In der Magmakammer des Thrihnukagigur schimmert das Gestein prächtig. Foto: Burkhardt

In Island kann man mit dem Aufzug in den Vulkan mit unaussprechlichem Namen hineinfahren.

Reykjavik - Verdammt, wir haben für ein Abenteuer bezahlt und bekommen gleich zwei!“, wiehert der dicke Engländer vor uns in den Wind, dabei lacht er genüsslich. Das zweite Abenteuer, damit ist das Wetter gemeint. Dem Engländer macht das Gebräu aus tosenden Winden, Hochnebel und nadelstichartigem Regen sichtlich Freude, andere sorgen sich um ihre Kameraausrüstung. Vor uns liegt der Thrihnukagigur, noch rund eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt, das milchige Etwas von einem Vulkan, der seit diesem Sommer von sich reden macht: als neue Weltsensation. Die Böen werden bösartiger, je näher wir dem Krater kommen. Dazu der Regen, der einem ins Gesicht peitscht - und nicht nur dahin.

Die vom Trekkingladen gepriesene 5000 mm Wassersäule meiner Regenjacke - ein Witz. Ich spüre keine Wassersäule, ich spüre nur, wie der Regen körperlich wird, durch die Kleidung dringt und allmählich Besitz von mir ergreift. Als wir endlich die Kilometer an Lavageröll, sumpfigen Moosfladen und Erdspalten überwunden haben und die zwei Container des sogenannten Basislagers erreichen - alle Ausrüstungsgegenstände kostspielig herangeschafft mit dem Helikopter -, sind die meisten des 15-köpfigen Trupps unserer Expedition klitschnass. Den 13-jährigen Sören trifft es besonders hart, sein iPod ist im Eimer. Dafür gibt es jetzt eine wärmende Suppe. Dann geht es mit Helm und Gurt in Vierergruppen wieder raus in die Hölle. Island ist die größte Vulkaninsel der Erde und aufgrund der Kontinentalplatten immer in Bewegung. Nicht lange her der Ausbruch des Gletschervulkans Eyjafjallajökull, der mit seiner gewaltigen Aschewolke 2010 den europäischen Luftverkehr zum Erliegen brachte. 140 Vulkane gibt es auf der Insel, 30 davon sind aktiv. Der Thrihnukagigur spielte bislang keine Rolle. Warum auch, der Schlotvulkan mit seinen zwei Nachbarn (Thrihnukagigur bedeutet „drei Gipfelkrater“), abseits eines Skigebietes südlich von Reykjavík gelegen in faszinierender Einöde, misst nur 560 Meter und brach zum letzten Mal vor 4500 Jahren aus.

„Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“

Doch dieser Ausbruch ließ etwas zurück, was auf der Welt ohnegleichen ist: ein gewaltiges Loch, einen Kamin, der tief nach unten in den einstigen Druckkessel des Vulkans führt und eine begehbare Magmakammer von bizarrer Schönheit freigibt. Stoff zum Träumen, wie ihn der große Visionist Jules Verne in seinem Roman „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ vorzeichnete. Bunte Wimpel markieren den Pfad zum Kraterrand. Die letzten Meter haben es in sich. „Vorsicht!“, ruft Einar Stefánsson, einer von vier Bergführern der Tour, und geht uns an die Wäsche, ehe uns der tückische Wind am Kamm den Abhang runterfegt. Geschafft, wir befinden uns auf der Leeseite.

Vor uns das ovale Loch des Schlotes mit dem gelben Stahlträger, an dem der Kabellift, deutsches Fabrikat, an dünnen Seilen für die Fahrt in die Unterwelt hängt. Ein Gang noch über einen schmalen Steg, dann holt Bjorn Ólafsson die mit Karabinern Gesicherten zu sich in die Gondel. Auf geht’s und ab, 120 Meter in die Tiefe. Es ist eng. In der Gondel. Und auch im Kamin. Dazu rabenschwarz. Noch. Die Isländer lieben es, die Spannung hochzuhalten. Ist es gefährlich, in den Krater abzusteigen? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Tour die Magmakammer in die Luft fliegt? Heiße Fragen, die seitens der Besucher an die Guides herangetragen werden. „Nichts muss, alles kann“, erwidert der Mount-Everest-Besteiger Bjorn. Der Thrihnukagigur ist kein inaktiver, sondern nur ein schlafender Vulkan. Wie der Vesuv in Italien. Je länger der Schlaf, desto böser das Erwachen, lautet eine Vulkanologenweisheit. Und da steht plötzlich vor uns in ganzer Pracht: der Dom, die Magmakammer, der große Raum. In vollendeter Stille.

Der Mensch lebt von seinen Vorstellungen

Nicht schwarz, voller Leuchtkraft. Als sich Árni B. Stefánsson, der Bruder von Einar, 1974 bei seiner Entdeckung mit nichts als einer Helmlampe in den Krater abseilte, ahnte er nichts von dem, was ihn umgab. 3500 Quadratmeter Farben. Felsen, Quarze in Gelb, Bernstein und Gold. Basaltadern, rot eingerahmt. Ein riesiges Rußloch an der Wand zeugt noch von der einstigen Gasexplosion, Seitenkanäle mit steingewordenen Spuren fließenden Feuers. Als wäre das alles eben erst passiert. Und in diesem unterirdischen Raum: der Mensch, überwältigt von den Dimensionen und den Kräften. „Das ist euer Spielplatz“, sagt Lilia, die uns vom Parkplatz zum Vulkan brachte und eigentlich Schauspielerin ist. „Lasst euren Instinkten freien Lauf, aber passt auf. An den Seitenrändern gibt es Öffnungen, die noch tiefer führen und durch die die Schlanken von euch fallen können.“ Der Mensch lebt von seinen Vorstellungen: einmal der Erde ins Maul schauen, ganz hinunter, wenn es geht, bis zum Erdkern. Dann hat die Fantasie einen unglaublichen Raum vor sich. 6378 Kilometer, um genau zu sein. Es geht nicht. Wir sind nicht Professor Lidenbrock, Vernes Held, der sich an einem anderen isländischen Vulkan, dem Snaefellsjökull, zu schaffen macht, um am Stromboli wieder ausgespuckt zu werden. Der Thrihnukagigur ist nicht mal einen Kilometer tief, aber den Tausenden von Vulkanen des Planeten weit voraus. Alle anderen sind verschlossen, verpfropft, wenn man so will.

Eine Laune der Natur hat den Thrihnukagigur bei diesem Prozess vergessen. Zum Glück für die Neugierigen. Zum Wohle des Vulkans? Das Alleinstellungsmerkmal soll einer Prüfung unterzogen werden. Bis zum Ende des Sommers ist der Krater Touristen zugänglich, für gutes Geld. Dann testen Umweltexperten in Reykjavík, wie viel Mensch der Vulkan verträgt und ob es 2013 weitergeht. Geht es nach Árni B. Stefánsson, dann würde sein Vulkan einen Tunnel verpasst bekommen, der zu einem verglasten Balkon führt. Es käme so zu keiner erhöhten Konzentration von Kohlenstoffdioxid. Das wäre dann der Beginn eines neuen, atmungsaktiven Vulkantourismus. Und eventuell auch das Ende eines Mysteriums.

Infos zu Reykjavik

Anreise
Mit Lufthansa ab Stuttgart, Frankfurt und München nach Keflavik/Reykjavík. Bei langfristiger Buchung Hin-und-Rückflug-Preise ab 250 Euro möglich, kurzfristig ab 550 Euro ( www.lufthansa.com ). Im Sommer gibt es auch günstige Verbindungen mit Wow Air ( www.wowair.com ), Air Berlin (www.airberlin.com ) und Germanwings ( www.germanwings.com ). Mit Icelandair nur über Frankfurt oder München nach Keflavik/Reykjavík. Bei langfristiger Buchung Hin-und-Rückflug-Preise ab 400 Euro, kurzfristig ab 600 Euro ( http://book.icelandair.is ).

Unterkunft
Bestes Haus in Reykjavík ist das elegante Hotel Borg gegenüber dem Parlament. Preise für DZ ohne Frühstück ab 131 Euro möglich (http://en.hotelborg.is). Ebenfalls empfehlenswert: das Hilton in Reykjavík. Bevorzugen sollte man die Doppelzimmer „Hilton Room Plus“ zur Meerseite hin für rund 160 Euro pro Nach inkl. Frühstück ( www.hiltonreykjavik.com ). Eine der günstigsten Alternativen: die Jugendherberge Reykjavík Downtown.

Schlafmöglichkeiten im Mehrbettzimmer ab 30 Euro pro Person. Rechtzeitig buchen, vor allem zur Hauptreisezeit im Sommer (www.hostel.is/Hostels/Reykjavikdowntown).

Allgemeine Informationen
Visit Icleand ( http://de.visiticeland.com ). Vulkanbesichtigung Wer den Thrihnukagigur besuchen möchte, sollte unbedingt frühzeitig buchen, denn die Tickets sind begrenzt. Preis: 240 Euro pro Person inklusive Transfer ab Reykjavík und Führung. Außerdem Suppe, Kaffee und Tee. Kontakt ausschließlich via Telefon oder Internet: Telefon 00 35 / 48 63 66 40, www.insidethevolcano.com

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall Wale ansehen. Whale-Watching-Touren starten zum Beispiel von Reykjavík aus. Mehrere Anbieter im Hafen.

Auf keinen Fall Gestein aus dem Thrihnukagigur entwenden oder Gletschertouren ohne Bergführer unternehmen. Vorsicht in Geothermalgebieten: Bei gelben und grauen Flächen besteht Einbruchs- bzw. Verbrennungsgefahr! Die Wassertemperatur kann hier bis zu 100° C betragen!

Außerdem: In Naturschutzgebieten ist wildes Campen verboten.