich glaube, er hat diesen Reifeprozess gebraucht.“ Ein paar Jahre machen aus einem guten Wein einen edlen.

Und mit jedem neuen Schnee wurde aus dem Mitspringer Halvor Egner Granerud nach und nach ein Überflieger. „Er hat ein super System“, sagt Bundestrainer Stefan Horngacher, „er ist stabil im Schanzenradius, fährt in einer ausbalancierten Position zur Kante, hat in der Luft eine saubere Skiführung – er befindet sich derzeit im Flow.“ Die Siegesserie potenziert das Selbstvertrauen, gerade auch weil er sein Erfolgsrezept entdeckt hat. „Ich lasse jetzt alles lockerer angehen und mache mir nicht mehr so viele Gedanken zu den Sprüngen“, betont der Nordmann, der als erster Norweger fünfmal in Folge im Weltcup triumphierte, „es ist zurzeit schrecklich schön, ich zu sein. Dass ich mich in die ruhmreichen norwegischen Bücher eintragen durfte, macht mich stolz.“ Womöglich aber bleibt es nicht allein beim Eintrag in die Historie seines Heimatlands, womöglich verewigt sich der Schützling von Trainer Roy Erland Myrdal sogar in den internationalen Annalen des Skisprungs.

Warum eine Nasenlänge 8,8 Zentimeter sind

Noch sucht die Konkurrenz nach Kryptonit, um Superman Granerud beim Sammeln der Flugmeilen entscheidend zu schwächen. Wobei Markus Eisenbichler den positiven Ansatz wählt: Der Mann aus Siegsdorf strebt nicht danach, seinem Gegner ein unsichtbares Gewicht an den Körper zu wünschen, er sieht sich in der Pflicht – und in der Lage –, den Seriensieger auf den Boden der Tatsachen zu holen. „Wenn ich meinen Sprung runterbringe und sehr wenige Fehler mache“, sagt der Bayer, „dann kann ich ihn schlagen. Bei mir ist es halt oft so gewesen, dass ich immer irgendwo was liegenlasse.“

Auch Altmeister Martin Schmitt macht den Gegnern des Außerirdischen Mut. „Markus hat gezeigt, das man ihn fordern und Karl Geiger, dass man ihn sogar schlagen kann“, sagt der Ex-Weltmeister, „Granerud springt nicht in einer eigenen Liga – er ist allen anderen lediglich eine Nasenspitze voraus.“ Das dürften etwa 8,8 Zentimeter sein. So lange ist die längste Nase der Welt, die dem Türken Mehmet Özyürek gehört.