Der Sage nach kommen die isländischen Naturgeister in den zwei Wochen vor Weihnachten aus den Bergen in die Dörfer. Insgesamt gibt es 13 Trolle. Foto: Ragnar Th. Sigurdsson/Visit North Iceland

Laut Überlieferung leben jede Menge Naturgeister auf Island. Zu Weihnachten sollen sie zu den Menschen kommen. Eine Spurensuche.

Hier also baden die Weihnachtsmänner! Über schwarzem Lavageröll dampft ein erhitzter Gebirgsstrom. Dahinter leckt die gigantische Eiszunge des Vatnajökull-Gletschers am Vulkangestein. „Auf ins Wasser!“ Ragnar Baldvinsson kann selbst ein gerade einsetzender Schneeschauer nicht aufhalten, wenn ein spontanes Badevergnügen lockt. Der isländische Abenteuer-Guide taucht in den Naturpool zwischen die Lavafelsen. Das Gestein ist vom letzten Vulkanausbruch im Februar immer noch heiß genug, um das Gletscherwasser aufzuwärmen. Wo wäre ein besserer Ort, mehr von den Jólasveinar zu erfahren, als in ihrer heimlichen Badestube am Rand des Lavafelds von Holuhraun? Jólasveinar nennen die Isländer ihre traditionellen Weihnachtstrolle. Sie haben gleich 13 von ihnen. Ragnar kennt sie alle mit Namen. „Im Sommer verstecken sie sich in den Bergen nicht weit von hier“, erzählt er. „Ab dem 12. Dezember wandern sie dann einer nach dem anderen zu den Menschen ins Tal, bis an Heiligabend alle unten angekommen sind. Jedes Kind in Island wartet dann schon auf sie.“ Wer mit Ragnar unterwegs ist durch die Heimat der Jólasveinar, lernt das Staunen und Schaudern.

Auf rauen Lavapisten und durch eisige Bergbäche schlittert der Geländewagen vorbei am verschneiten Herdhubreidh, der breitschultrigen Königin der Berge Islands. Zu ihren Füßen stürzen tosende Wasserfälle in tiefe Schluchten. Auf dem Gebirgsmassiv von Dyngjufjöll ragen bizarre Lavafelsen wie erstarrte Berggeister aus dem Schnee. Ragnar erzählt dazu von Elfensteinen, erbosten Trollen, die sich an Straßenbauarbeitern rächen, und natürlich von den Jólasveinar, die nicht eben viel mit dem gutherzigen Santa Claus gemein haben. Am Ende mag sich auch so mancher abgeklärte Zentraleuropäer gar nicht mehr so sicher sein, ob durch das Hochland des Vatnajökull-Nationalparks vielleicht nicht doch Naturgeister spuken. Warum nicht auch Weihnachtstrolle? „Es ist schön, daran zu glauben, dass da draußen etwas ist, das wir nicht verstehen“, sagt Ragnar. Wie er glauben nach aktuellen Umfragen mehr als die Hälfte der Isländer an das Huldufólk. So nennen sie ihre unsichtbaren Naturgeister. „Natürlich glaube ich an Elfen und Trolle“, sagt auch Sólveig Bennýjar-Haraldsdóttir. Wahrscheinlich gehört das zu ihrem Beruf.

Santa Claus und die isländischen Weihnachtsmänner

Die Isländerin führt ausländische Gruppen zu den verwunschenen Stätten in der Umgebung von Akureyri, der Hauptstadt des Nordens. „Wer Island wirklich erleben will, muss die Sagen und Brauchtümer kennenlernen“, sagt sie. Gerade führt sie eine Gruppe amerikanischer und chinesischer Touristen durch den von windschiefen Birken durchsetzten Geisterwald von Höfdhi am Mývatn-See. Was der Unterschied zwischen Santa Claus und den isländischen Weihnachtsmännern sei, will eine Amerikanerin wissen. „Die Jólasveinar sind die Söhne der Riesin Grýla“, erklärt Sólveig, „sie wohnt mit ihrem Mann Leppalúdhi in einer Höhle in den Bergen.“ In der isländischen Folklore kommt im Advent Abend für Abend einer der 13 Weihnachtstrolle aus den Bergen in die Dörfer und Bauernhöfe, um sich etwas zum Fressen zu ergattern oder die Menschen zu piesacken. Unter ihnen sind Giljagaur, der Schluchtenkobold, der vom Milchschaum im Kuhstall nascht, der gewitzte Türzuschläger Hurdhaskellir und der Fensterglotzer Gluggagaegir. Wenn in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember sich eine feuchte Nase durch einen offenen Türspalt schiebt, dann mag das ein hungriger Polarfuchs sein oder aber der Türschlitzschnüffler Gáttathefur.

Den Abschluss im isländischen Trollkalender macht schließlich der Kerzenschnorrer Kertasníkir, der an Heiligabend die Talgkerzen von der Festtafel angelt. Er ist es aber auch, der den Kindern Süßigkeiten und kleine Geschenke hinterlässt, wenn sie am Weihnachtsabend ihre Schuhe in die Fenster stellen. „Wenn an Heiligabend der Nordwind um die Häuser heult, ist das oft auch Jólaköttur, die Weihnachtskatze“, erklärt Sólveig. „Sie schleicht am 24. Dezember aus Grýlas Höhle ins Tal und schnappt sich alle, die zu Weihnachten keine neuen Kleider anhaben.“ Vom Geisterwald in die Weihnachtswohnung der Jólasveinar ist es nur eine halbe Stunde zu Fuß. Der Tradition nach wohnen die Trolle im Advent um das Lavafeld von Dimmuborgir. In das schwarze Gestein haben sie Grotten, kreisrunde Fenster und spitze Zwergentürme gehauen. Wenn im Dezember Neuschnee über die dunkle Welt aus Lavastein fällt, zieht ein glitzernder Zauber in die Felsenstadt. In der Nacht flackern grüne und rote Nordlichter über Dimmuborgir. Die Spuren der Weihnachtstrolle verweht der eisige Polarwind. Plötzlich entdeckt eine der Chinesinnen aus Sólveigs Gruppe einen rauschebärtigen Mann auf einer Felskuppe. Er trägt einen dunkelroten Wollpullover, eine grüne Strickmütze und eine Hose mit Knöpfen aus Schafsknochen. An seinem Holzstab mit dem Fleischerhaken hat ihn Sólveig sogleich als Ketkrókur erkannt, der sich in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember seinen Teil vom traditionellen Schneehuhn-Weihnachtsbraten stiehlt.

Als Weihnachtsmann verkleiden

Ketkrókur hüpft aufgeregt von seinem Felsen, ruft Unverständliches auf Isländisch und nähert sich schließlich langsam den Touristen. Er erlaubt der Chinesin, die ihn soeben entdeckt hat, sogar ein gemeinsames Selfie mit ihrem Smartphone. Unter dem verfilzten Bart aus Schafwolle steckt Illugi Jónsson aus dem Dorf Reykjahlíð am Mývatn-See. „Ich bin nun schon über zehn Jahre Weihnachtsmann. Die Idee kam ursprünglich ein paar Arbeitern, als ihre Kieselalgen-Fabrik geschlossen wurde“, verrät Illugi. „Sie suchten nach einer neuen Anstellung. Wir treten nun in Schulen und Kindergärten auf, aber am häufigsten sind wir hier in Dimmuborgir. Es gibt tatsächlich 13 von uns, und wir hatten auch schon zwei Weihnachtsfrauen im Team.“ Als rauschebärtiger Ketkrókur posiert Illugi für Fotos und erzählt Geschichten aus der Welt der Jólasveinar. „Ein echter Traumjob“, sagt er. „Wir leben richtig in unserer Rolle und sehen unsere Arbeit auch als pädagogischen Auftrag, um Kinder und Erwachsene mit den Traditionen Islands vertraut zu machen.“ Inzwischen kommen immer mehr Touristen ins Land der isländischen Weihnachtsmänner.

Die Umgebung von Dimmuborgir war in den letzten Jahren Drehort für eine Reihe an Hollywood-Blockbustern wie „Oblivion“ mit Tom Cruise, „Noah“ mit Russell Crowe und die jüngste „Star Wars“-Episode. Zudem hat die Film-Crew des Fantasy-Epos „Game of Thrones“ das alte Sagenland als Drehort für das eisige Land jenseits der Mauer entdeckt. „Der Hype hat dafür gesorgt, dass die Region plötzlich einen richtigen Besucheransturm erlebt“, kann Sólveig bezeugen. Auch ihre Gäste aus China und den USA sind leidenschaftliche „Game of Thrones“- Fans und nur deswegen in den Norden Islands gekommen. Für sie fährt Sólveig zum Námafjall-Vulkangebiet, wo heiße Schlammtöpfe brodeln und weiße Dampfwolken aus dem Boden quellen. Kein Wunder, dass aus diesem Sumpf aus Schwefel, Schnee und Rauchschwaden die Weißen Wanderer auferstehen. Vor der schimmernden Thermalgrotte Grjótagjá, wo im Film Jon Snow der schönen Ygritte im heißen Wasserdampf verfällt, steht heute eine Touristenschlange. Drüben in Dimmuborgir herrscht längst Unfriede vor dem Fest, seit das lärmende Fanvolk das raue Land der Bergtrolle belagert. Ob die verärgerten Jólasveinar in diesem Jahr gar keine Geschenke bringen oder nur verrottete Kartoffeln, wie sie es der Überlieferung nach sonst nur für ungezogene Kinder tun? Illugi Jónsson jedenfalls freut sich über den neuen Besucherboom. Wenn im Januar die Jólasveinar nach und nach wieder in den Bergen verschwinden und bald niemand mehr nach den Weihnachtsmännern fragt, hängt er seinen Schafwollbart an den Nagel und führt wieder Touristen durch das Vulkanland am Mývatn-See. Seit kurzem hat er eine neue Route im Angebot: eine Tour speziell für „Game of Thrones“-Fans.

Infos zu Island

Island

Anreise

Icelandair fliegt ganzjährig direkt ab Frankfurt, München sowie saisonal ab Zürich, Hamburg und Genf nach Reykjavík und von dort weiter nach Akureyri, www.icelandair.de ,
Auch Air Iceland verbindet Reykjavík regelmäßig mit den Flughäfen Eglisstadir und Akureyri im Norden des Landes. www.airiceland.is .
Für eine Anreise mit dem Mietwagen Richtung Inselnorden sollte man ab Reykjavík mindestens zwei, besser drei Tage einrechnen, um auf dem Weg auch Zeit für die Sehenswürdigkeiten im Westen und dem Hochland zu haben.

Unterkunft

Diniert wird im umgebauten Kuhstall und vom Gäste-Whirlpool aus kann man im Winter die Nordlichter bestaunen: Das Lamb Inn bei Akureyri ist rustikal und komfortabel zugleich. Doppelzimmer inkl. Frühstück ab etwa 95 Euro, www.lambinn.is .
Wer nach dem Besuch von Dimmuborgir noch immer nicht an die Jólasveinar glaubt, der kann mit der Besitzerin des North Aurora Guesthouse zum Stein der Elfen von Laugar wandern, Doppelzimmer inkl. Frühstück ab etwa 120 Euro, www.auroraguesthouse.is .

Essen und Trinken

Ein idealer Zwischenstopp, um die traditionelle isländische Küche zu probieren, ist das Restaurant-Café Vógafjos in Myvatn, www.vogafjos.is . Die ehemalige Schaffarm Modrudalur ist eine urige Einkehrmöglichkeit auf dem Weg in den Vatnajökull-Nationalpark, www.modrudalur.is .

Veranstalter

Der Hamburger Spezialist Island ProTravel stellt Reiserouten durch Nordisland nach individuellen Wünschen zusammen. Achttägige Mietwagenrundreise inkl. Flug ab etwa 935 Euro.
Telefon 040 / 2 86 68 70, www.islandprotravel.de .
The Traveling Viking hat eine spezielle „Game of Thrones“-Tour zu den Drehorten der Fantasyfernsehserie in Nordisland und der Heimat der Jólasveinar im Programm, Tagestouren ab Akureyri ab etwa 150 Euro. www.ttv.is .

Was Sie tun und lassen sollten

Auf jeden Fall die Isländer nach ihren Elfen und Trollen fragen. Die meisten wissen wunderbare Geschichten zu erzählen. Auf keinen Fall Badesachen vergessen. Hartgesottene können am Lavafeld von Holuhraun testen, ob das Gletscherwasser noch immer warm genug für ein winterliches Bad ist. Wer lieber eine beheizte Umkleidekabine und warme Duschen zum Badevergnügen hat, steigt besser ins Thermalwasser von Myvatn, www.myvatnnaturebaths.is .

Allgemeine Informationen

Visit North Iceland, www.northiceland.is
Visit Iceland, www.visiticeland.com