Während am rechten Bildrand über der palästinensischen Stadt Beit Lahia die Hamas Raketen in den Norden Israels feuert, steigen am linken Bildrand Raketen des israelischen Abfangsystems „Iron Dome“ in den Himmel. Foto: AFP/ANAS BABA

Mehr als 8000 Raketen soll die Hamas in Depots haben, glauben Experten. Ihre Bauteile werden durch Tunnel nach Gaza gebracht.

Stuttgart - Yahya Ayyash starb genau um 8 Uhr, als er gerade begann, mit seinem Vater zu telefonieren. Am 5. Januar 1996 explodierte sein Handy in Beit Lahia im Gazastreifen. 23 Sekunden, nachdem er den Anruf des Familienoberhauptes angenommen hatte. Wenige Tage zuvor hatte der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet dem 29 Jahre alten Chefbombenbauer der Terrororganisation Hamas durch einen Spitzel ein neues Handy zugespielt: präpariert mit 15 Gramm Plastiksprengstoff. Der wurde von Bord eines israelischen Überwachungsflugzeugs gezündet, nachdem zweifelsfrei fest stand, dass Ayyash persönlich telefonierte. So erzählt der frühere Direktor des Dienstes, Carmi Gillon, die Geschichte.

25 Jahre später schlagen Hamas-Raketen in Israel ein, die den Namen des Bombenbauers tragen: „Ayyash 250“ heißt das etwa dreieinhalb Meter lange, wohl mit 50 Kilo Sprengstoff beladene Geschoss, mit dem die Terroristen fast jeden Punkt in Israel von den Golanhöhen bis zum Golf von Akaba treffen können. Gebaut wird auch die neueste Rakete im Arsenal der Hamas im palästinensisch besiedelten Gazastreifen. Wie seit etwa 15 Jahren alle ihre Boden-Boden-Flugkörper. Nur: Während die Raketen der Qassam- und al-Quds-Baureihe mit einem Stückpreis von etwa 2500 Euro zum Teil weit entfernt von den programmierten Zielen einschlagen, zeichnet sich die „Ayyash 250“ dank iranischer Technologie durch hohe Zielgenauigkeit aus.

Völlig neue Taktik der Terrororganisation Hamas

„Wir erleben in diesen Tagen eine völlig neue Taktik der Hamas: Mit massenhaftem Abschuss von Qassam- und al-Quds-Raketen wird das in Israel stationierte Abfangsystem ‚Iron Dome’ an seine Leistungsgrenze gebracht. In dann entstehende Lücken werden die Ayyash-Raketen gefeuert“, erklärt Michael Herzog vom Washington Institute. Der Ex-Luftwaffengeneral vermutet, dass die Waffenlager der Terroristen im Gazastreifen aktuell prall gefüllt sind: „8000 bis 10 000 Raketen dürfte die Hamas lagern.“ 1750 davon sollen nach israelischer Zählung seit dem 10. Mai bis zum Donnerstagabend abgefeuert worden sein.

Die Bauteile für die Flugkörper werden entweder über See in Fischerbooten und vor allem durch Tunnel aus Ägypten in das Palästinensergebiet geschmuggelt. Von einer „beeindruckenden Infrastruktur“ spricht Professor Eitan Azani vom Institut für Anti-Terrorstrategien (ICT) in Herzliya, nördlich von Tel Aviv. Er unterschiedet zwischen zwei unterschiedlichen Tunneltypen: „Unter Typ 1 müssen wir uns eine Stadt unter den Dörfern und Städten vorstellen. In einer Tiefe zwischen fünf und zehn Metern sind Lager- und Werkstätten der Hamas und anderer Terrorgruppen entstanden, in denen Raketen gebaut, Waffen und Munition gelagert und verletzte Kämpfer versorgt werden“, weiß Azani. Typ 2 seien mitunter kilometerlange Transporttunnel, durch die Versorgungsgüter in den Gazastreifen hinein gebracht würden. Durch die Terroristen auch unerkannt nach Israel gelangen könnten.

Terroristen haben Ballonbataillone aufgestellt

Speziell geschulte Terroristen der Hamas verschießen die Raketen. Teilweise aus Einrichtungen des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge UNRWA, wie die Vereinten Nationen selbst einräumen. Schulen, Krankenhäuser und Spielplätze würden als Feuerstellungen missbraucht, auch weil Kinder, Frauen und Kranke menschlichen Schutz vor israelischen Gegenmaßnahmen böten. „Vorwürfe, dass zum Teil hochrangige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des UNRWA Hamas’ Gebrauch menschlicher Schutzschilde verteidigten, sind hinreichend belegt“, stellten Wissenschaftler des Bundestages 2018 fest.

Zu offener Kritik von Diplomaten oder gar Außenministern und ihrer Regierungen an der Terrorgruppe führt das nicht. Schweigen auch, als die Hamas am 8. Mai ihre jüngst aufgestellten Terrorverbände generalmobilisierte: die Ballonbataillone. Deren Aufgabe: Sie lassen mit Helium gefüllte Luftballons aufsteigen und nach Israel treiben. Angehängt an die farbenfrohen Blasen sind Brandsätze und bunt gefärbte Sprengkörper. Vor allem Kinder, die die Granaten für Spielzeug halten, sind bevorzugte Ziele. Der palästinensische Journalist Hassan Aslih begleitete gleich nach der Mobilisierung eine der Balloneinheiten in den Einsatz. Blaue und türkise Ballons bereiten die Terroristen vor, bestücken sie mit Brand- und kleinen Sprengsätzen. Dann lassen sie sie in den Himmel steigen. Für jedermann auf Twitter anzuschauen.