Mehmet Görmez ist der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Foto: dpa

Die Bundesstaatsanwaltschaft wirft dem Moscheeverband Ditib Spionage vor. Die türkische Religionsbehörde Diyanet widerspricht vehement. Jetzt stehen jahrelange Kooperationen auf dem Spiel. Einblicke hinter die Kulissen Ankaras.

Ankara - Wenn der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet zur Audienz bittet, fühlen sich Besucher wie in einem Märchen von Tausendundeiner Nacht. Mehmet Görmez empfängt seine Gäste im orientalisch eingerichteten Salon. Der oberste Imam der Türkei, der gerne Führer aller Muslime in der Welt wäre, trägt einen reich verzierten Kaftan und einen weißen Turban. Dass er deutsche Journalisten empfängt, hat Seltenheitswert.

Beschädigtes Image verbessern

Die Religionsbehörde Diyanet im Stadtteil Cankaya in Ankara, ist ein abgezirkelter Bezirk. 1500 Menschen arbeiten hier in der Zentrale, mehr als 100 000 Mitarbeiter im In- und Ausland. Das Gespräch mit Görmez hat Bekir Alboga organisiert. Der Generalsekretär von Ditib will in politisch schwierigen Zeiten das beschädigte Image des deutschen Moscheeverbands aufpolieren. Die Bundesstaatsanwaltschaft ermittelt wegen Spionage-Vorwürfen gegen Ditib. Imame in deutschen Moscheen der Organisation sollen Gemeindeglieder nach Ankara gemeldet haben, die der Fetullah-Gülen-Bewegung nahe stehen. Diese ist nach Auffassung des türkischen Staatsapparats für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich.

Muslimische Bürger schützen

Auch Mehmet Görmez glaubt an diese Version. Mit leiser Stimme beginnt der Gelehrte zu sprechen. Die Spionagevorwürfe der deutschen Behörden weist er entschieden zurück. Es habe zwar ein Schreiben gegeben, doch dieses sei „nicht an die Imame, sondern an die Botschaften gegangen“. Ziel des Schreibens sei, muslimische Bürger vor Organisationen zu schützen, die die Religion für ihre Zwecke missbrauchten und Gewalt anwendeten. Görmez stellt dabei die Fetullah-Gülen-Bewegung auf eine Stufe mit dem IS und Boko Haram. Informationen über Privatpersonen zu sammeln, sei aber nie Auftrag gewesen.

Der Mann, der direkt dem Ministerpräsidenten Binali Yıldırım untersteht, verweist auf die mehr als 30 Jahre langen Erfahrungen der Zusammenarbeit zwischen Diyanet und Ditib. Dieses Modell, das es so nur in Deutschland gebe, habe sich bewährt. Und er stellt klar: „Wir waren nie dort, wo wir nicht erwünscht gewesen sind.“ Etwa 1000 Imame arbeiten im Auftrag der Diyanet in deutschen Moscheen. Sie sind Beamte, werden vom türkischen Staat bezahlt. Ein Umstand, der von deutscher Seite immer wieder kritisiert wird. Als „verlängerter Arm Erdogans“ wird Ditib häufig bezeichnet. Eine Bezeichnung, die dem Diyanet-Chef missfällt. „Wenn sie schon ein Körperteil wählen, dann doch bitte das Herz.“ Diyanet betreibe keine türkische Außenpolitik, sondern sei eine religiöse Einrichtung, sagt Görmez.

Fortbildung für Deutschland

In ihrer Fortbildungsakademie bildet Diyanet die Imame aus, die im Anschluss in alle Welt geschickt werden. Mit Abstand die meisten der Gelehrten gehen nach Deutschland. Etwa 120 werden es in diesem Jahr sein, 1000 gibt es insgesamt dort. Zum Vergleich: 145 Religionsbeauftragte hat Diyanet in Frankreich, 140 in Holland und nur 26 in den USA.

Der Auslandsdienst ist bei jungen Türken begehrt. Auf jeden Religionsbeauftragten, der nach Deutschland geht, kommen zwei abgelehnte Bewerber. Manche Imame nutzen den Job außerhalb der Türkei für ihre berufliche Karriere, promovieren im Ausland. Andere haben Verbindungen nach Deutschland. Dies ist auch das Motiv von Zehid Icli. Der 32-Jährige stammt aus Kirikkale, einer Stadt 80 Kilometer von Ankara entfernt. Er habe in München Verwandte, begründet Icli seinen Wunsch auf den Auslandseinsatz. Im Moment absolviert er mit 63 Kollegen einen Deutschkurs. Dazu holt sich die Diyanet Experten des Goethe-Institus aus Ankara ins Haus.

Eine Erfolgsstory

Das Büro der Adenauer-Stiftung in Ankara organisiert das landeskundliche Seminar für die Auslandsimame. „Wir sprechen auch Themen wie Schwimmunterricht für Mädchen oder die Teilnahme an Klassenfahrten an“, sagt der Projektleiter Bekir Öncel, der das Projekt seit zehn Jahren organisiert. Für Sven-Joachim Irmer, den Leiter des türkischen Büros der Adenauer-Stiftung ist die mittlerweile zehnjährige Imam-Fortbildung gemeinsam mit Diyanet „eine Erfolgsstory“. Ja, es gebe immer wieder Stimmen, die sagen: „Warum arbeitet ihr so intensiv mit der Diyanet zusammen?“ Irmer: „Wenn wir uns zurückziehen, was ist dann? Wir müssen den interreligiösen und interkulturellen Dialog pflegen und ausbauen.“ Deshalb werde man auch in der jetzigen, politisch aufgeladenen Stimmung an diesem Projekt festhalten. Dabei beobachtet der Institutschef große Empfindlichkeiten auf beiden Seiten. „Es gibt ein Deutschland-Bashing in der Türkei und ein Türkei-Bashing in Deutschland.“

Mehr Empathie

Diese Missstimmungen sind ein Dauerthema – ob im Gespräch mit dem Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Ankara, mit dem Fortbildungsleiter der Diyanet oder dem türkischen AKP-Abgeordneten Mustafa Yeneroglu , der ins Parlament einlädt. Missverstanden fühlen sich viele offizielle Vertreter, aber auch ganz normale Türken von allen, die den Umbau des politischen Systems in der Türkei kritisieren. „Wir fordern Empathie von unseren deutschen Freunden für unsere Situation“, heißt es immer wieder.

Auf die Bereitschaft der Imame nach Deutschland zu gehen, hätten sich die gegenwärtigen Empfindlichkeiten nicht ausgewirkt, sagt Bekir Öncel von der Adenauer-Stiftung. Im Gegenteil: Er registriert seit drei Jahren mehr Teilnehmer bei den Vorbereitungsseminaren. Auch junge Deutsch-Türken aus Deutschland zieht es zum Theologiestudium nach Ankara. Ein vor einigen Jahren neu geschaffener internationaler Studiengang und ein Stipendiatenprogramm von Ditib machen das möglich. Einer von ihnen ist Talha Dogan. Der junge Deutsche mit türkischen Wurzeln möchte später Imam werden. Sechs Semester hat der 23-Jährige aus Monheim in Nordrhein-Westfalen hinter sich, noch vier vor sich. Was ist seine wichtigste Erkenntnis? „Seit ich in der Türkei bin, ist mir bewusst, dass Deutschland meine Heimat ist.“ Heimweh plagt den jungen Mann. http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.tuerkei-kloeckner-moscheeverband- ditib-kein-partner-fuer-den-staat.75f8f43f-521c-4ad9-891b-b77461800b5 http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.deutschland-integrationsbeauftragte- ditib-muss-sich-von-ankara-loesen.156476e4-70a0-4653-b4aa-