In Ludwigsburg ist ein mutmaßlicher IS-Terrorist festgenommen worden, der sich in einer Asylbewerberunterkunft versteckt hat. Erst kürzlich warnten israelische Geheimdienste davor, rückkehrende IS-Kämpfer und Unterstützer der Terrormiliz würden eng mit Schleuserbanden in Nordafrika und in der Türkei zusammenarbeiten.
Ludwigsburg/Stuttgart - Ein Installateur, ein Tabakladen, eine Handvoll kleiner Boutiquen, zwei Computerläden, die ihre guten Zeiten lange hinter sich haben: In dem einen wird gerade das Interieur ausgeräumt. In dem anderen sind die Schaufenster seit Wochen mit vergilbten Ausgaben der spanischen Tageszeitung „El Pais“ verklebt. Für Lanzarote ist die Straße Calle la Ines in der Inselhauptstadt Arrecife verschlafen.
Bis zum 7. Juli. Da stürmten in aller Herrgottsfrühe mit Sturmgewehren bewaffnete spanische Elitepolizisten ein Appartement in einem Mehrfamilienhaus. Ihr Ziel: Die spanische Konvertitin, deren Namen ein Sprecher des Innenministeriums in Madrid mit S.C.C. abkürzt. Die Neu-Muslima habe, so der Vorwurf spanischer Ermittlungsrichter, in sozialen Netzwerken Mädchen und junge Frauen eine Karriere in der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) schmackhaft gemacht, sie auf die Insel Lanzarote gelockt und dann nach Syrien und in den Irak weiter schleusen wollen. „Auch wenn das zum Zeitpunkt der Festnahme nach unseren derzeitigen Erkenntnissen noch nicht geglückt war“, sagt der Ministeriale unserer Zeitung.
S.C.C. gehört – sind sich Ermittlungsrichter in Madrid sicher – ebenso wie der am Dienstag in einer Unterkunft für Asylbewerber im Landkreis Ludwigsburg festgenommene Marrokkaner A.M. zu einem Netzwerk von Werbern. Die rekrutierten in Spanien und Westeuropa Muslime für den Dschihad. Dafür sprechen die drei weiblichen Teenager, die die Ermittler in S.C.C.s Wohnung vorübergehend festnahmen.
Asylantrag unter falscher Identität
Diese mietete der Bruder der konvertierten Spanierin vor drei Jahren. Er soll, so die Erkenntnisse der spanischen Polizei, ebenso in dschihadistischen Netzwerken aktiv gewesen sein wie sein Schwester in den sozialen Netzwerken. In denen protzte der 21 Jahre Marokkaner A.M. noch wenige Tage vor der Razzia auf Lanzarote damit, Terroranschläge in Spanien oder gegen spanische Einrichtungen begehen zu wollen. „Wir nehmen diese Ankündigungen sehr ernst“, sagte ein Innen-Ministerialer Spaniens. S.C.C. und A.M. hätten „Kontakte bis in die strategische Ebene des IS hinein“ gehalten. Der Nordafrikaner sei den Sicherheitsbehörden bei „verschiedenen Operationen in Spanien“ immer wieder entwischt.
Bis ihn Fahnder des baden-württembergischen Landeskriminalamtes in einer Unterkunft für Asylbewerber im Kreis Ludwigsburg entdeckten. Hier nahmen ihn Polizisten eines Mobilen Einsatzkommandos jetzt fest. A.M. war unter falscher Identität nach Deutschland eingereist und hatte hier um Asyl nachgesucht. Eine Vorgehensweise, die Anti-Terror-Experten seit geraumer Zeit vorhersagen. Erst vor vier Monaten warnten israelische Geheimdienste davor, rückkehrende IS-Kämpfer und Unterstützer der Terrororganisation würden eng mit Schleuserbanden in Nordafrika und in der Türkei zusammenarbeiten. Die Menschenschmuggler nähmen den Flüchtlingen die Ausweispapiere ab, bevor sie die Schutzsuchenden in Seelenfänger pferchten und auf eine oft tödliche Reise übers Mittelmeer schickten. Die Pässe der Vertriebenen verkauften die Schlepper oftmals an die IS-Miliz.
Teilweise seien die Schmugglerbanden aber auch von Anhängern dschihadistischer Terrorgruppen unterwandert. Das Ziel, sagt der US-Terrorismus-Experte Aaron Zelin, „ist immer das gleiche: Mitglieder des IS aus dem schier unerschöpflichen Strom von Flüchtlingen mit neuen Identitäten zu versorgen“. So können Rückkehrer aus den Kriegsgebieten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Terrorlogistiker und Anwerber unerkannt in den Mengen Tausender unschuldiger Asylsuchenden verschwinden. Eine Überprüfung der wahren Identität ist schwierig, oftmals sogar unmöglich: In den Kriegswirren in Syrien und im Irak ist die öffentliche Verwaltung zusammengebrochen; die diplomatischen Beziehungen zu Syrien sind eingefroren.
Deutsche Dschihadisten drohen Merkel
Deshalb sind Ermittler in Westeuropa seit Monaten höchst alarmiert. Sie können die meisten Geschichten und Angaben nicht überprüfen, mit denen Flüchtlinge Schutz suchen. Das sei in etwa so, sagt ein deutscher Fahnder, „als wolle man mit einem Teelöffel die Nordsee wasserfrei löffeln“.
In einem ersten ausschließlich deutschsprachigen IS-Video kündigen deutsche Dschihadisten Anschläge in Deutschland und Österreich an. Sie rufen Muslime zum Mord an „Ungläubigen“ auf und drohen Kanzlerin Angela Merkel. Das fünfminütige Video, über das die „Welt“ berichtet, zeige mehrere Dschihadisten aus Deutschland und Österreich. Unter anderem sei die Ermordung zweier Geiseln in der syrischen Stadt Palmyra zu sehen.