Rami Suliman kam als junger Mann nach Pforzheim. Er fühlt sich hier zuhause. Foto: Jehle

Unter den Juden in Baden gebe es inzwischen wieder viele Ängste, sagt Rami Suliman, der Vorsitzende des Oberrats der badischen Juden. Aber anders als in anderen Teilen Deutschlands gebe es keinen offenen Antisemitismus. Vor der AfD warnt er jedoch deutlich.

Pforzheim - Rami Suliman fühlt sich als Jude, Badener und Deutscher mit israelischer Herkunft. Er bringt das alles unter einen Hut – oder, besser gesagt, unter eine Kippa. Zwar könne man sich mit dieser typisch jüdischen Kopfbedeckung hierzulande noch zeigen, ohne angepöbelt zu werden, sagt Suliman. Aber er sorgt sich, weil der Antisemitismus wieder spürbar zunehme. Er kam als junger Mann nach Pforzheim, ist mit seiner Familie seit vier Jahrzehnten bestens integriert. Doch als Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) Baden, dem Oberrat badischer Juden, weiß er, dass es heute viele Ängste gibt unter den Juden im Land.

Herr Suliman, in Städten wie Berlin oder München nehmen Übergriffe auf jüdische Mitbürger zu. Ein deutsches Problem?

Der Antisemitismus nimmt leider zu, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Schauen Sie nur einmal nach Frankreich. Das ist leider traurige Realität. Bei uns in Deutschland ist dies in erster Linie sichtbar in Großstädten wie Berlin.

Wie kommt es zu dieser Entwicklung?

Wir unterscheiden zwei Arten von Antisemitismus: den politisch orientierten und den importierten. Wenn ein antisemitischer Vorfall stattgefunden hat, beispielsweise ein Graffiti mit NS-Symbolen oder eine Friedhofsschändung, und man findet den Urheber nicht, wird dies politisch rechten Extremisten zugeordnet.

Was ist importierter Antisemitismus?

Der importierte Antisemitismus betrifft einen Teil der Muslime, die nach Deutschland zugewandert sind. Unsere subjektive Wahrnehmung ist, dass dieser unter anderem durch die Zuwanderung stark zugenommen hat.

Kennen Sie Fälle, in denen sich Juden nicht mehr trauen, mit der Kippa aus dem Haus zu gehen?

Das kann ich für Baden nicht bestätigen. Ich habe keine Angst mit Kopfbedeckung, der traditionellen Kippa, öffentlich aufzutreten. Wir hatten vor Kurzem ein Treffen mit acht badischen Rabbinern. Ich habe gefragt: Ihr tragt den ganzen Tag Kippa und die typische Kleidung eines Rabbiners – hat man euch schon mal attackiert oder beschimpft? Alle Rabbiner verneinten dies.

Sie sprechen aber nur für Baden?

Ich kann natürlich nur für Baden sprechen. Ich sehe einen großen Unterschied zwischen der tatsächlichen Gefährdung und der gefühlten Angst. Das Sicherheitsgefühl unserer Mitglieder ist schlecht. Es herrscht eine große Verunsicherung.

Seit wann nehmen Sie das wahr?

Deutlich bemerkbar wurde das nach dem letzten Gaza-Krieg im August 2014 – und später auch mit der Festnahme von IS-Tätern aus Syrien oder dem Irak in Deutschland. Das löst Angst und eine große Verunsicherung in den Gemeinden aus.

Beunruhigt Sie das Auftreten der AfD?

Wir distanzieren uns klar von den Aktivitäten der AfD. Bis heute gibt es dort Personen, die den Holocaust verleugnen. Personen wie Wolfgang Gideon oder Björn Höcke sind völlig inakzeptabel. Die AfD gibt sich nach außen hin, bis auf wenige Ausnahmen, nicht so sehr als klare antisemitische Partei. Man versucht, uns einzubinden unter der Devise: „Der gemeinsame Feind ist der Islam“. Das ist mit uns aber nicht zu machen. Heute der Islam, morgen die Juden oder eine andere Gruppe . . .

Fühlen Sie sich in Pforzheim als Deutscher, als Jude oder als beides?

Oh, das ist eine gute Frage. In erster Linie bin ich Jude. Ich besitze den deutschen Pass, bin Deutscher, Jude mit israelischer Abstammung. Ich fühle mich aber auch als Badener. Meine Geschwister und ich sind in Israel geboren. Dass ich in Pforzheim lebe, ist Zufall. Ein Onkel hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, hier zu arbeiten. Das habe ich probiert und bin geblieben.

Es gab lange Zeit Streit über die Verteilung von Geld für die Gemeinden badischer Juden. Im Fokus stand besonders die Gemeinde in Baden-Baden. Es gab auch Gerichtsverfahren. Ist das für Sie erledigt?

Das Verhältnis zum Land und zum Kultusministerium war angespannt. Wir haben bei uns, auch ausgelöst durch die zeitweilige kommissarische Verwaltung der Gemeinde in Baden-Baden, in den Abläufen Änderungen vorgenommen. Es war teilweise schwierig, den Vorständen der einzelnen Gemeinden klarzumachen, wie wichtig es ist, den Staatsvertrag zwischen der IRG Baden und dem Land genau im Detail umzusetzen. Heute sind wir mit den Ministerien wieder auf Augenhöhe.

In Konstanz steht der Neubau einer Synagoge vor der Vollendung, in Baden-Baden gibt es auch solche Pläne. Ist das ein Neuanfang für ein intensiveres Gemeindeleben?

Eine jüdische Gemeinde ohne eine Synagoge, ohne ein Gemeindezentrum, ist heimatlos. Ein Jude braucht eine Gemeinde, eine Synagoge, das ist die Basis für jüdisches Leben. In den letzten Jahren haben wir neue Synagogen in Lörrach und in Rottweil gebaut. In Pforzheim wurde vor zwölf Jahren das ehemalige Gebäude einer Bank umgebaut. In Konstanz wird die neue Synagoge im kommenden Frühjahr fertig.

In Konstanz haben zwei Gemeinden miteinander gestritten. Wie ging das aus?

In Konstanz hatten wir zwei Gemeinden, eine orthodoxe und eine liberale. Wir haben beide Gemeinden aufgelöst und eine neue Gemeinde gegründet: die Synagogengemeinde. Die neue Synagoge bekommt die neue Gemeinde. In der neuen Synagoge gibt es zusätzlich einen eigenen Gebetsraum für die liberale Ausrichtung, so dass alle Gruppierungen in der neuen Synagoge ihre Heimat finden können.

Und wie sieht es in Baden-Baden aus?

Baden-Baden ist die letzte Gemeinde ohne eigene Synagoge. Wir haben ein Baugrundstück gekauft, und die Planungen für die neue Synagoge abgeschlossen.

In Baden-Baden gab es längere Zeit Diskussionen über das Grundstück. Die alte Synagoge, 1938 zerstört, lag mitten in der Stadt. Der Ort wird heute als Parkplatz genutzt. Ist es in Ordnung, dass das alte Grundstück nicht zur Verfügung steht?

Das ist für uns nicht in Ordnung. Aber das Grundstück wurde im Jahr 1955 rechtmäßig verkauft. Der Oberrat der IRG Baden hat dies an den Verleger einer örtlichen Tageszeitung verkauft. Der Oberrat damals war der Ansicht, nach diesem ganzen Elend, nach der Shoah, sei kein jüdisches Leben mehr in Deutschland möglich. Er hat in den Kaufvertrag aber einen Paragrafen eingefügt, der regelt, dass das Grundstück nicht für „profane Zwecke“ verwendet werden darf.

Wäre es für Sie eine Geste der heutigen Besitzer, wenn diese das Grundstück unbebaut lassen und auch nicht mehr als Parkplatz nutzen würden?

Bisher steht da ein eher kleiner Gedenkstein, und es wird als Parkplatz genutzt. Es wäre für mich eine gute Lösung, wenn da eine würdige Gedenkstätte entstehen würde. Das müsste mit uns, den Vertretern der Juden, besprochen werden.

Gibt es denn bisher keine entsprechenden Signale der Besitzer?

Nein, überhaupt nicht. Offenbar will man mit uns überhaupt nicht reden. Mehrere Anfragen von uns blieben unbeantwortet. Wir bauen die neue Synagoge in der Fürstenbergstraße im Westen der Stadt Baden-Baden – und bestehen darauf, dass das alte Grundstück mit Würde behandelt wird.

Seit 20 Jahren Vorsitzender

Diamantschleifer
Rami Suliman, geboren 1956 in Tel Aviv, kam 1979 nach Pforzheim. Seit Januar 2013, mit einer kurzen Unterbrechung, ist er Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) Baden. Der Oberrat hat seinen Sitz in Karlsruhe. Suliman, der verheiratet ist und drei erwachsene Kinder hat, engagierte sich schon früh in der jüdischen Gemeinde Pforzheim. Er ist seit mehr als 20 Jahren ihr Vorsitzender. Der Diamantschleifer eröffnete 1986 sein eigenes Unternehmen, Ramis, und handelt mit Schmuck. Er ist ein aschkenasischer Jude, seine Eltern sind aus Osteuropa noch vor der Gründung des Staats Israel nach Palästina zugewandert. Aschkenasische Juden sind die größte Gruppe im heutigen Judentum.

IRG Baden
Unter dem Dach der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden sind zehn Gemeinden zwischen Mannheim, Karlsruhe, Pforzheim, Freiburg und Konstanz vereint. Die beiden größten sind Karlsruhe und Baden-Baden mit rund 860 beziehungsweise 640 Mitgliedern. Insgesamt sind laut dem Zentralrat der Juden in Frankfurt rund 5270 Juden als Mitglieder der badischen Gemeinden registriert. Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (mit Sitz in Stuttgart und einer Nebenstelle in Ulm) zählt 2850 Mitglieder.