Sebastian Kienle feiert doppelt: Den Triumph bei der EM in Frankfurt und seinen 30. Geburtstag Foto: Getty

Einer miesen Generalprobe soll eine glanzvolle Hauptaufführung folgen. Beim Halbdistanz-Ironman in Kanada wurde Sebastian Kienle nur 18., auf Hawaii will er am 11. Oktober die Weltelite schlagen.

Mühlacker/Kona - Schwimmen? Bei diesem Wort sträuben sich bei Sebastian Kienle sämtliche Körperhaare. Der Mann ist wasserscheu, diese Art der Fortbewegung ist in seinen Genen unzureichend angelegt. Dummerweise gehört Schwimmen aber zum Triathlon wie Wasser zum Turmspringen, und bei einem Ironman sind satte 3,8 Kilometer auf diese Art zurückzulegen. Radrennfahrer mit Laufen und Schwimmen als Hobby, so beschreibt er sich selbst. Doch vor dem Ironman Hawaii, der an diesem Samstag (18.25 MESZ) gestartet wird, hat das Wort für den Triathleten aus Mühlacker seinen Schrecken ein wenig verloren. „Ich war in der Vorbereitung so gut wie nie. Die Zeiten im Pool passen. Es lief super“, sagt Kienle zufrieden. Und als hätten ihn diese Sätze über sich selbst erschreckt, schiebt der 30 Jahre alte Ausdauer-Fanatiker fix nach: „Das muss aber nichts heißen.“

Diese Zurückhaltung ist angebracht vor der Tortur über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer Laufen; bei Temperaturen von über 30 Grad auf der Pazifikinsel kann von einer Sekunde auf die andere etwas Unvorhergesehenes passieren. Und noch etwas lässt Sebastian Kienle vorsichtiger sein als in den Jahren zuvor: Bei den Experten steht sein Name unter der Rubrik „Topfavoriten“, Triathlon-Legende Chris McCormack hat den deutschen Eisenmann schon vor Monaten als „hammerharten Typen und zugleich stabilen Menschen“ bezeichnet, der alles mitbringt für den Hawaii-Triumph. Und auch in Deutschland setzen viele Triathlon-Fans große Erwartungen in ihn. Die will er nicht auch noch ohne Not anheizen. Nach Platz vier vor zwei Jahren und Rang drei im Vorjahr ist es allerdings keine Überraschung, dass der Mann vom Tri-Team Heuchelberg 2014 so hoch gehandelt wird. Er versucht sich deshalb gar nicht im Tiefstapeln. „Natürlich kommt es nicht von ungefähr, dass man mit mir rechnet“, sagt er, „natürlich ist der Sieg mein Ziel – aber ich weiß, dass das sehr schwierig wird.“

Vor drei Wochen ist er mit seinem langjährigen Trainer Lubos Bilek auf Hawaii angekommen, Kienle gönnte sich eine lange Vorbereitung – einerseits, um den Körper an die extremen Klimabedingungen zu gewöhnen; andererseits auch, um seinen Kopf freizubekommen. Denn darin steckte noch eine Psycho-Bremse, eine ärgerliche Niederlage bei der 70.3-Ironman-WM (über die halben Distanzen) in Kanada. In Mont-Tremblant war Kienle, der 70.3-Weltmeister der Jahre 2012 und 2013, am 7. September nach hinten durchgereicht worden, auf Platz 18 kam er ins Ziel. Für einen Spitzenmann ein indiskutables Ergebnis, vor allem im Schwimmen war er deutlich über den Zeiten der Konkurrenten geblieben. „Das tat schon sehr weh“, gibt der Ex-Champion zu, „daran hatte ich dann auch einige Zeit zu knabbern. Ich hatte dort einen echten Scheißtag.“

Mit den Einheiten auf Hawaii wurde der Kopf allmählich wieder frei, das war wichtig – welchen Anteil die Psyche an einem Ironman-Erfolg hat, darüber streiten sich Mediziner wie Athleten. Dass der Anteil über 50 Prozent liegt, ist ziemlich unstrittig. „Alles ist gut“, sagt der Sportler aus Mühlacker mit Überzeugung, „Kopf und Körper sind in der Spur.“ Denn abgesehen vom Kanada-Desaster kann Sebastian Kienle auf ein starkes Jahr zurückblicken. 2014 war er kerngesund, an seinem 30. Geburtstag am 6. Juli holte er in Frankfurt den EM-Titel und blieb dabei unter acht Stunden. „Es zeigt sich einfach, wie eng es in der Weltspitze ist und dass mir die Titel in den letzten zwei Jahren nicht geschenkt wurden.“ Positiv denken als Motivation; und dass Lebenspartnerin Christine Schleifer, Deutsche Duathlon-Meisterin von 2012 und mehrfache Stuttgart-Lauf-Siegerin, kürzlich auch auf Hawaii angekommen ist, dürfte sich auch nicht negativ auf Kienles mentale Verfassung auswirken.

Auch von Vorteil sollte die Neuerung für ihn sein, dass die Ironman-Profis erstmals in verschienenden Gruppen und Zeiten starten, um das Gedränge auf der Strecke im Pazifik zu verringern. Der Europameister will dieser Änderung aber kein allzu großes Gewicht beimessen. „Ich werde deshalb ganz sicher nicht als Erster aus dem Wasser gehen“, sagt er, „ich werde eben versuchen, den Rückstand in Grenzen zu halten.“ Ein begeisterter Schwimmer wird aus Sebastian Kienle garantiert nicht mehr.